Parlament

Debatte über 35 Jahre Mauerfall

Symbolische Eintrittskarte mit der Deutschen Nationalflagge zum 35. Jahrestag des Falls der Deutschen Mauer zwischen Ost und West am 09. November 2024.

Am 9. November 2024 jährt sich der Mauerfall zum 35. Mal. (© picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE)

Liveübertragung: Freitag, 8. November, 9.05 Uhr

Der zentrale Anteil der ostdeutschen Bevölkerung am Fall der Berliner Mauer vor 35 Jahren und der darauf folgenden Herstellung der deutschen Einheit soll nach dem Willen der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerufen werden. Es sei „von zentraler Bedeutung, dass die Menschen selbst in der DDR in der Friedlichen Revolution die Diktatur überwunden und sich eigenständig demokratisiert haben“, schreiben die drei Fraktionen in einem Antrag zum „Epochenwechsel in Europa 1989/1990“ (20/13628), der am Freitag, 8. November 2024, erstmals auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht. Der Antrag wird nach der rund 90-minütigen Aussprache voraussichtlich direkt abgestimmt. 

Auf der Tagesordnung stehen zudem mehrere Anträge der Oppositionsfraktionen: Die Union hat einen Antrag mit dem Titel „35 Jahre Mauerfall – 35 Jahre Freiheit in ganz Deutschland – Verantwortung und Auftrag“ (20/13614) vorgelegt. Noch ist offen, ob über die Vorlage direkt abgestimmt oder ob sie in den Ausschüssen weiterberaten werden soll. 

Zwei Anträge der AfD mit den Titeln „Gerechtigkeit für Familien schaffen, die in der DDR und SBZ Opfer von staatlich organisierten Kindesraub wurden“ (20/13621) und „Erinnerung an die kommunistische Gewaltherrschaft in Deutschland neu aufstellen – Tag des Volksaufstandes in der DDR zum Feiertag erheben, Bau des Mahnmals beschleunigen und Wissensvermittlung gewährleisten“ (20/13622) sollen an die Ausschüsse überwiesen werden. Der erste Antrag soll federführend im Rechtsausschuss weierberaten werden, der zweite federführend im Ausschuss für Kultur und Medien.

Antrag der Koalitionsfraktionen

In dem Antrag der Koalitionsfraktionen (20/13628) heißt es, man habe „im geeinten Deutschland noch keine gemeinsame Erzählung zu diesen für unser Land so wichtigen Ereignissen und Geschehnissen gefunden“. Oft werde die Friedliche Revolution nur als Vorgeschichte der Deutschen Einheit angesehen, die dann im wesentlichen Dank des entschlossenen Handelns des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) geschaffen worden sei. 

In dieser Erzählung drohe „leicht der aktive Anteil der Ostdeutschen ins Hintertreffen zu geraten, die sich nur noch als Objekt des Geschehens wiederfinden“. Es bleibe jedoch festzuhalten und „für das Selbstverständnis der ehemaligen DDR-Bürger von großer Bedeutung zu verstehen, dass Friedliche Revolution und Deutsche Einheit nicht ein Schicksal waren, das sie ereilte, sondern sie selbst Subjekt und Handelnde in diesem für das vereinte Deutschland und Europa so wichtigen Prozess waren“. 

Die heutige Gedenkkultur stelle den Mauerfall vom 9. November 1989 vielfach so dar, als wäre „mit diesem überraschenden Ereignis die Deutsche Einheit nicht nur auf die politische Tagesordnung gekommen, sondern schon auf den sicheren Weg gebracht“, führen die Koalitionsfraktionen ferner aus. Die „Geschichte einer verhandelten Einheit, in welcher auch die Ostdeutschen Subjekt und Akteur dieses Prozesses sind“, werde bis heute weithin nicht erzählt. Mehr als bisher gelte es, „den Prozess der deutschen Einheit als Selbstbestimmungsprozess der Ostdeutschen und als Verhandlungsprozess zu beschreiben und ernst zu nehmen“.

„Glücksstunde der Deutschen im 20. Jahrhundert“

Zugleich wird in dem Antrag die Herstellung der deutschen Einheit als „Glücksstunde der Deutschen im 20. Jahrhundert“ gewürdigt, an der die Ostdeutschen einen zentralen Anteil hatten. Dass dies stärker als bisher wahrgenommen wird und sich auch im öffentlichen Gedenken abbildet, habe für das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen eine wesentliche Bedeutung. 

Die Bundesregierung wird in der Vorlage aufgefordert, die Erinnerungskultur in Bezug der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zwischen 1945 und 1990 zu stärken, „insbesondere mit Ausrichtung auf die gemeinsame deutsche Demokratiegeschichte“. Auch soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge das geplante „Forum Opposition und Widerstand 1949-1990“ einrichten sowie die Arbeit und bauliche Errichtung des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation aktiv unterstützen. 

Zudem fordern die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung auf, die Forschung im Bereich DDR und SED-Unrecht zu stärken sowie „die Transformation des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv weiter voranzutreiben, insbesondere die Außenstandorte des Bundesarchivs finanziell und baulich auszustatten“

Antrag der Union

Die CDU/CSU-Fraktion würdigt in ihrem Antrag (20/13614) den „Sturz der Berliner Mauer am 9. November 1989 durch die Menschen im Osten Deutschlands“ als eines der „glücklichsten Ereignissen der deutschen Geschichte“. Die Überwindung der kommunistischen Diktaturen in der DDR und in Osteuropa sei ein Höhepunkt der europäischen Freiheitsgeschichte. Der daraus möglich gewordene Prozess der Europäischen Integration habe vielen Menschen ein Leben in Freiheit und Sicherheit eröffnet, schreibt die Fraktion. Aus dieser Erfahrung erwachse die Verantwortung, „auch heute denen zur Seite zu stehen, die noch immer darum kämpfen“. 

Die Friedliche Revolution von 1989/1990 bleibe beispiellos, heißt es in dem Antrag weiter. Jegliche vereinnahmenden Vergleiche mit heutigen Protestbewegungen seien geschichtsvergessen „und verbieten sich“. Den Menschen, die in der SED-Diktatur aus Überzeugung und unter Einsatz ihres Lebens oder Inkaufnahme von Repressionen Widerstand geleistet haben, gebühre Hochachtung und Wertschätzung. Noch immer litten viele Opfer unter den Folgen von politischer Verfolgung, Zersetzung und Repression. Und noch immer gebe es gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Verbesserung der Anerkennung und persönlichen Situation der Opfer. 

Zugleich mahnt die Fraktion, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Erhalt einer dezentralen Erinnerungslandschaft ein „Schwerpunkt unserer Erinnerungskultur bleiben“ müsse. Daneben heben sie hervor, dass sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag unter anderem als Ziele gesetzt haben, die Bewilligung von Leistungen für Opfer der SED-Diktatur zu erleichtern, die SED-Opferrente zu dynamisieren und die Bundesstiftung Aufarbeitung zu stärken. „Die konkrete Umsetzung dieser Forderungen bleibt aber auch nach drei Jahren Regierungszeit aus“, fügt die Fraktion hinzu und fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode die dafür notwendigen Entscheidungen zu treffen. (hau/sto/mtt/07.11.2024)