Parlament

Die Bundesregierung

Das Bundeskanzleramt in Berlin.

(© picture alliance / blickwinkel)

„Wir stehen jetzt vor einer Situation, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland . . . noch nicht gegeben hat“, beschrieb Bundespräsident Frank Walter Steinmeier die Lage acht Wochen nach der Bundestagswahl von September 2017. Innerhalb und außerhalb des Landes wartete man auf die Bildung einer neuen Bundesregierung. Aber die Verhandlungen von CDU/CSU mit Bündnis 90/Die Grünen und der FDP über eine so genannte Jamaika-Koalition waren gescheitert.

Es sollte noch Monate dauern, bis sich die Unionsparteien und die SPD auf eine Fortsetzung der Großen Koalition geeinigt hatten. Erst am 14. März 2018, mehr als fünfeinhalb Monate nach der Bundestagswahl, war es so weit: Der Bundestag, der entscheidende Akteur bei der Regierungsbildung, wählte Angela Merkel – zum vierten Mal – zur Bundeskanzlerin (Artikel 63 Absatz 1 des Grundgesetzes). 

Verfassungsrechtlich auf Verzögerungen vorbereitet

Blickt man auf die vergangenen Jahrzehnte zurück, dauerte es gewöhnlich fünf bis sechs Wochen, bis die Regierung nach einer Bundestagswahl im Amt war; nur 2013 waren 86 Tage vergangen. Die neue Rekord-Wartezeit auf die Regierungsbildung 2017/2018 hat zahlreiche politische Fragen aufgeworfen, aber verfassungsrechtlich ist Deutschland auf derartige Verzögerungen vorbereitet.

Tritt der neue gewählte Bundestag zusammen, endet die Amtszeit des bisherigen Bundeskanzlers zwar automatisch, da die alte Regierung nicht vom neuen Bundestag gewählt und legitimiert ist. Verzögert sich aber die Bildung einer neuen Regierung, führt die bisherige Bundesregierung auf Ersuchen des Bundespräsidenten die Geschäfte weiter (Art. 69 Abs. 3) bis der neue Bundestag einen neuen Bundeskanzler wählt.

„Instabilität und Handlungsunfähigkeit verhindern“

Durch diese Übergangslösung soll verhindert werden, dass politische Instabilität und Handlungsunfähigkeit droht, weil keine Staatsleitung vorhanden ist. Eine gewisse Lücke entstand nach den Bundestagswahlen 2017 aber trotzdem, da entscheidende politische Projekte zunächst nicht weiter vorangetrieben werden konnten. Besonders bemerkbar machte sich dies in der Europapolitik, da man in Paris und Brüssel auf deutsche Antworten auf die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zur „Neugründung Europas“ wartete.

Die Bundesregierung führt die Staatsgeschäfte und gestaltet und plant die Innen- und Außenpolitik. Im Grundgesetz heißt es, der Bundeskanzler „bestimmt die Richtlinien der Politik“ (Art. 65 Satz 1). In der politischen Praxis muss sich der Regierungschef oder die Regierungschefin jedoch mit  dem Koalitionspartner abstimmen, da sonst die Regierungsmehrheit in Gefahr geriete. 

Konstruktives Misstrauensvotum

Allerdings kann ein einmal gewählter Bundeskanzler nicht durch bloße Abwahl aus dem Amt entfernt und damit die gesamte Bundesregierung zu Fall gebracht werden. Nur wenn sich im Bundestag eine Mehrheit für die Wahl eines Nachfolgers findet, darf der bisherige Bundeskanzler entlassen werden (Artikel 67, konstruktives Misstrauensvotum). Diese Regelung zeigt abermals, wie sehr den Väter und Müttern des Grundgesetzes daran gelegen war, die neue demokratische Ordnung verfassungsrechtlich zu stabilisieren – da „hinter der Krise des demokratischen Systems der Diktator lauert“, wie der Sozialdemokrat Rudolf Katz in den Beratungen der verfassungsgebenden Versammlung mahnte.

Die Idee des konstruktiven Misstrauensvotums hat auch im Ausland Anklang gefunden. Dem deutschen Vorbild folgend wurden entsprechende Bestimmungen 1978 in die spanische und 1994 in belgische Verfassung aufgenommen. Auch mehrere osteuropäische Staaten, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion neue Verfassungen gaben, haben die Abwahl des bisherigen Regierungschefs an die Neuwahl eines Nachfolgers geknüpft. Der Deutsche Bundestag stimmte bislang zweimal über ein konstruktives Misstrauensvotum ab: Das erste Mal, im Jahre 1972, scheiterte Kanzlerkandidat Rainer Barzel (CDU/CSU) bei dem Versuch, Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) zu stürzen. Das zweite Misstrauensvotum zehn Jahre später war erfolgreich. 1982 löste Helmut Kohl (CDU/CSU) Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) als Bundeskanzler ab. 

