Präambel
Das Grundgesetz, das vor siebzig Jahren, am 23. Mai 1949, verkündet wurde, hat eine erstaunliche Geschichte: Als „Provisorium“ für die „einheitliche Verwaltung des Besatzungsgebiets der Westmächte“ im zerstörten und geteilten Deutschland gedacht, wurde es zur stabilen Ordnung für die Bundesrepublik und zum gefragten Exportgut, das Orientierung für Verfassungskonzeptionen in vielen Teilen der Welt geliefert hat. Diese Entwicklung belegt, wie zukunftsgerichtet die Mütter und Väter des Grundgesetzes ihren Arbeitsauftrag in einer Zeit voller Ungewissheiten erfüllten.
Heutzutage gibt es neue Unwägbarkeiten und Herausforderungen, die dazu anregen, das Grundgesetz neu zu entdecken. In einer Serie mit 14 Kapiteln, die den Abschnitten des Grundgesetzes entsprechen, werden die Bausteine unserer Verfassungsordnung beschrieben. Im Laufe der Jahrzehnte wurden sie geformt, ergänzt, geschliffen und mal stärker, mal schwächer gewichtet. Begleitet wurden die Anpassungen des Grundgesetzes zum Teil von heftigen Kontroversen. Auch von diesen Auseinandersetzungen sowie von aktuellen Diskussionen über die Grundordnung für unser Zusammenleben soll die Rede sein.
„Eine gewisse Magie des Wortes“
Den Anfang macht dieses Kapitel zur Präambel des Grundgesetzes. Als eine Art Wegweiser für das Grundgesetz hat Carlo Schmid (SPD) die Präambel bei den Beratungen über das Grundgesetz beschrieben. In ihr verdichten sich geschichtliche Erfahrungen, Grundüberzeugungen sowie Wünsche und Hoffnungen der Verfassungsgeber. Gleich zum Auftakt wird so der „Geist“ der Verfassung spürbar.
Neben der ratio komme auch die emotio zu ihrem Recht, beobachtet der Verfassungsrechtler Peter Häberle. „Die Präambel muss eine gewisse Magie des Wortes besitzen“, hatte der spätere erste Bundespräsident Theodor Heuss, einer der Väter des Grundgesetzes, zu bedenken gegeben, nachdem die ersten Präambel-Entwürfe recht umständlich geraten waren. „Von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“, heißt es nun feierlich.
Verfassungskonvent von Herrenchiemsee
Prägend für dieses europa- und völkerrechtsfreundliche Bekenntnis war die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und der Wille zum demokratischen Neuanfang. „Auf Ihre Schultern ist vor der Geschichte des deutschen Volkes eine überwältigende Verantwortung gelegt“, mahnte der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Anton Pfeiffer (CSU), als er am 10. August 1948 die Tagung von 33 Fachleuten aus Politik, Justiz und Rechtswissenschaft eröffnete, die über die Grundzüge einer neuen Verfassung beraten sollten. Als „Verfassungskonvent von Herrenchiemsee“ haben die Beratungen benannt nach dem Tagungsort im alten Schloss auf der Herreninsel im Chiemsee Geschichte geschrieben.
Nach nur 13 Tagen, am 23. August 1948, beendete der Konvent seine Arbeit und legte einen Entwurf des Grundgesetzes mit 149 Artikeln vor. Am 1. September übergaben die westdeutschen Ministerpräsidenten das 95 Seiten umfassende Dokument dem Parlamentarischen Rat zur weiteren Bearbeitung. Die 65 Delegierten des Rates – unter ihnen vier Frauen –, die von den westdeutschen Landtagen gewählt worden waren, tagten im Museum König in Bonn.
„Staatliche Ordnung für eine Übergangszeit“
Gut acht Monate später, am 8. Mai 1949, auf den Tag genau vier Jahre nach der Kapitulation, verabschiedete der Parlamentarische Rat nach zum Teil schwierigen Verhandlungen mit 53 gegen 12 Stimmen den Entwurf des Grundgesetzes. Dieser musste aber noch von den Militärgouverneuren der drei Westzonen gebilligt werden. Die Westalliierten hatten ursprünglich eine auf Dauer angelegte Verfassung und ein Verfassungsreferendum gefordert.
