Flexible Arbeitsformen zur Fachkräftegewinnung
Wie sich Geschäftsreisen und private Reisen möglichst gut verbinden lassen, war am Mittwoch, 4. Dezember 2024, Thema einer öffentlichen Anhörung zu den neuen Arbeits- und Urlaubsformen Workation und Bleisure im Tourismusausschuss. Die Expertinnen und Experten waren sich einig, dass sich dieser Trend längerfristig halten wird, weil vor allem bei Menschen, die zu den nach 1981 geborenen Jahrgängen gehören, neue Arbeitsformen großen Zuspruch erfahren.
Das Arbeiten und das Reisen zu verbinden, gehört aktuell für viele Berufstätige zu einer guten Work-Life-Balance. Und auch für Unternehmen gilt es als rentabel, wenn sie ihren Mitarbeitern flexible und damit motivierende Arbeitsbedingungen anbieten. Vor allem die beiden Konzepte Workation und Bleisure finden seit Jahren immer mehr Zuspruch.
„Workation“ und „Bleisure“
Workation, die Kombination aus Arbeit (work) und Urlaub (vacation), ist ein Arbeitskonzept, das dadurch kennzeichnet ist, dass Berufstätige von klassischen Urlaubsorten aus arbeiten. Das kann für einige Tage, Wochen oder auch Monate der Fall sein. Das Konzept geht auf die sogenannten „digitalen Nomaden“ zurück, Menschen, die als Selbstständige oder Unternehmer um die Welt reisen, während sie arbeiten. Mittlerweile bieten zahlreiche Unternehmen Workation-Optionen auch für ihre Angestellten an.
Bleisure ist eine Wortneuschöpfung, die sich aus den englischen Begriffen „business“ (Geschäft) und „leisure“ (Freizeit) zusammensetzt. Die Idee ist älter als die Workation. Angestellte hängen an eine Geschäftsreise einige Tage Urlaub an, um sich auszuruhen und sich die Sehenswürdigkeiten vor Ort anzusehen. Anders als bei der Workation werden Arbeit und Freizeit bei Bleisure Travel nicht vermischt, sondern folgen aufeinander. In der Regel beschränkt sich der Bleisure-Aufenthalt auf wenige Tage.
Plädoyer für ortsflexible Arbeitsmodelle
„In einer sich stetig wandelnden Arbeitswelt gewinnen ortsflexible Arbeitsmodelle wie Workation oder Bleisure Travel zunehmend an Bedeutung und sind ein Instrument des Employer Branding der Unternehmen“, sagte Corinna Döpkens, Gründerin der Corinna Döpkens-Travel Management, bei der Öffentlichen Anhörung. Allerdings habe sie festgestellt, dass auf Seiten der Anbieter in der Tourismus-Industrie die Begriffe Bleisure Travel, Workation sowie Co-Workation nicht geklärt seien. Sie plädiere deshalb dafür, ein „einheitliches, leicht verständliches Vokabular“ zu entwickeln und Kommunikationsstrategien einzusetzen, die weniger Fachjargon beinhalteten und mehr erfahrungsbasierte Inhalte nutzten.
Außerdem müssten die Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen differenziert werden. So hätten Freelancer andere Erwartungen als Führungskräfte großer Unternehmen. Anhand von Umfragen, Interviews oder Nutzerdatenanalysen könnten spezifische Bleisure- oder Workation-Angebote entwickelt werden. Schließlich seien Kooperationen hilfreich, um die Zusammenarbeit mit Unternehmen, die bereits Expertise in Remote-Arbeitsmodellen hätten, besser zu vernetzen.
Forderung nach klaren gesetzlichen Leitlinien
Dafür bekam Corinna Döpkens Unterstützung von Prof. Dr. Peter Neumann, Fachgebietsleiter Hospitality, Tourism and Event an der IU Internationale Hochschule Münster und Erfurt. Auch er sprach sich für Marktforschung und Datenanalysen aus und schlug umfassende Studien zur nationalen und internationalen Nachfrage nach Workation und Bleisure Travel vor, „ergänzt durch kontinuierliche Datenanalysen, um Trends, Bedürfnisse und wirtschaftliche Auswirkungen gezielt zu verstehen und fundierte Entscheidungen treffen zu können“, sagte Neumann.