Die Vertrauensfrage

Im Fall instabiler parlamentarischer Unterstützung hat der Bundeskanzler selbst die Möglichkeit, im Bundestag die sogenannte Vertrauensfrage zu stellen (Art. 68). Nicht immer wird damit ein zustimmendes Votum der Abgeordneten eingefordert.

Die Vertrauensfrage kann – wie mehrfach geschehen – auch mit der Absicht gestellt werden, durch Neuwahlen klare Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, wenn die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers in der laufenden Wahlperiode aufgrund fehlender parlamentarischer Unterstützung beeinträchtigt wird (Art. 68). 

Organisation der Bundesministerien

Innerhalb des politischen Rahmens, den der Bundeskanzler (in Absprache mit dem Koalitionspartner) festlegt, haben die jeweiligen Bundesminister Geschäftsbereiche, die sie selbstständig und in eigener Verantwortung leiten (Art. 65 S. 2). Der Bundestag hat – anders als der Reichstag nach der Weimarer Reichsverfassung – keine Möglichkeit, rechtsverbindlich auf die Bestellung und Entlassung der Minister Einfluss zu nehmen. Auch die Organisation der Bundesministerien ist Sache der Bundesregierung (Art. 65, Art. 86) Zahl und Zuschnitt der Ministerien sowie deren Besetzung werden zwischen den Koalitionspartnern der jeweiligen Regierung ausgehandelt.

Der Zuschnitt der Ministerien ist damit stets auch Ergebnis eines politischen Kräftemessens und Spiegelbild veränderter politischer Prioritäten. So wurden Teile des Verbraucherschutzes 2013 auf Drängen der Sozialdemokraten vom CSU geführten Bundeslandwirtschaftsministerium in das SPD geführte Bundesjustizministerium verlagert. Dem Bundesinnenministerium wurden 2018 auf Drängen der CSU die Bereiche Heimat und Bau angegliedert. Nur einige wenige Bundesministerien sind ausdrücklich im Grundgesetz genannt (zum Beispiel die Ministerien für Verteidigung Art. 65a und für Finanzen, Art. 108 Abs. 3).

Die Rolle des Bundeskanzleramtes

Wie die meisten Ministerien bleibt auch das Bundeskanzleramt im Grundgesetz unerwähnt – trotz seiner herausragenden politischen Bedeutung. Das Bundeskanzleramt ist die zentrale Planungs- und Koordinierungsstelle für die gesamte Regierungspolitik und damit auch maßgebliche Verbindungsstelle zum Parlament, zu den Bundesländern und zur Zivilgesellschaft. Seine Zuständigkeiten sind seit der  Schaffung des Bundeskanzleramtes durch den ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU/CSU) 1949 mehrfach verändert und insgesamt deutlich erweitert worden.

Von einer „Superinstitution“ im deutschen Regierungssystem ist die Rede. Im Bundeskanzleramt werden Aktivitäten auf dem Gebiet für Kultur und Medien ebenso gebündelt wie für den Bereich Migration, Flüchtlinge und Integration. Ferner werden dort die Bund-Länder-Angelegenheiten durch einen Staatsminister koordiniert. Seit 2018 gibt es außerdem eine Staatsministerin für Digitalisierung. Auch in der Europapolitik spielt das Bundeskanzleramt eine Schlüsselrolle. Das Bundeskanzleramt sei damit „zum sichtbaren Zeichen einer Präsentialisierung des deutschen parlamentarischen Regierungssystems geworden“, beobachtet der Würzburger Staatsrechtler Florian Meinel. (gel/01.05.2019)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Artikel

Kapitel

Präambel

1 - 19

Die Grundrechte

20 - 37

Der Bund und die Länder

38 - 49

Der Bundestag

50 - 53

Der Bundesrat

53a

Gemeinsamer Ausschuss

54 - 61

Der Bundespräsident

62 - 69

Die Bundesregierung

70 - 82

Die Gesetzgebung des Bundes

83 - 91

Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung

91a - e

Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit

92 - 104

Die Rechtsprechung

104a - 115

Das Finanzwesen

115a - l

Verteidigungsfall

116 - 146

Übergangs- und Schlussbestimmungen