Über beides setzten sich die westdeutschen Ministerpräsidenten – am Ende erfolgreich – hinweg. Sie wollten nicht die Teilung Deutschlands zementieren, sondern die Möglichkeit offenhalten, die politisch bereits getrennten Gebiete Ost- und Westdeutschlands wieder zusammenzuführen. Deshalb wurde in der Präambel vom 23. Mai 1949 betont, das Grundgesetz sei eine staatliche Ordnung „für eine Übergangszeit“. „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“ Das Bundesverfassungsgericht hat schon früh klargestellt, dass in diesem Satz ein „Wiedervereinigungsgebot“ verankert sei. Das Karlsruher Gericht widersprach damit jenen, die der Präambel nur symbolische Bedeutung zuerkennen wollten. Wie weit deren rechtliche Bedeutung reicht, ist jedoch umstritten.
Kontroverse über den Gottesbezug
Diese Frage spielt auch bei der Kontroverse über den Gottesbezug in der Präambel („Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat sich das Deutsche Volk ... dieses Grundgesetz gegeben.“) eine wichtige Rolle. Schon im Parlamentarischen Rat war umstritten, ob und wie Gott im Grundgesetz erwähnt werden sollte. Einen Gottesbezug hatte es weder in der Paulskirchenverfassung von 1849 noch in der Weimarer Verfassung von 1919 gegeben. Die erste Fassung der Präambel, die der zuständige Ausschuss des Parlamentarisches Rates beschlossen hatte, enthielt denn auch noch keinen Hinweis auf Gott. Das missfiel dem CDU-Politiker Adolf Süsterhenn, der die Verankerung des Gottesbezugs in der Verfassung von Rheinland-Pfalz von 1947 vorangetrieben hatte. Trotz anfänglichen Widerstands der SPD und Skepsis der FDP hatten Süsterhenn und seine Mitstreiter am Ende Erfolg mit der Erwähnung Gottes.
Entscheidend dafür war der parteiübergreifende Wunsch, die Abkehr vom NS-Staat und seiner totalitären, menschenverachtenden Hybris in der Präambel hervorzuheben. Der Gottesbezug sollte auf die Begrenztheit menschlichen Tuns, die Gebundenheit politischen Handelns an sittlich-ethische Werte und die metaphysische Verankerung der Grundrechte verweisen. Einen Widerspruch zur religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Religionsfreiheit (Art. 4) sahen die Mitglieder des Parlamentarischen Rates durch die Erwähnung Gottes nicht. Weder werde die Bundesrepublik dadurch als christlicher Staat charakterisiert noch der Einzelne auf das Christentum verpflichtet.
„Warnungen vor Totalitarismus zeitgemäß“
In den Jahrzehnten nach Verabschiedung des Grundgesetzes stand der Gottesbezug dann kaum zur Debatte. Das änderte sich mit dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz. In der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat (GVK), die 1992/93 über Änderungen des Grundgesetzes für das geeinte Deutschland beriet, stellte der Abgeordnete Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/Die Grünen), ein evangelischer Theologe, den Antrag, „in der Verfassung auf Gott zu verzichten, weil er da nicht hingehört“. Auch wurde zu bedenken gegeben, dass mittlerweile ein Drittel der Bevölkerung nicht religiös sei und die Gesellschaft insgesamt zunehmend pluralistisch werde. Deshalb sei fragwürdig, ob noch ein Minimalkonsens für das in der Präambel beschworene Bewusstsein einer „Verantwortung vor Gott“ bestehe.
Der SPD-Obmann Hans-Jochen Vogel betonte dagegen, die Warnungen vor Totalitarismus und Allmachtsphantasien, die mit dem Gottesbezug ausgesprochen würden, seien nach wie vor zeitgemäß. Mit 53 zu vier Stimmen bei vier Enthaltungen wurde der Streichantrag abgelehnt. Für eine Neubewertung in jüngerer Zeit sah auch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages keinen Anlass. Eine Petition mit dem Ziel, der Verfassungsgesetzgeber möge die Verantwortung „vor Gott und den Menschen“ durch die Formulierung „für die Menschheit“ ersetzen, wurde 2017 unter Hinweis auf die ausführlichen Diskussionen in der Verfassungskommission abgelehnt. (gel/01.05.2019)
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel | Kapitel |
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1 - 19 | |
20 - 37 | |
38 - 49 | |
50 - 53 | |
53a | |
54 - 61 | |
62 - 69 | |
70 - 82 | |
83 - 91 | |
91a - e | |
92 - 104 | |
104a - 115 | |
115a - l | |
116 - 146 |