394 Abgeordnete sprechen Bundeskanzler Scholz nicht das Vertrauen aus
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Montag, 16. Dezember 2024, die Vertrauensfrage im Bundestag verloren. Damit ist der Weg für Neuwahlen frei. 207 Abgeordnete stellten sich hinter Scholz, für eine Mehrheit hätte er mindestens 367 Stimmen benötigt. 394 Abgeordnete stimmten gegen ihn, 116 enthielten sich, 16 Abgeordnete nahmen an der namentlichen Abstimmung nicht teil.
Scholz hatte in seiner Regierungserklärung vom 13. November angekündigt, die Vertrauensfrage gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes im Bundestag stellen zu wollen. Vor der Abstimmung gab der Bundeskanzler eine Erklärung ab, an die sich eine knapp zweieinhalbstündige Aussprache anschloss. Den Antrag gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes (20/14150) hatte der Bundeskanzler am Mittwoch, 11. Dezember, in den Bundestag eingebracht. Zwischen der Antragstellung und der Abstimmung müssen mindestens 48 Stunden liegen.
Kanzler: Kraftvoll und entschlossen in Deutschland investieren
In seiner Erklärung zu Beginn der Sondersitzung wandte sich der Bundeskanzler nicht nur an die Abgeordneten, sondern auch direkt an die Wählerinnen und Wähler. Angesichts der vorgezogenen Bundestagswahl betonte er, dass die Bürgerinnen und Bürger nun den politischen Kurs des Landes bestimmen können. Sie müssten entscheiden: „Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren? Haben wir Vertrauen in uns und unser Land?“
Scholz erklärte, dass die Ampel-Koalition aufgrund ihrer unterschiedlichen Auffassungen über Investitionen zerbrochen sei. Dabei seien Sicherheit, Wohlstand, Bildung und sozialer Zusammenhalt unmittelbar von Investitionen abhängig. „Es ist höchste Zeit, kraftvoll und entschlossen in Deutschland zu investieren“, forderte der Kanzler und kritisierte, dass in den vergangenen Jahren zu wenig in wichtige Bereiche wie Infrastruktur, Bundeswehr und Klimaschutz investiert worden sei.
„Anstand und Ernsthaftigkeit“
Scholz warf der FDP vor, die Regierung durch interne Sabotage handlungsunfähig gemacht zu haben. Dabei gehe es nicht in der Regierung nicht bloß um Parteiprogramme, sondern um die Verantwortung gegenüber der gesamten Bevölkerung: „Wir schulden den Bürgern Anstand und Ernsthaftigkeit“, sagte Scholz. Auch betonte er, dass er in den vergangenen drei Jahren trotz aller Herausforderungen bemüht war, die Koalition zusammenzuhalten. „Über drei Jahre hinweg habe ich diese Koalition immer wieder zu Ergebnissen zusammengeführt. Dafür braucht es Kraft.“
Trotz der schwierigen Situation stellte Scholz klar: „Wenn es ein Land gibt auf der Welt, dass es sich leisten kann in die Zukunft zu investieren, dann sind wir das.“ Gleichzeitig warnte er jedoch: „Unternehmen und Arbeitsplätze, die einmal weg sind, kommen nie mehr wieder.“ Scholz sprach sich für eine kluge Reform der Schuldenregel im Grundgesetz aus und setzte sich für eine Stabilisierung des Rentenniveaus sowie eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent ein, um besonders Menschen mit geringem Einkommen zu entlasten.
Weitere seiner Forderungen für die Zukunft umfassen die Einführung eines Mindestlohns von 15 Euro pro Stunde und die Förderung von Ganztagsbetreuung und Kita-Plätzen, um berufstätige Eltern zu unterstützen. Denn dass gerade bei jungen Frauen eine „so hohe Teilzeitquote“ vorliege, habe nicht mit „Faulheit“ zu tun: „Viele Eltern wissen einfach nicht, wohin mit den Kindern.“
CDU/CSU: Wir werden uns alle mehr anstrengen müssen
Friedrich Merz (CDU/CSU) warf Scholz vor: „Sie hinterlassen das Land in einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte.“ Da die SPD in 22 der vergangenen 26 Jahre in der Regierung gewesen sei, hätte Scholz seine Forderungen aus seiner Erklärung längst umsetzen können, kritisierte Merz. Auch bemängelte er die Energiepolitik der Ampel-Regierung und dass allein in diesem Jahr drei Kernkraftwerke und vier Kohlekraftwerke stillgelegt worden seien. Merz warnte vor weiteren Steuererhöhungen und einer Aufweichung der Schuldenbremse. Stattdessen forderte er eine wachstumsorientierte Politik, die auf Leistungsbereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit setze.
