Parlament

Der Bund und die Länder

(© Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, Frankfurt am Main (manuell überarbeitet))

Der zweite Abschnitt des Grundgesetzes „Der Bund und die Länder“ hat deutlich mehr Gewicht, als sein Titel vermuten lässt. Hier sind die Fundamente der Verfassungsordnung sowie die europäische und völkerrechtliche Einbindung Deutschlands niedergelegt. Trotz Globalisierung bleibt Deutschland historisch, politisch und kulturell entscheidend durch das Bundesstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 1) geprägt, also durch die Gliederung in Länder, die gemeinsam mit dem Bund Träger und Gestalter der bundesrepublikanischen Ordnung sind.

Auch die Kommunen gehören organisatorisch zu den Ländern, verfügen aber über eine gewisse Eigenständigkeit. So muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ... in eigener Verantwortung zu regeln“. Die Anzahl der Länder und die Verteilung der Zuständigkeiten im Bund kann nach dem Grundgesetz verändert werden (Art. 29 Abs. 1 Satz 1) – beides ist auch mehrfach geschehen, vor allem durch die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 sowie durch Föderalismusreformen, etwa in den Jahren 2006, 2009 und 2017.

Bundesstaatliche Vielfalt und Bundestreue

Nach dem Grundgesetz ist es jedoch nicht zulässig, „die Gliederung des Bundes in Länder“ oder „die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung“ preiszugeben (Art. 79 Abs. 3). Wie wichtig den Vätern und Müttern bundesstaatliche Vielfalt war, spiegelt sich auch darin, dass staatliche Befugnisse und Aufgaben grundsätzlich Sache der Länder sind (Art. 30). Durch Aufgabenverlagerungen und durch die zunehmende Verflechtung von Zuständigkeiten hat der Bund allerdings über Jahrzehnte zunehmend an Einfluss gewonnen. Gleichwohl bleiben die Länder auch auf Gebieten, auf denen ausschließlich der Bund zuständig ist, über ihre Mitwirkung an der Gesetzgebung im Bundesrat (Art. 50) beteiligt. So soll Vielfalt gesichert und Machtkonzentration verhindert werden.

Funktionstüchtig kann der Bundesstaat jedoch nur sein, wenn Bund und Länder wechselseitig aufeinander Rücksicht nehmen und sich Hilfe leisten (Grundsatz der Bundestreue). Auch muss gewährleistet sein, dass die grundlegende Architektur der Bundes- und Länderebene übereinstimmt. Nach dem sogenannten Homogenitätsprinzip muss die Ordnung der Länder „den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ (Art. 28 Abs. 1) entsprechen. 

Der Bürger als Träger der Staatsgewalt

Diese Fundamente der bundesstaatlichen Verfassung – Republik, Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat – dürfen nicht beseitigt werden (Art. 20 in Verbindung mit Art. 79). Zur Abwehr von Umsturzversuchen gewährt das Grundgesetz allen Deutschen als letztes Mittel ein Widerstandsrecht (Art. 20 Abs. 4). Bislang gab es jedoch keinen Fall, in dem das Recht zum Widerstand praktische Bedeutung erlangt hätte.
Das Demokratieprinzip, also der Grundsatz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Art. 20 Abs. 1 S. 1) ist absolut schutzwürdig, da es nach den Erfahrungen der Verfassungsgesetzgeber keine Staatsform gibt, die menschlicher ist. „Die Geschichte der westlichen Demokratien ist die Geschichte der Begrenzung staatlicher Macht, um die Freiheit der einzelnen zu sichern“, beschrieb Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble einmal das Wesen der Demokratie. Der Bürger soll nicht Objekt, sondern Träger der Staatsgewalt sein. Illiberale Demokratien, in denen die Freiheits- und Schutzrechte der Bürger und die Regeln des Rechtsstaates verdrängt werden, sind nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vereinbar.

Repräsentative Demokratie

Deutschland ist eine repräsentative Demokratie, das heißt die Bürgerinnen und Bürger treffen politische Entscheidungen vor allem durch die Wahl von Volksvertretern (repräsentative Demokratie). Direktdemokratische Entscheidungen sind hingegen auf Bundesebene – anders als auf Länderebene – derzeit nicht vorgesehen, es sei denn, es geht um Neugliederung des Bundesgebiets (Art. 29). Grund für die Zurückhaltung des Parlamentarischen Rates, Entscheidungen unmittelbar durch das Volk zu ermöglichen, sind negative Erfahrungen in der Weimarer Republik und während der nationalsozialistischen Diktatur.

Ob diese Haltung noch zeitgemäß ist, gehört zu den politischen Dauerkontroversen. Als im Zuge der Wiedervereinigung über Änderungen des Grundgesetzes beraten wurde, gab es den Vorstoß, auch auf Bundesebene mehr direkte Demokratie zuzulassen. Die Zweidrittelmehrheit, die für eine Verfassungsänderung erforderlich ist, wurde damals jedoch nicht erreicht.