Wenn Unternehmen solche neuen Anreize zur Mitarbeiterbindung anböten, müssten auch die firmeninternen Reiserichtlinien angepasst und Workation- sowie Bleisure-Angebote integriert werden, um Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung zu fördern. Die Politik sei aufgefordert, für rechtliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Dabei stünde die Klärung arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Fragen durch klare gesetzliche Leitlinien im Vordergrund, um die Rechtssicherheit für Unternehmen und Mitarbeitende zu gewährleisten.
Neue Formen der Mitarbeitergewinnung
Dr. Julia Reif, Professorin für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität der Bundeswehr München, unterstrich die Notwendigkeit neuer Formen der Mitarbeitergewinnung für Unternehmen. Vor allem demografische Gründe hätten dazu geführt, dass Firmen ihre Mitarbeitersuche veränderten. Jüngere Menschen aus der Generation Y und der Generation Z – die zwischen 1981 und 1994 beziehungsweise von 1995 bis 2010 geborenen Jahrgänge – erwarteten Flexibilität und digitale Arbeitsweisen, „was gemischte Arbeitsmodelle für diese Zielgruppe besonders attraktiv macht“, sagte Reif. Aber auch für „Menschen mit Sorgeverantwortung“ könnten gemischte Arbeitsformen eine Chance bieten, im Spannungsfeld der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben besser navigieren zu können: zum Beispiel mit einer verkürzten Wochenarbeitszeit, intensiven Phasen in Vollzeit, die sich mit Teilzeit abwechseln, familienfreundlichen Schichtdienstplänen, Gleitzeitmodellen, mobilem Arbeiten und, wo es möglich sei, flexiblen Karrierewegen.
Gleichzeitig förderten Coworking- und Workation-Modelle Kreativität und Innovation durch neuen Input und Netzwerke in entsprechenden Communities und Coworking Spaces. Unternehmen könnten durch hybride Arbeitsmodelle Bürokosten sparen. „Mitarbeitende könnten von geringeren Pendelkosten profitieren, wenn sie den Arbeitsort flexibel wählen können beziehungsweise einen Coworking Space in ihrer direkten Umgebung wählen können“, sagte Reif. Coworking Spaces befänden sich oft in ländlichen Umgebungen. Coworking Spaces am entsprechenden Standort könnten neue Wirtschaftszweige schaffen und Dienstleistungen erforderlich machen.
Coworking Spaces und ländliche Räume
Wie ein solches Modell aussehen kann, erklärte Jean-Pierre Jacobi, Vorstandsmitglied bei CoWorkLand eG. Er stellte das Konzept der Workation aus der Perspektive der von ihm mitgegründeten Genossenschaft inhabergeführter Coworking Spaces in ländlichen Regionen und Kleinstädten vor. Aus seiner Sicht könnte ein solches Format entscheidend für die Entwicklung ländlicher Räume sein, „da diese Regionen Rahmenbedingungen benötigen, um nachhaltig erfolgreich zu sein“, sagte Jacobi.
Wirtschaftlich betrachtet, könnten Workation-Angebote zur Diversifizierung der lokalen Wirtschaft beitragen, indem sie Arbeits- und Urlaubswelt miteinander verknüpften. „Dies ermöglicht es, die touristische Saison zu verlängern, ganzjährige Arbeitsplätze zu schaffen und ländliche Hotellerie sowie Gastronomie zu beleben – auch mit begrenzten personellen Ressourcen“, erklärte Jacobi. Die Verbindung von Arbeit und Freizeit mache ländliche Räume gerade für junge, kreative Zielgruppen immer attraktiver und könne so auch einen Beitrag zur Bekämpfung von Folgen des demografischen Wandels wie Überalterung und dem Vergreisen ganzer Landstriche leisten.
