Parlament

Der Bundestag

Das Reichstagsgebäude in Berlin.

(© picture alliance/xim.gs)

„Hier schlägt das Herz der Demokratie – oder es schlägt nicht.“ Mit diesen Worten hat der frühere Präsident des Bundestages, Norbert Lammert, die zentrale Rolle des Parlaments beschrieben. Nur der Bundestag wird – anders als der Bundespräsident, die Bundesregierung und der Bundesrat – direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt (Artikel 38 des Grundgesetzes). Damit ist der Bundestag in  besonderer Weise demokratisch legitimiert – und  auch verantwortlich. Die Bundestagsabgeordneten – in der laufenden 20. Legislaturperiode sind es 734 – tagen in Berlin. In den sitzungsfreien Wochen, sind sie für gewöhnlich in ihren Wahlkreisen, also vor Ort, wo die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wer sie im Bundestag vertreten soll.

Der Bundestag hat vier Hauptaufgaben, die sich grob folgendermaßen skizzieren lassen: Die Abgeordneten wählen den Bundeskanzler (Art. 63 Abs. 1). Der Bundestag berät und beschließt – unter Beteiligung des Bundesrates – alle Gesetze, die für ganz Deutschland gelten. Außerdem kontrolliert der Bundestag die Arbeit der Bundesregierung. Besondere Bedeutung hat das Haushaltsrecht, das – auch wenn das in einer Demokratie etwas seltsam klingt – als „Königsrecht“ des Parlaments gilt, da die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag detailliert die geplanten Einnahmen und Ausgaben darlegen muss und diese vom Bundestag bewilligt werden müssen.

„Marktplatz der Meinungen“

Außerdem kontrolliert der Haushaltsausschuss des Bundestages die Regierung auch bei der Verwendung der Gelder. Gerade die Haushaltsdebatten sind ein anschauliches Beispiel für die vierte Funktion des Bundestages, „Marktplatz der Meinungen“ zu sein, auf dem die Positionen und Interessen der Bürgerinnen und Bürger zur Sprache gebracht und diskutiert werden. Da der Haushalt „in Zahlen gegossene Politik“ ist, die mit dem Geld der Steuerzahler finanziert wird, treten politische Differenzen in der Generalaussprache zum Bundeshaushalt regelmäßig mit besonderer Schärfe zutage.

An vielen Sitzungstagen sind im Plenarsaal des Bundestages jedoch nur relativ wenige Abgeordnete präsent. Das bedeutet nicht, dass die fehlenden Abgeordneten untätig sind. Der Bundestag ist eine Mischung aus „Rede- und Arbeitsparlament“. Einen Hauptteil der Arbeit leisten die Abgeordneten in den Fraktionen, Ausschüssen, Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen, in denen die Gesetzentwürfe vorbereitet und abgestimmt werden. Wenn das Plenum darüber debattiert, sind die Inhalte bereits abgestimmt.

Freies Mandat und Fraktionsdisziplin

Auch ist meist vorhersehbar, wie die Abgeordneten abstimmen werden. Zwar sind sie „an Aufträge und Weisungen“ (ihrer Wähler und Partei) nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art.38 Abs. 1). Das freie Mandat wird in der Praxis aber meist überlagert von der Fraktionsdisziplin, da sich nur im Mannschaftsspiel politische Erfolge erzielen lassen. Deshalb halten sich die  Abgeordneten freiwillig an die Mehrheitsbeschlüsse ihrer jeweiligen Fraktion.

Nur ausnahmsweise, bei besonders sensiblen Themen, die den Abgeordneten eine Gewissensentscheidung abverlangen, wird die Fraktionsdisziplin aufgehoben. Kanzlerin Angela Merkel hatte zum Beispiel 2017 die Abstimmung über die „Ehe für alle“ – die Gleichstellung der Ehe homosexueller Paare mit der Ehe von Mann und Frau – zur Gewissensentscheidung für die Abgeordneten von CDU und CSU erklärt.