Zudem betonte Merz, dass die Arbeitszeit in Deutschland erhöht werden müsse und attestierte für die Zukunft: „Wir werden uns alle ein bisschen mehr anstrengen müssen.“ So wolle die Union zukünftig das Bürgergeld „vom Kopf auf die Füße stellen“, damit den 1,7 Millionen Erwerbsfähigen unter den 5,6 Millionen Bürgergeldempfängern ein Anreiz gegeben werde, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Grüne: Energiewende auf Kurs gebracht und Inflation gesenkt
Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, dass die Ampel-Regierung das Land in einem schlechten Zustand übernommen habe und dennoch in der Lage gewesen sei, die Energiewende auf Kurs zu bringen und die Inflation zu senken. Dennoch räumte ein, dass die Koalition „genervt voneinander“ gewesen sei. Er betonte, dass man in einer Regierung nicht gegen sich selbst arbeiten könne und kritisierte die FDP für ihre innere Sabotage.
Habeck erinnerte daran, dass es auch bei vorgezogenen Neuwahlen keine Garantie für eine schnelle Regierungsbildung gebe. Daher solle die parlamentarische Arbeit fortgesetzt werden, um wichtige Themen wie Anträge zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen und die Neuregelung des Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches zu verabschieden.
FDP: Lösung liegt in wachstumsorientierter Politik
FDP-Chef Christian Lindner kritisierte die Wirtschaftspolitik von Scholz scharf und stellte fest: „Deutschland befindet sich in einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise.“ Die Lösung dieser Krise liegt seiner Ansicht nach nicht in mehr Schulden, sondern in wachstumsorientierter Politik. Das Sozialste, was man tun könne, sei den Menschen einen sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz zu ermöglichen. Nur dann könnten sie ihr Leben ohne die Hilfe des Staates und ohne die SPD finanzieren.
Lindner forderte außerdem, den Bürokratieabbau voranzutreiben und zur Kernenergie zurückzukehren. Denn ohne Kernenergie werde es nicht möglich sein, fünf Jahre früher treibhausgasneutral zu sein als der Rest Europas – jedenfalls nicht ohne „dramatische Verluste an individueller Freiheit und Wohlstand“.
SPD: Wir haben Wichtiges geschaffen
Dr. Rolf Mützenich (SPD) verteidigte die Erfolge der Ampel-Koalition, auch wenn nicht alle Ziele erreicht worden seien: „Wir haben Wichtiges geschaffen, auch wenn uns nicht alles gelungen ist.“ Als Erfolge nannte Mützenich ein „gerechtes Kindergeld“, den Einstieg in eine soziale Energiewende und die Erhöhung des Mindestlohns. Gleichzeitig betonte er, dass die Vertrauensfrage ein außergewöhnlicher Moment sei, der mit Anstand und Würde stattfinden müsse. Gleichzeitig unterstrich er, dass der Rückgriff auf diese Verfassungsnorm eine Ausnahme bleiben sollte. Misstrauensvoten und Vertrauensfragen könnten nur durch Ernsthaftigkeit und Kompromissbereitschaft abgewendet werden – beides seien jedoch zurzeit knappe Güter.
Zudem kritisierte Mützenich das von der FDP geplante Papier zum Koalitionsbruch und bezeichnete es als „Tiefpunkt deutscher Innenpolitik“. Besonders beschämend sei die Verwendung von Begriffen wie „Feldschlacht“, „Torpedo“ und „D-Day“ im Zusammenhang mit einem Regierungssturz, da diese Begriffe historisch mit der Befreiung vom Faschismus in Verbindung stünden.
