Mehmet Güler
geboren 1944 Malataya, Anatolien, lebt in Kassel
Genuss der Hitze, 2019, Öl auf Leinwand
Am 16. September 2020 stellte Vizepräsidentin Claudia Roth das vom Kunstbeirat neu erworbene Gemälde Mehmet Gülers in Anwesenheit des Künstlers der Öffentlichkeit vor. Für die Kunstsammlung des Deutschen Bundestages bedeutet der Erwerb eines Werkes von Güler, in dessen Kunst sich östliche und westliche Traditionen verbinden, eine wichtige politische Akzentsetzung.
Der im Jahre 1944 in einem Dorf in Anatolien nahe Malatya geborene Mehmet Güler ist einer der bedeutendsten international bekannten aus der Türkei stammenden Künstler. An der von Kemal Atatürk gegründeten Gazi-Universität in Ankara erwarb er 1965 sein Diplom in Malerei und Grafik und lehrte später selber dort als Dozent. Über ein Auslandsstipendium gelangte er nach Kassel und erwarb an der Kunsthochschule Kassel ebenfalls das Diplom für Malerei und Grafik. Er kehrte zunächst zurück an die Gazi-Universität, siedelte jedoch 1977 mit seiner Familie nach Kassel über, wo er heute lebt und arbeitet.
In seiner Kunst, die neben Malerei auch Grafik und Bildhauerei umfasst, hat er einen eigenen Weg von der figürlichen Darstellung seiner frühen Arbeiten zu einer freien Abstraktion der Farben gefunden, die das Figürliche aber noch andeutungsweise erkennen lässt. Eine wichtige Etappe auf diesem Weg bilden die Holzschnitte, eine eigenwertige Werkgruppe, in denen große Flächen des Holzes stehenbleiben und markante Figurensilhouetten formen. Bereits in diesen Graphiken ist seine Nähe zu einem expressiven Stil erkennbar, der dann immer stärker auch seine Malerei prägt. In ihr dominieren intensiv leuchtende Farbflächen, meist ein brennendes Rot oder Rot-Orange, daneben ein kühl schimmerndes Blau oder gelegentlich ein helles, vitales Grün. Zwischen die großen Farbfelder schieben sich in Weiß, wie in dem Gemälde „Genuss der Hitze“, Andeutungen von Menschengruppen, skizzenhaft und mit expressiv-dynamischer Strichführung angelegt und kombiniert mit Schriftzeichen.
Auch diese Schriftzeichen verweisen auf beide Kulturkreise: Sie greifen die in der islamischen Kunst vorherrschende Kalligraphie auf, sind aber zugleich Zeilen aus einem Gedicht von Rainer Maria Rilke, der im Jahre 1899 schrieb: „Was irren meine Hände in den Pinseln? Wenn ich dich male, Gott, du merkst es kaum.“ So verbinden sich in dieser Gestaltung Gülers Osten und Westen - nicht zufällig erinnert der Tonfall des Gedichtes an Johann Wolfgang von Goethes „West-östlichen Divan“.
Aber ist der Titel des Gemäldes „Genuss der Hitze“ wörtlich zu nehmen? Die Intensität des Blaus und des Rots strahlt auf den ersten Blick positive, geradezu vibrierende Energie aus. Aber diese kann auch bedrohlich werden, ist ambivalent, so wie die Kraft der Sonne die Gärten einer Oase gedeihen lässt und zugleich alles Lebendige in der Wüste ringsum verbrennt. Und im kräftigen Blau des Hintergrundes ist das Wasser eines lebenspendenden Flusses ebenso präsent wie das der Zerstörung durch eine vernichtende Woge. Vergleichbar ambivalent sind auch die zu Chiffren verfremdeten Figurengruppen angelegt. Es könnten verschleierte Frauen sein, die sich dicht aneinander gedrängt mit dem Rücken zum Betrachter in das Bild hinein bewegen. Ziehen sie gemeinsam zu einem Fest oder einer Wasserstelle oder sind sie auf der Flucht vor lodernden Bränden? Jedoch ist die Szenerie so abstrakt gestaltet und mehrdeutig gehalten, dass der Betrachter auch fern solcher Überlegungen sich in das Leuchten der Farben versenken kann, um die Bilder als reine Farberzählung ins Zeit- und Ortlose eines Märchens oder Traumes hinübergleiten zu lassen. Dann wirkt die Szene, als ob sich in der flirrenden Hitze der Luft, im Vibrieren der Farben und Verschwimmen der Formen, das Trugbild einer orientalischen Fata Morgana aufbaut.
Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Mitglied des Kunstbeirates des Deutschen Bundestages, sieht daher in Gülers Malweise, in „der Integration der Figuren in seinen Farbrausch“, einen kulturellen Brückenschlag „zwischen seiner Wurzel in Anatolien und seiner Wahlheimat Kassel“. Es sind die malerischen Meisterwerke eines abstrakt und expressiv arbeitenden international anerkannten Künstlers, dessen Werke aber seine Herkunft immer wieder durchscheinen lassen, und der, ganz der Moderne verhaftet, zugleich eine Welt aus 1001 Nacht lebendig werden lässt - ganz im Sinne des bereits genannten „West-östlichen Divans“ von Goethe, in dem es heißt:
„Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.“
(akae)