Dualismus von Regierungsmehrheit und Opposition

Zwischen der Parlamentsmehrheit und der von ihr getragenen Regierung besteht eine enge Verbindung. So gehören die Minister und andere Regierungsmitglieder in der Regel dem Bundestag an. Statt des klassischen Dualismus von Regierung und Parlament, wie er zum Beispiel für präsidentielle Regierungssysteme wie das der Vereinigten Staaten typisch ist, herrscht in der Parlamentspraxis Deutschlands traditionell ein Dualismus von Regierungsmehrheit und Opposition. Der Bundestag insgesamt ist zunehmend gefordert, sich in seiner Rolle als zentrale politische Gestaltungs-, Kontroll- und Kommunikationszentrale zu behaupten. Dies hat verschiedene Gründe.

Zum einen ist der Einfluss der Regierung vor allem in den Jahren einer Großen Koalition gewachsen. So werden die weitaus meisten Bundesgesetze von der Bundesregierung angestoßen und vorbereitet. Gemeinsam verfügen Kanzleramt und Bundesministerien, die an den Gesetzesvorbereitungen maßgeblich beteiligt sind, über einen großen, fachlich spezialisierten Verwaltungsapparat. Manchmal haben die Bundestagsabgeordneten nur wenige Tage Zeit, um sich mit Gesetzentwürfen zu befassen, die komplexe Fragen behandeln und mehrere hundert Seiten lang sind. Immer wieder wird deshalb beklagt, der Bundestag werde zum „Abnickparlament“ degradiert. Besonders hörbar war die Kritik zum Beispiel während der Finanzkrise, als über die finanziellen Rettungsmaßnahmen für Griechenland zu entscheiden war.

Europäisierung der Politik

Die Europäisierung von Politik ist ein entscheidender Grund dafür, dass sich die Gewichte zwischen Bundesregierung und Parlament verschoben haben. Zwar sind die Mitwirkungsrechte des Bundestages in europäischen Angelegenheiten vor allem auf Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts gestärkt worden.

Aber allein die Masse von Dokumenten mit Europabezug – monatlich sind es mehrere Tausend, die dem Bundestag zugeleitet werden – macht deutlich, vor welche Herkulesaufgabe die Europäisierung der Politik die Abgeordneten stellt. Insgesamt ist der Bundestag zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert, die sich nicht mehr allein durch nationale Gesetze bewältigen lassen, sei es durch Klimawandel, Terrorismus oder Migrationsbewegungen.

Neue soziale Bewegungen und digitale Foren

Auch das gesellschaftliche Fundament, auf dem die Arbeit des Bundestages aufbaut, ändert sich. Die repräsentative Demokratie hat in den vergangenen Jahren zunehmend Konkurrenz bekommen durch neue soziale Bewegungen sowie durch digitale Kommunikations- und Aktionsforen. Die sogenannten Volksparteien CDU, CSU und SPD, die Wählerinnen und Wähler in allen Bevölkerungsgruppen ansprechen und über Jahrzehnte das parlamentarische Geschehen bestimmten, verzeichnen signifikante Verluste. Das Verhältnis zwischen Volksvertretern und Volk wird durch die Auflösung traditioneller Gemeinschaften und die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft sowie durch Filterblasen im Internet und Fake News belastet.  
Aber auch als der Bundestag erstmals am 7. September 1949 zusammentrat, war der Druck der Erneuerung und die Ungewissheit groß. Grundlegende Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an den Bundestag, die der erste Bundestagspräsident Paul Löbe zu Beginn der konstituierenden Sitzung formulierte, sind nach wie vor aktuell: „Dass wir eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben aufrichten.“  (gel/23.05.2024)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Artikel

Kapitel

 

Präambel

1 - 19

Die Grundrechte

20 - 37

Der Bund und die Länder

38 - 49

Der Bundestag

50 - 53

Der Bundesrat

53a

Gemeinsamer Ausschuss

54 - 61

Der Bundespräsident

62 - 69

Die Bundesregierung

70 - 82

Die Gesetzgebung des Bundes

83 - 91

Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung

91a - e

Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit

92 - 104

Die Rechtsprechung

104a - 115

Das Finanzwesen

115a - l

Verteidigungsfall

116 - 146

Übergangs- und Schlussbestimmungen