Merz in der Generaldebatte: Unser Land erstickt in Bürokratie
Als Höhepunkt der viertägigen ersten Beratung des Bundeshaushalts 2024 (20/7800) hat am Mittwoch, 6. September 2023, die vierstündige Generaldebatte zur Politik der Bundesregierung stattgefunden. Anlass für die Aussprache war der Einzelplan 04 des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Thematisch ging es jedoch vor allem um die Politik der Bundesregierung insgesamt.
Merz: Bundeswehr bleibt strukturell unterfinanziert
Als Führer der größten Oppositionsfraktion trat Friedrich Merz (CDU/CSU) als erster Redner an das Pult. Merz hielt dem Kanzler und seiner Ampel-Regierung vor, mit dem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr dem selbst gestellten Anspruch einer „Zeitenwende“ nicht gerecht zu werden. Man sehe einen weitgehend unveränderten Verteidigungshaushalt. Er habe erhebliche Zweifel, ob man die Dimension des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und deren weitreichende Auswirkungen übereinstimmend richtig einschätze, sagte Merz.
Der CDU-Vorsitzende kritisierte vor allem eine mangelhafte langfristige Finanzierung der Bundeswehr. Das bei Rot und Grün „ungeliebte Kind“ Bundeswehr bleibe „strukturell unterfinanziert“. Dabei sei die Sicherung des Friedens und der Freiheit im Angesicht des Ukraine-Kriegs „Deutschlands wichtigste Aufgabe in der EU und in der Nato“. Verlierer seien Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der nicht mehr Geld bekomme, die Soldaten der Bundeswehr – und auch die Bündnispartner hätten Vertrauen verloren. Spätestens 2027 werde eine Lücke von mindestens 30 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt klaffen, von der die Regierung heute keine Vorstellung habe, wie sie gefüllt werden solle, sagte Merz.
Scholz weist Vorwürfe zurück
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wies die Vorwürfe über eine unzureichende Finanzierung der Bundeswehr später zurück: „Es funktioniert nicht mit den Popanzen in dieser Republik“, sagte Scholz. Der wichtigste Popanz, den Merz aufgebaut habe, habe etwas mit dem Konsens zu tun, den der Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit gefasst habe, als das Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen wurde. Diesen kündige Merz gerade auf und werde dem Ernst der Lage überhaupt nicht gerecht. „Das ist schlecht“, so Scholz, der der Bundeswehr garantierte, dass die Nato-Quote auch in den Jahren 2028, 2029 und in den 30er Jahren erreicht werde – wenn das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen ausgeschöpft sei. Die Nato-Quote betrifft das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr zu investieren.
Scholz sagte, um das zu erreichen, müssten allerspätestens ab 2028 zusätzliche 25, vielleicht auch fast 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Bundeshaushalt direkt finanziert werden. Dazu passten Steuervorschläge nicht, die Merz in den vergangenen Tagen gemacht habe, die bis zu 28 oder 30 Milliarden kosten würden. Woher solle dieses Geld stammen, fragte Scholz. „Sie machen Vorschläge, als gäbe es kein Morgen – das sollten wir nicht mehr tun“, sagte Scholz.
Merz: Unser Land erstickt in Bürokratie
„Unser Land erstickt in Bürokratie“, beklagte Merz zudem. Die CDU würde viele Gesetze, die die Ampel auf den Weg gebracht hat, sofort stoppen. Weder die Kindergrundsicherung noch das Gebäudeenergiegesetz würde die Union in dieser Weise auf den Weg bringen. „Die Menschen sind es leid, nur noch mit Verboten, Regulierungen, unkalkulierbaren Kosten und bürokratischen Auflagen konfrontiert zu werden.“ Im Gebäude- wie im Verkehrssektor würde die Union auf echte Technologieoffenheit setzen: „Ihre Klimapolitik wird mehrheitlich von den Menschen im Land nicht mehr mitgetragen“, sagte Merz. „Wenn man dem Klima schaden will, muss man es genauso machen wie Sie es gegenwärtig machen.“
Die Union, führte Merz weiter aus, würde das Bürgergeld so ausgestalten, dass Arbeit sich mehr lohne als der Bezug staatlicher Transferleistungen, Anreize für ältere Beschäftigte schaffen, statt früher in Rente zu gehen länger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen – und nicht zuletzt die beständig weiter ansteigende Zahl illegaler Grenzübertritte zu senken. Das sei ein Problem, das die Gesellschaft tief spalte. Unterm Strich widerspreche man aber nicht nur einzelnen Politikvorhaben, sagte Merz. Vielmehr widerspreche man dem ganz grundsätzlichen Staatsverständnis der Ampel, das verbietend, bevormundend, paternalistisch sei. Die Union hingegen wolle den Menschen, Unternehmen, Ingenieurinnen und Ingenieuren etwas zutrauen und zur Leistung im Sinne des Landes ermutigen und befähigen. „Sie tun von fast alledem genau das Gegenteil.“
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (CDU/CSU) schlug Scholz einen „Deutschlandpakt“ in der Migrationspolitik vor: Mehr Grenzkontrollen, die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer, Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber, schnellere Abschiebungen.