Zentrale Vermittlungsfunktion der Parteien

Eine Schlüsselrolle in der parlamentarischen Demokratie spielen die politischen Parteien; von „Parteiendemokratie“ ist deshalb zuweilen die Rede. „Ja zur Demokratie zu sagen und nein zu den Parteien, ist nicht möglich“, bemerkte einst der damalige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Anders als in der Weimarer Reichsverfassung werden die Parteien vom Grundgesetz aufgrund ihrer zentralen Vermittlungsfunktion zwischen Bürgern und Staat in den Rang verfassungsrechtlicher Institutionen erhoben. Eine staatlich-institutionelle Verfestigung von Parteien wäre jedoch nicht mit dem von Grundgesetz vorausgesetzten grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungs- und Willensbildungsprozess von den Bürgern zum Staat vereinbar.

Entsprechend zurückhaltend heißt es im Grundgesetz, die Parteien „wirken“ an der politischen Willensbildung „mit“. In der politischen Praxis gilt das in vieler Hinsicht als untertrieben. Mittlerweile gibt es jedoch Umbrüche – vor allem die Verluste der zur gesellschaftlichen Mitte hin ausgerichteten Volksparteien und das Erstarken des rechten politischen Rands – die jedenfalls das etablierte Parteiensystem schwächen. 

Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip

Flankiert wird das Demokratieprinzip vom Rechtsstaatsprinzip. „Ohne Rechtsstaatlichkeit kann Demokratie zur Willkürherrschaft werden“, mahnt der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Deshalb sind der Staat und alle seine Organe an Recht und Gesetz gebunden. (Art. 20 Abs. 3) Die Grundrechte sind „unmittelbar geltendes Recht“ (Art. 1 Abs. 3). Damit soll verhindert werden, dass – wie in der Zeit des Nationalsozialismus – Gesetze erlassen werden, die einen menschenverachtenden Unrechtsstaat legitimieren. Zum Rechtsstaatsprinzip gehört außerdem, dass sich die Bürger vor unabhängigen Gerichten gegen mögliche Rechtsverletzungen durch die Regierung oder die Verwaltung wehren können (Art. 19 Abs. 4). 
Nicht immer ist den Bürgern jedoch mit der Abwehr staatlichen Handelns geholfen. Zuweilen ist auch Hilfe des Staates nötig. Deshalb ist im Grundgesetz das Sozialstaatsprinzip verankert. (Art. 20 Abs. 1 „sozialer Bundesstaat“ und Art. 28. Abs. 1 „sozialer Rechtsstaat“). Manche Grundrechtsartikel fordern ausdrücklich soziales Handeln (Art. 6 Abs. 4: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“, Art. 14 Abs. 2: Gemeinwohlbindung des Eigentums). Überwiegend hat der Verfassungsgesetzgeber es jedoch dem Gesetzgeber überlassen, die soziale Verantwortung des Staates zu konkretisieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet das Sozialstaatsgebot „die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen“. Zentraler Teil dieser Verpflichtung ist, dass der Staat jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern muss. 

Deutschland in der Europäischen Union

Zu den grundlegenden Rahmenbedingungen für staatliches Handeln gehört auch die Einbindung Deutschlands in die Europäische Union (EU). Aufgrund der weitreichenden Bedeutung, die die fortschreitende europäische Einigung und die zunehmenden Vorgaben der EU mittlerweile für die deutsche Rechtsordnung haben, wurde Artikel 23 im Jahre 1992 als neue Grundsatznorm in das Grundgesetz eingefügt. Der Europa-Artikel regelt die Mitwirkung Deutschlands an der Weitentwicklung der europäischen Integration und schreibt fest, dass auch Bundestag und Bundesrat zu beteiligen sind; die europäische Einigung ist also nicht allein Sache der Bundesregierung.

Artikel 23 enthält aber nicht nur einen europäischen Integrationsauftrag, zugleich werden auch Direktiven und Grenzen für die weiteren Integrationsschritte formuliert. So muss sichergestellt sein, dass die EU „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist“. Auch muss auf europäischer Ebene ein Grundrechtsschutz gewährleistet sein, der dem des Grundgesetzes „vergleichbar“ ist. (Art. 23 Abs. 1 S. 1) Ferner wird klargestellt, dass eine deutsche Beteiligung an weiteren europäischen Integrationsschritten nicht möglich ist, sollten dadurch unveränderbare Grundsätze und Bestimmungen des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3) zu denen etwa der Menschenwürdekern und das Willkürverbot gehören, angetastet werden.

Darüber hinaus prüft das Bundesverfassungsgericht, ob der „unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes“ gewahrt ist. Wann die Integrationsschranken des Artikels 23 überschritten sind, ist Gegenstand politischer und juristischer Kontroversen. Wiederholt haben entsprechende Klagen das Bundesverfassungsgericht und den Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg beschäftigt. (gel/01.05.2019)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Artikel

Kapitel

Präambel

1 - 19

Die Grundrechte

20 - 37

Der Bund und die Länder

38 - 49

Der Bundestag

50 - 53

Der Bundesrat

53a

Gemeinsamer Ausschuss

54 - 61

Der Bundespräsident

62 - 69

Die Bundesregierung

70 - 82

Die Gesetzgebung des Bundes

83 - 91

Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung

91a - e

Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit

92 - 104

Die Rechtsprechung

104a - 115

Das Finanzwesen

115a - l

Verteidigungsfall

116 - 146

Übergangs- und Schlussbestimmungen