Potenzial zur Belebung der Nebensaison
Auch Marco Nußbaum, Vorstandsvorsitzender der Hiamo AG, Betreiber eines Boutique-4-Sterne-Hotels und mehrerer Ferienwohnungen in Hohwacht an der schleswig-holsteinischen Ostsee, sieht in der Workation „eine zeitgemäße Arbeitsform mit einem enormen Potenzial zur Belebung der Nebensaison“. Workation biete eine Chance, Regionen wie Hohwacht in der Nebensaison zu beleben und gleichzeitig die Arbeitskultur zukunftsfähig zu gestalten.
„Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Workation weit mehr als ein Trend ist – es ist ein Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung der Hotellerie und Tourismuswirtschaft“, sagte Nußbaum. Mit einer „klugen Infrastrukturstrategie und gezielten Investitionen“ könnten die Anbieter Deutschland gar als „führende Workation-Destination etablieren und gleichzeitig wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile erzielen“, so sein Fazit.
„Keine vorübergehenden Erscheinungen“
Markus Orth, Geschäftsführer von Lufthansa City Center Reisebüropartner, betont, dass vor allem die „Gen Y“, die zwischen 1981 und 1995 geborenen Jahrgänge, sich derzeit Workation-Optionen von ihren Arbeitgebern wünschten. In einer Untersuchung der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers International hätten 80 Prozent aus dieser Zielgruppe angegeben, dass ihnen dieser „Benefit“ wichtig sei. Bleisure und Workation seien „in der Arbeitswelt von heute fest etabliert und keine vorübergehenden Erscheinungen“, sagte Orth. Vor allem durch die zunehmende Digitalisierung und die gewachsene Akzeptanz von Homeoffice hätten sich diese Arbeitsformen entwickelt.
67 Prozent der Geschäftsreisenden passten die Reiseplanung an ihre Work-Life-Balance an. Die größte Motivation zur Nutzung von Bleisure Travel sei ein attraktives Reiseziel. Für die erfolgreiche Umsetzung dieser Trends bedürfe es deshalb „klarer Regelungen, technologischer Infrastruktur und kompetenter Beratung“.
Arbeitsrechtliche Regelungen
Inge Pirner, Vizepräsidentin des Verbands Deutsches Reisemanagement (VDR), sprach die arbeitsrechtlichen Regelungen für die neuen Arbeitsmodelle an. Für Themenfelder wie das Arbeitsrecht und den Arbeitsschutz, die Arbeitszeitregelungen, Fragen zur Sozialversicherung und zu weiteren Versicherungen (wie etwa Unfall- und Krankenversicherung), der Meldepflicht sowie Einreisebestimmungen, gebe es bislang keine klaren Antworten, oder bestehende Regeln passten nicht zur neuen Arbeitswelt. Unternehmen müssten bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten ihrer Beschäftigten in der EU deren Sozialversicherungszugehörigkeit durch eine A1-Bescheinigung (VO (EG) 883/2004 und VO (EG) 987/2011) belegen, dazu zähle auch Workation. Um den hohen administrativen Aufwand und die Kosten in den Unternehmen sowie der kontrollierenden Behörden zu vermeiden, forderte Pirner, geschäftliche Reisen aus dem Geltungsbereich auszunehmen.
Liege keine A1-Bescheinigung (EU-Länder) oder eine Deckungszusage (andere Länder mit einem Sozialversicherungsabkommen) vor, gebe es zwei mögliche Probleme. Zum einen könnte der Geschäftsreisende den Versicherungsschutz des Sozialversicherungssystems des Heimatlandes verlieren. Zum anderen könnte der Geschäftsreisende in das Sozialversicherungssystem des Gastlandes aufgenommen werden. Was positiv klinge, habe aber den Nachteil, dass dann lokale Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssten. „Daher bedarf es einer einheitlichen europäischen Sozialversicherungsnummer“, sagte Pirner. (nki/04.12.2024)