Der Bundespräsident
Als am 12. Februar 2017 Prominente wie Fussball-Bundestrainer Joachim Löw, der Entertainer Hape Kerkeling, die Schauspielerin Iris Berben, die Verlegerin Friede Springer und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier in Berlin zusammenkamen, geschah das nicht, weil in der Hauptstadt eine Benefiz-Gala gefeiert wurde. Im Reichstagsgebäude tagte die Bundesversammlung, um für die nächsten fünf Jahre einen neuen Bundespräsidenten zu wählen (Artikel 54 Absätze 1 und 2 des Grundgesetzes). 630 Bundestagsabgeordnete und ebenso viele von den Landesparlamenten entsandte Mitglieder hatten sich versammelt (Art. 54 Abs. 3). Als Delegierte der Länder werden traditionell gemeinsam mit Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitikern auch bekannte Persönlichkeiten berufen, wenn es darum geht, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen.
Die Wahl der 16. Bundesversammlung fiel erwartungsgemäß auf den Kandidaten der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD, Frank-Walter Steinmeier. Im ersten Wahlgang wurde der frühere Bundesaußenminister zum zwölften Bundespräsidenten gewählt.
Protokollarisch an der Spitze des Staates
Auch wenn es keine offizielle Hierarchie der deutschen Verfassungsorgane gibt, steht der Bundespräsident dem Protokoll nach an der Spitze des Staates. Als Staatsoberhaupt verkörpert er die Existenz und Einheit der Bundesrepublik Deutschland, indem er das Land nach innen und außen repräsentiert. So vertritt der Bundespräsident Deutschland völkerrechtlich und ratifiziert die Verträge mit dem Ausland (Art. 59 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2). Außerdem beglaubigt er die deutschen diplomatischen Vertreter und empfängt die nach Deutschland entsandten Botschafter (Art. 59 Abs. 1 S. 3).
Für die inhaltliche Gestaltung der Außenpolitik ist dagegen die Bundesregierung zuständig. Auslandsreisen des Bundespräsidenten und Besuche ausländischer Staatsgäste in Schloss Bellevue, dem ersten Amtssitz des Bundespräsidenten, werden mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Die jeweiligen Amtsinhaber haben aber auch immer wieder eigene Schwerpunkte gesetzt, etwa Bundespräsident Horst Köhler mit seinem Engagement für Afrika oder Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Forderung, Deutschland müsse international mehr Verantwortung übernehmen und sich „früher, entschiedener und substanzieller“ einbringen.
Repräsentative und notarielle Aufgaben
Auch auf dem Feld der Innenpolitik haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes dem Bundespräsidenten vergleichsweise wenige Kompetenzen gegeben. Grund dafür sind die unheilvollen Erfahrungen mit der Machtfülle des Reichspräsidenten in der Weimarer Republik – das Recht, den Reichskanzler ohne direkte Mitwirkung des Parlaments zu ernennen und dieses aufzulösen, das Recht mit Notverordnungen zu regieren und Grundrechte außer Kraft zu setzen.
Manche, die an den Vorbereitungen für das Grundgesetz mitwirkten, empfahlen, am besten ganz auf das Amt des Bundespräsidenten zu verzichten. „Ich sehe nicht ein, warum wir uns . . . mit einem solchen Requisit versehen sollten“, gab der hessische Vertreter im Konvent von Herrenchiemsee, Hermann Brill, eine unter den anwesenden Sozialdemokraten weit verbreitete Auffassung wieder. Im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz ausarbeitete und verabschiedete, einigte man sich nach langwierigen Verhandlungen darauf, dass der Bundespräsident in erster Linie repräsentative und notarielle Aufgaben wahrnehmen und nur in Krisensituationen des parlamentarischen Regierungssystems politische Entscheidungsbefugnisse haben sollte.
