„Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen des ersten Deutschen Bundestages
Als am 7. September 1949 die 410 frischgewählten Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages zusammenkamen, waren darunter 28 Frauen. Auf den Aufnahmen sind die Frauen unter den dunkel gekleideten Herren kaum zu entdecken. Auch politisch hatten sie es schwer, in Erscheinung zu treten. Die ersten sechs Sitzungen vergingen, ohne dass eine Frau das Wort ergriffen hätte. Im Laufe der Legislaturperiode wuchs der Frauenanteil von 6,8 auf neun Prozent, Frauen hatten meist hintere Listenplätze innegehabt und rückten erst nach, wenn ein Mitglied aus dem Parlament ausschied.
Zu Abendveranstaltungen wurden die weiblichen Abgeordneten in der Regel nicht eingeladen. Stattdessen bekamen sie das Angebot, mit der Frau des Bundespräsidenten Tee zu trinken. Dennoch behaupteten sie sich in ihren Fraktionen, in den Ausschüssen, im parlamentarischen Alltag. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel wurde zur ersten weiblichen Partei- und Fraktionsvorsitzenden gewählt und prägte bis zu ihrem Tod 1969 die parlamentarische Arbeit. Die heute kaum bekannte SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff zog als bekennende Jüdin und Holocaust-Überlebende ins Parlament ein, um dort mit ihren Forderungen nach Entschädigung der jüdischen Opfer auf viel Unverständnis zu stoßen. Die Marburger Theologin und CDU-Abgeordnete Anne Marie Heiler war eine typische Hinterbänklerin und hielt am 12. Mai 1950 ihre erste Rede. „Der nächste Redner ist eine Dame“, verkündete Bundestagspräsident Erich Köhler und wies darauf hin, dass ihr „durch die langen Reden Ihrer Fraktionsfreunde“ nur noch drei Minuten Redezeit geblieben sei.
Die 38 Frauen, ihre politische Arbeit und nicht selten auch ihre Namen, sind in der Bevölkerung kaum bekannt. Anlässlich des 75. Jahrestages der Konstituierung des ersten Deutschen Bundestages wurden in den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages ihre Biografien aufwändig recherchiert. Daneben setzten sich namhafte Autorinnen unserer Zeit intensiv mit der Lebensgeschichte einzelner ausgewählter weiblicher Abgeordneter auseinander – so entstanden ganz persönliche Porträts dieser Pionierinnen der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. Diese Texte von Juli Zeh, Shelly Kupferberg, Julia Franck, Helene Bukowski sowie Terézia Mora werden ergänzt durch 38 Kurzbiografien aller weiblichen Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestags sowie einem Vorwort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Ein spannendes Lesebuch, das in die Anfänge führt und auch danach fragt, woran wir heute erinnern.