Zeit:
Montag, 4. November 2024,
11 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.400
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ (20/13258) ist bei einem öffentlichen Fachgespräch des Kulturausschusses am Montag, 4. November 2024, auf massive Kritik gestoßen. Der Entwurf sieht einen Auskunftsanspruch im Kulturgutschutzgesetz gegenüber Verkäufern und Händlern von Kulturgütern vor, die während der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 verfolgungsbedingt entzogen wurden. So soll es den ursprünglichen Eigentümern beziehungsweise deren Erben ermöglicht werden, Auskünfte über die betreffenden Werke zu erhalten.
Zudem soll das Leistungsverweigerungsrecht bei Verjährung des Herausgabeanspruchs von Kulturgut modifiziert werden. Zur Verweigerung der Leistung soll zukünftig nur berechtigt sein, „wer den Besitz in gutem Glauben erworben hat“. Für NS-Raubkunst soll dies auch gelten, wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist. So soll es den Eigentümern ermöglicht werden, ihren Herausgabeanspruch nach Paragraf 985 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gerichtlich geltend zu machen, auch wenn dieser verjährt ist.
Expertin: Gesetz fällt hinter Restitutionspraxis zurück
Aus Sicht von Dr. Christina Berking von der Interessengemeinschaft Deutscher Kunsthandel verhindert das Gesetz Restitution. Mit ihm falle Deutschland weit hinter die derzeitige Restitutionspraxis zurück. Gut funktionierende Strukturen und Prozesse würden zerstört, sagte sie. Das Gesetz habe so gut wie keinen Anwendungsbereich, weil es den gutgläubigen Erwerb gebe. In solchen Fällen könnten die Opfer vor dem Landgericht Frankfurt nicht die Herausgabe verlangen. Dr. Ulf Bischof, auf Restitutionsfragen spezialisierter Rechtsanwalt, sieht mit dem Gesetz keinen neuen Anspruch geschaffen. Bereits erworbenes Eigentum im Wege der Ersitzung oder des gutgläubigen Erwerbs in der öffentlichen Versteigerung auf Anspruchsgegnerseite bleibe unangetastet, bemängelte er.
Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland verwies ebenfalls darauf, dass die Frage der Ersitzung nach Paragraf 987 BGB unverändert belassen bleibe. In der Realität führe dies dazu, „dass der Eigentümer seinen Anspruch auf Restitution kaum durchsetzen kann“. Benötigt werde aus seiner Sicht ein Restitutionsgesetz, „wo auch die privaten Halter dazu verpflichtet werden, sich im Rahmen einer einseitigen Anrufbarkeit an den Prozessen zu beteiligen“. Rüdiger Mahlo von der Claims Conference forderte ebenfalls ein solches Gesetz. Die Problematik der „Ersitzung“ müsse zwingend geregelt, beziehungsweise für Fälle von NS-bedingtem Verlust von Kulturgut aufgehoben werden. Ohne diese Aufhebung könne die Eingrenzung des Leistungsverweigerungsrechts nach Eintritt der Verjährung in Paragraf 214 BGB keinerlei Wirkung entfalten.
Bedenken gegenüber dem Entwurf äußerte auch Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Vorsitzender der „Beratenden Kommission NS-Raubgut“. Das Gesetz sei ein sinnloser Etikettenschwindel und werde weitgehend ins Leere laufen, sagte er. Rechtsanwalt Dr. Christoph J. Partsch forderte, den Gesetzentwurf abzulehnen. Der Entwurf habe nur einen sehr geringen Anwendungsbereich im Bereich NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, da diese mittlerweile fast alle ersessen worden seien. Die Eingrenzung des Leistungsverweigerungsrechts sei nur sinnvoll, „wenn auch die Ersitzung rückwirkend aufgehoben wird“. Andernfalls bleibe sie wirkungslos. Rechtsanwältin Dr. Agnes Peresztegi stimmte der genannten Kritik zu. Rechtsfrieden sei nur durch ein umfassendes Restitutionsgesetz zu erlangen, betonte sie.
Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut
Während des Fachgrsprächs wurde auch über die geplante neue Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut diskutiert. Diese solle an die Stelle der „Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“ treten, erläuterte Staatsminister Timon Gremmels (SPD), Vorsitzender der Kulturministerkonferenz und Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur. Das neue „Schiedsgericht NS-Raubgut“ solle auf Basis eines umfassenden und verbindlichen Bewertungsrahmens arbeiten, der für die Opfer des NS-Regimes deutlich günstigere Beweiserleichterungen enthalte, sagte Gremmels. Das Schiedsgericht werde auch einseitig angerufen werden können, wenn ein bilaterales Vorverfahren zwischen der öffentlichen Kultureinrichtung und den Antragsberechtigten erfolglos geblieben ist. Dieses schiedsgerichtliche Verfahren stehe auf Seiten der über das Kulturgut Verfügenden auch Privaten offen, sofern diese eine entsprechende Schiedsvereinbarung schließen.
Aus den Reihen der Sachverständigen wie auch der Abgeordneten gab es Kritik daran, dass die konkrete Regelung zu den Schiedsverfahren noch immer nicht vorliege. Da es aber in dieser Frage um das Kleingedruckte und nicht um grobe Linie gehe, könne dazu nicht Stellung genommen werden, sagte Rechtsanwalt Ulf Bischof. Hans-Jürgen Papier zog in Zweifel, ob die Schiedsgerichtsbarkeit eine Verbesserung für die Opfer darstelle.
Rechtsanwalt Christoph J. Partsch machte deutlich, dass es das Schiedsgericht nicht bräuchte, wenn es ein Restitutionsgesetz gebe. Das Hauptproblem, wonach private Halter von Kulturobjekten nicht gezwungen werden können, im Rahmen eines Schiedsverfahrens Restitutionsansprüche prüfen zu lassen oder gar einer Entscheidung eines Schiedsgerichts unterworfen sind, sei nicht gelöst, kritisierte Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Eine Verpflichtung von privaten Besitzern in ein Restitutionsverfahren einzutreten und die Entscheidung zu akzeptieren sei jedoch unerlässlich. „Dieses Problem könnte nur durch eine gesetzliche Regelung gelöst werden“, sagte er.
Private Halter von Kulturgut, wie Galerien, Auktionshäuser, Unternehmen, Stiftungen aber auch Privatpersonen, könnten durch keine der vorgelegten Regelungen verpflichtet werden, in ein Restitutionsverfahren einzutreten, bemängelte auch Claims-Conference-Vertreter Rüdiger Mahlo. Dr. Andreas Görgen, Ministerialdirektor bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, räumte ein, dass die Regelungen zum Schiedsverfahren später als angekündigt kämen. Ebenen übergreifende Einigungen im Föderalismus dauerten aber manchmal länger „als die Bundesregierung sich das vorstellt“, sagte er. Um es zu einem guten Ende zu führen, brauche es aber auch die Ressortabstimmung.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Konkret sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung einen Auskunftsanspruch im Kulturgutschutzgesetz gegenüber Verkäufern und Händlern von Kulturgütern vor, die während der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 verfolgungsbedingt entzogen wurden. So soll es den ursprünglichen Eigentümern beziehungsweise deren Erben ermöglicht werden, Auskünfte über die betreffenden Werke zu erhalten.
Zudem soll das Leistungsverweigerungsrecht bei Verjährung des Herausgabeanspruchs von Kulturgut modifiziert werden. Zur Verweigerung der Leistung soll zukünftig nur berechtigt sein, „wer den Besitz in gutem Glauben erworben hat“. Für NS-Raubkunst soll dies auch gelten, wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist. So soll es den Eigentümern ermöglicht werden, ihren Herausgabeanspruch nach Paragraf 985 des Bürgerlichen Gesetzbuches gerichtlich geltend zu machen, auch wenn dieser verjährt ist.
Für NS-Raubkunst soll nach dem Willen der Bundesregierung zudem ein besonderer Gerichtsstand in Frankfurt am Main geschaffen werden. Erstinstanzlich soll die Zuständigkeit bei den Landgerichten liegen.
Mit seinen 19 Mitgliedern ist der Ausschuss für Kultur und Medien auf der Bundesebene für den gesamten Themenkomplex Kultur und Medien zuständig. Er kontrolliert zum Beispiel die kulturpolitische Förderpolitik der Bundesregierung, berät über die Zukunft der Deutschen Welle und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, entscheidet über die nationale Filmförderung mit oder diskutiert die Förderung geschichtlicher Lernorte von nationaler Bedeutung. (hau/04.11.2024)