Bundeskanzler schlägt „Deutschland-Pakt“ vor
Der Bundeskanzler reagierte auf Merz‘ Einlassungen mit zweierlei: Zum einen stellte er mit Blick auf die letzten Worte fest – ja, man müsse sich auch um die Leistungsträger in der Gesellschaft kümmern, „aber, sagte Scholz, Herr Merz, Sie haben einen merkwürdigen Leistungsträgerbegriff, der fängt erst ab 120.000 Euro im Jahr an. Leute, die jeden Tag berufstätig sind und 40 bis 45 Stunden in der Woche arbeiten, zählen nicht dazu.“ Zum anderen, grundsätzlicher, mit einem Appell an alle zur Zusammenarbeit. Niemand wolle „Schattenboxen im Bundestag“. Die Bürger wollten „Orientierung, mutige Kompromisse, zupackende Arbeit“, sagte Scholz.
„Arbeiten Sie mit uns daran, die Missstände der vergangenen Jahre abzustellen und Deutschland gut aufzustellen für die Zukunft“, sagte er Richtung Merz – und rief Länder, Gemeinden und Opposition zu einem nationalen Kraftakt auf, um die Wirtschaftskrise und den Umbau zu einer klimafreundlichen Gesellschaft zu bewältigen. „Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid. Und ich bin es auch“, sagte er. Der Deutschland-Pakt solle das Land schneller, moderner und sicherer machen. „Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln“, sagte Scholz und fügte hinzu: „Viele im Land warten geradezu sehnsüchtig auf diesen Schulterschluss.“ Das „Gebot der Stunde“ sei: „Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei.“
„Mehltau“ lähme die Wirtschaft, sagte Scholz etwa mit Blick auf die langen Planungsverfahren. „Moderne Gesetze, schnellere Verfahren, weniger Bürokratie“ seien Grundlage für einen Aufschwung. Und zweitens: Die Bereitschaft aller, wirklich an einem Strang zu ziehen, und zwar in dieselbe Richtung: Bund, Länder, Städte und Gemeinden, Unternehmen und Behörden, Verbände und Gewerkschaften. So forderte er die Länder auch auf, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz umzusetzen. „Arbeiten Sie mit uns daran, die Missstände der vergangenen Jahre abzustellen und Deutschland gut aufzustellen für die Zukunft.“
„Das ist das größte Investitionsprogramm seit der Dampflok“
Ein neues Konjunkturprogramm lehnte Scholz ab und verwies darauf, dass die Bundesregierung in zahlreichen Bereichen bereits Rekordsummen für Investitionen anbiete. „Ich halte nichts von einem schuldenfinanzierten Strohfeuer namens Konjunkturprogramm, das die Inflationsbekämpfung der EZB konterkarieren würde“, betonte Scholz. Der Bund investiere zudem im kommenden Jahr 58 Milliarden Euro etwa in die Wasserstoffwirtschaft, die Halbleiterindustrie, klimafreundliche Mobilität, digitale Infrastruktur und die Sanierung von Gebäuden. Dazu kämen 54 Milliarden Euro für bessere Schienen, neue Brücken, schnelles Internet, Ladesäulen, sozialen Wohnungsbau und eine klimaneutrale Wirtschaft. Allein die Bahn erhalte in den kommenden vier Jahren 24 Milliarden Euro an zusätzlichem Investitionsspielraum. „Das ist das größte Investitionsprogramm in so kurzer Zeit seit der Dampflok“, sagte Scholz.
Der Kanzler betonte, dass die Bundesregierung auch weiter große Industrieansiedlungen etwa im Chip- und Batteriesektor fördern werde. Er wies den Eindruck zurück, dass Staaten wie die USA Firmen mehr Subventionen anböten. „Gemessen an der Größe unseres Landes und unserer Wirtschaftsleistung können diese Investitionen, kann unser Klima- und Transformationsfonds es durchaus aufnehmen mit seinem amerikanischen Gegenstück“, betonte er. „Wir kommen voran bei der Aufgabe, unser Land so aufzustellen, dass die besten Tage nicht hinter uns liegen, sondern vor uns. Auch das kriegen wir hin, wenn wir zusammenhalten. Das erwarten die Menschen von uns.“
FDP gegen staatlich subventionierten Industriestrompreis
FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat die ablehnende Haltung seiner Partei gegenüber einem staatlich subventionierten Industriestrompreis bekräftigt. „Ich glaube nicht, dass eine neue Subvention beim Preis das Richtige ist, sondern wir müssen bei den Abgaben runter“, sagte Dürr bei der Generaldebatte.