Acht Mal die Ausfertigung von Gesetzen verweigert
Der Bundespräsident ist zwar für die Ernennung anderer Amtsträger zuständig, etwa des Bundeskanzlers (Art. 63), der Bundesminister (Art. 64 Abs. 1) und der Bundesrichter (Art. 60 Abs. 1). Aber die Auswahl der zu benennenden Personen trifft er nicht. Der Bundespräsident ist auch in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Er unterzeichnet die vom Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetze und veranlasst ihre Verkündung im Bundesgesetzblatt (Art. 82 Abs. 1 S. 1).
Gestritten wird darüber, ob der Bundespräsident die Ausfertigung eines Gesetzes verweigern darf, dessen Form und Inhalt seiner Überzeugung nach nicht dem Grundgesetz entspricht. Derartige Fälle sind äußerst selten. Bislang ist es nur acht Mal geschehen, dass ein Bundespräsident die Ausfertigung verweigerte, zuletzt im Jahre 2006. Damals lehnte es Bundespräsident Horst Köhler ab, das Gesetz zur Privatisierung der Deutschen Flugsicherung auszufertigen, da die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Privatisierung nicht vorlägen. Rund sechs Wochen später stoppte er mit Hinweis auf die Föderalismusreform das Verbraucherinformationsgesetz. Prägende Bedeutung für die jeweilige Präsidentschaft hatten die Ausnahmefälle verweigerter Gesetzesausfertigung jedoch nicht.
„Auf geistig-moralische Wirkung angelegt“
Mehr als bei jedem anderen Verfassungsorgan werden Ansehen und Autorität des Bundespräsidenten von der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers und seinem Gespür für gesellschaftliche Befindlichkeiten und Bedürfnisse bestimmt. Das Amt sei „auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt“, schreibt das Bundesverfassungsgericht. Wichtigstes Instrument dafür ist die Rede. „Mahnen, warnen und ermutigen“, beschrieb der Staatsrechtslehrer Roman Herzog das Aufgabenprofil des Bundespräsidenten, bevor er selbst in Schloss Bellevue einzog. Exemplarisch für die „Macht des Wortes“ war die große öffentliche Resonanz auf Herzogs „Ruck“-Rede im Jahre 1997, in der der damalige Bundespräsident von seinen Landsleuten mehr Reformbereitschaft forderte.
Einen Meilenstein bei der öffentlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit setzte Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985, indem er den 8. Mai 1945 – den Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg – einen „Tag der Befreiung“ nannte. Bundespräsident Christian Wulff setzte einen neuen – bis heute kontroversen – Ton in der Zuwanderungsdebatte, indem er 2010 in der Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit sagte, „aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“.
An politischem Gewicht gewonnen
Eine Zäsur in der Amtsgeschichte des Bundespräsidenten bildeten die Rücktritte von Horst Köhler 2010 und Christian Wulff 2012. Von einer „Sinn- und Identitätskrise“ des höchsten deutschen Staatsamtes war damals die Rede. „Bitte abschaffen!“, forderten selbst Verfassungsrechtler. Unter Präsident Joachim Gauck ist das Amt dann zu neuem Ansehen gelangt. Vom Krisenherd hat es sich mittlerweile zur Institution für Krisenhilfe entwickelt.
So übernahm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2018 die Rolle des „Geburtshelfers“ für die Regierungskoalition von CDU/CSU und SDP, als die Regierungsbildung nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen zwischen Unionsparteien, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in eine Krise geraten war. Neben der repräsentativen und integrativen Funktion hat das Verfassungsorgan Bundespräsident damit auch an politischem Gewicht gewonnen. (gel/01.05.2019)
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel | Kapitel |
---|---|
1 - 19 | |
20 - 37 | |
38 - 49 | |
50 - 53 | |
53a | |
54 - 61 | |
62 - 69 | |
70 - 82 | |
83 - 91 | |
91a - e | |
92 - 104 | |
104a - 115 | |
115a - l | |
116 - 146 |