AfD: Syrische Flüchtlinge müssen zurück in die Heimat
Dr. Alice Weidel (AfD) kritisierte die Regierung unter Olaf Scholz scharf und erklärte, dass deren „Schäden“ Deutschland noch jahrzehntelang belasten würden. Sie wies auf den „Niedergang“ der Automobil- und Maschinenbauindustrie hin sowie auf die Abwanderung der Chemiebranche aufgrund „explodierender Energiekosten“. Weidel warf Scholz vor, durch seine „Hinhaltetaktik“ sechs verlorene Wochen für den Wiederaufbau vertan zu haben. Er hätte die Vertrauensfrage sofort stellen müssen, sagte sie.
Weidel forderte, syrische Flüchtlinge, die angeblich vor dem Assad-Regime geflüchtet seien, müssten „sofort in die Heimat zurückkehren“. Zudem sprach sie sich für einen Stopp der Aufnahme, Einbürgerung und Familienzusammenführung syrischer Flüchtlinge aus, um neue Flüchtlingsströme zu verhindern.
Sie sah in der Wahl von Donald Trump eine Chance, das Sterben in der Ukraine durch Diplomatie zu beenden, und kritisierte gleichzeitig, dass Scholz und Merz nach Kyjiw „pilgern“ würden, um „noch mehr gutes Geld dem bereits verbrannten hinterherzuwerfen“. Ihrer Meinung nach würde der Einsatz deutscher Truppen in der Ukraine riskieren, dass Deutschland zur Kriegspartei wird. Außerdem warnte sie: „Wer Friedrich Merz wählt, wählt den Krieg.“
Linke: Massivste Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik
Auch Sören Pellmann (Gruppe Die Linke) kritisierte die Regierungsarbeit der Ampel-Koalition. Er warf der Regierung vor, den Angriff Russlands auf die Ukraine für die massivste Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik genutzt zu haben, während soziale Sondervermögen nicht zur Verfügung stünden. Zudem habe die Ampel mit ihrer „katastrophalen Energiepreispolitik, grünem Wirtschaftsvoodoo, FDP-Schuldenfreiheitsfetisch“ sowie dem „Eiertanz“ um die Schuldenbremse Deutschlands wirtschaftliche Spitzenposition verspielt.
Pellmann forderte, dass Deutschland aus der Krise durch Investitionen befreit werden müsse, und schlug die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Hygieneprodukte sowie für Bus- und Bahnfahrten vor. „Wählen Sie einfach Links. Gegen leere Versprechungen, gegen den Rechtsruck, für ein solidarisches Miteinander, dafür werden wir kämpfen“, warb Pellmann.
BSW: Leben der Menschen spürbar verschlechtert
Dr. Sahra Wagenknecht (Gruppe BSW) sagte: „Aufgabe einer demokratischen Regierung ist es, das Leben der Menschen zu verbessern.“ Die Ampel-Regierung aber habe das Leben der Menschen in Deutschland „spürbar und nachhaltig“ verschlechtert. Tausende fürchteten um ihren Job und hätten Angst um ihre Zukunft. Sie kritisierte, dass Scholz nun die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel senken wolle, während seine Politik der vergangenen Jahre erst dafür gesorgt habe, dass diese „extrem teuer“ geworden seien. Auch kritisierte sie, dass Krankenkassenbeiträge und der CO₂-Preis im kommenden Jahr „kräftig erhöht“ werden.
Zudem bezeichnete Wagenknecht Scholz' außenpolitische Haltung als widersprüchlich: Er gebe sich als Friedenskanzler, stehe aber für das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der geeinten Bundesrepublik. Sie äußerte Misstrauen, dass Scholz seine Zusagen zur Nichtlieferung von Taurus-Marschflugkörpern halten werde: „Sie sind viel zu oft umgefallen, Herr Scholz, als dass man darauf vertrauen könnte, dass Ihr Wort zu Taurus nach der Wahl immer noch gilt.“ (cha/16.12.2024)