Man könnte die Stromsteuer auf das europäische Minimum verringern. Man werde auch über den „Spitzenausgleich“ bei der Stromsteuer sprechen müssen. Es sei eine Herausforderung für energieintensive Unternehmen, wenn der Spitzenausgleich Ende des Jahres auslaufe. Dürr betonte außerdem „Technologieoffenheit“ im Wärme- sowie Verkehrsbereich.
SPD: Leben in vielen Zeitenwenden
Rolf Mützenich (SPD) erinnerte daran, dass derzeit viele Krisen zusammenkämen: „Wir leben und arbeiten in vielen Zeitenwenden. Schon eine einzig davon wäre für viele eine große Belastung. Dass das Gesamte, dem das Land sich stellen müsse - Klima, Arbeit, Digitalisierung, Inflation, Rezession und anderes – etwas sei, das verunsichere, verstehe er genauso wie den Rückzug mancher Bürger und Bürgerinnen ins Private.
Die Zuversicht und das Vertrauen in Politik, aber auch Wirtschaft und Gesellschaft schwinde. Und ja, auch die Ampel habe in der Vergangenheit keine gute Figur gemacht. Aber es gebe etwas, dass nur diese Verbindung aus SPD, Grünen und FDP so vollbringen könne. Dafür kämpfe er.
AfD fordert Neuwahlen
AfD-Chef Tino Chrupalla kritisierte in seiner Rede die Ampelkoalition scharf und forderte Neuwahlen. “Die Zeit der Ampel ist abgelaufen„, sagte Chrupalla. Er warf der Koalition eine “fahrlässige und verfehlte Migrationspolitik„ und speziell den Grünen in der Ampel eine wirtschaftsfeindliche Politik vor.
An Bundeskanzler Scholz gerichtet sagte er: “Öffnen Sie wieder, wenn Sie können, bitte beide Augen und sehen Sie, wie die deutsche Wirtschaft reagiert, wie sie abschmiert, und kümmern Sie sich endlich um das Rückgrat in diesem Land, um die deutsche Wirtschaft.„
Grüne thematisieren Merz‘ Deutschlandbild
Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen) wendet sich vor allem an Merz und zitiert seine Aussage in einem bayerischen Bierzelt: Nicht Kreuzberg ist Deutschland – Gillamoos ist Deutschland. Solche Bilder wähle Merz immer wieder, sagte Dröge, und er definiere damit, wer dazu gehöre und wer nicht, wer in diesem Land richtig sei und wer falsch. Wenn er von kleinen Jungs im Kindergarten spreche, deren Eltern muslimisch seien, dann spreche er von “kleinen Paschas„, ukrainische Flüchtlinge nenne er “Sozialtouristen, Arbeitslose würden bei ihm zu „Arbeitsverweigerern“.
Was an Kreuzberg sei nicht deutsch, was sei an Gillamoos deutscher, fragte sie Merz: Dass hier Menschen vieler Religionen leben, verschiedener sexueller Identitäten, verschiedenen politischen Überzeugungen? Eine CDU, die diesen Weg gehe, gehe einen gefährlichen, einen verantwortungslosen Weg, gerade in dieser Zeit, sagte Dröge.
Linke nennt Kindergrundsicherung „Etikettenschwindel“
Auch von der Fraktion Die Linke kommt Kritik an der Politik der Koalition. „Wir dürfen jetzt nicht sparen, wir brauchen große Investitionspakete“, sagte Amira Mohamed Ali, Fraktionschefin der Linksfraktion.
Viele Menschen seien zu Recht wütend, dass im Etat Milliarden Euro für Rüstung rausgehauen werden sollten und überall sonst geknausert und gespart werde. Die geplante Kindergrundsicherung sei unzureichend und ein „Etikettenschwindel“.
Knapp zwei Milliarden Euro für Kultur und Medien
Der Etat des Kanzleramtes sieht Ausgaben von 3,71 Milliarden Euro vor gegenüber 3,9 Milliarden Euro in diesem Jahr. Die Einnahmen sollen von 166,5 Millionen Euro 2023 auf 568,7 Millionen Euro steigen.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), soll im nächsten Jahr 1,92 Milliarden Euro ausgeben können (2023: 2,18 Milliarden Euro).
Integrationsbeauftragte und Ostbeauftragter
Der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), stehen laut Entwurf 34,66 Millionen Euro zur Verfügung (2023: 43,5 Millionen Euro).
Der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Staatsminister Carsten Schneider (SPD), soll 15,59 Millionen Euro erhalten nach 15,92 Millionen Euro in diesem Jahr. Der Zuschuss an den Bundesnachrichtendienst beläuft sich dem Entwurf zufolge auf 1,08 Milliarden Euro (2023: 1,03 Milliarden Euro). (mis/vom/06.09.2023)