Hoher Beratungsbedarf beim Sozialetat
Der Bundestag hat sich am Freitag, 8. September 2023, in erster Lesung mit dem Haushaltsentwurf 2024 (20/7800, Einzelplan 11) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales befasst. Mit Ausgaben von 171,67 Milliarden Euro wird er auch 2024 der mit großem Abstand größte Einzeletat des Bundeshaushaushalts sein. Im laufenden Jahr beträgt der Sozialetat 166,23 Milliarden. Die Steigerung beruht fast ausschließlich auf einem höheren Bundeszuschuss für die Rentenversicherung, während bei vielen anderen Posten Kürzungen vorgesehen sind. In der Debatte darüber war nicht nur viel Kritik aus der Opposition zu hören, auch Abgeordnete der Koalition meldeten Gesprächsbedarf für die nun anstehenden parlamentarischen Beratungen an.
Minister: Schon Vieles auf den Weg gebracht
Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) betonte, dass es in der Beratung seines Etats nicht nur um Geld gehe, sondern „im Kern darum, was unser Land zusammenhält“. Heil führte aus, welche Leistungsverbesserungen, Abgabenentlastungen und Arbeitsmarktreformen die Ampel-Koalition bereits auf den Weg gebracht habe. Er verwahrte sich gegen Kritik an der jüngsten Erhöhung des Bürgergeldes, die lediglich das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum sichere. Weiterhin lohne es sich, anders als von der Union behauptet, zu arbeiten, weil gegen deren Widerstand auch der Mindestlohn erhöht worden sei. Zudem habe die Koalition die Abgabenlast für Geringverdiener gesenkt.
Heil kündigte an, in Kürze ein Rentenpaket vorzulegen, das die Alterssicherung für den anstehenden demografischen Wandel vorbereiten werde. Eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalter lehnte der Minister als „lebensfremd und ungerecht“ ab, allerdings wolle die Regierung das „reale Renteneintrittsalter“ steigern.
CDU/CSU sieht falsche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Daraufhin sprach Hermann Gröhe (CDU/CSU) von einer „Selbstbelobigungsrede“, die „alles andere als angebracht“ gewesen sei. Der Haushaltsentwurf sei ein „Offenbarungseid für falsche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik“, für den es von Kommunalverbänden bis hin zu Sozialverbänden und Gewerkschaften Kritik hagele.
Heil kapiere immer noch nicht, dass „eine starke Wirtschaft das Fundament einer verlässlichen sozialstaatlichen Ordnung ist“. Erste Priorität eines Sozialministers müsse deshalb sein, Menschen in Arbeit zu bringen. Stattdessen wolle er den Jobcentern „mehr Aufgaben, aber weniger Geld zuweisen“.
Grüne: Beratungsbedarf bei Arbeitsförderung
Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) zog in Zweifel, dass der Sozialpolitiker Gröhe für seine ganze Fraktion gesprochen habe, und arbeitete sich vor allem an deren Vorsitzendem Friedrich Merz ab. Dieser habe mit der Behauptung, dass sich nach der jüngsten Bürgergelderhöhung Arbeit nicht mehr lohne, „die Unwahrheit gesagt“. Das zahle nicht bei der Union ein, sondern bei „anderen Leuten“, und „zersetzt am Ende des Tages das Fundament unserer Demokratie“.
Kurths Fraktionskollegin Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) meldete Beratungsbedarf insbesondere bei zwei Themenbereichen an: Bei der von der Regierung vorgeschlagenen Zuständigkeitsverlagerung für Arbeitslose unter 25 Jahren von den Jobcentern auf die Arbeitsagenturen und bei den geplanten Kürzungen bei der Arbeitsmarktförderung.
AfD: Sabotage am eigenen Volk
Für die AfD-Fraktion hielt René Springer der Regierung vor, dass deren Politik „die Grundlagen des Staates und den sozialen Frieden“ gefährde. Er machte dies unter anderem daran fest, dass sich beim Bürgergeld zuletzt die Aufwendungen für deutsche Bezieher halbiert, für ausländische Bezieher dagegen verdoppelt hätten. Auf diese „Einwanderung auf Kosten der deutschen Steuerzahler“ hinzuweisen sei kein Populismus, es sei ein statistischer Fakt.
Springer sprach außerdem von einer „schrumpfenden Distanz“ zwischen Arbeitseinkommen und Bürgergeld, weshalb viele Arbeitnehmer „keinen Sinn mehr in ehrlicher Arbeit sehen“. Die Politik der Regierung sei „nichts anderes als Sabotage am eigenen Volk“.
FDP: Trotz Konsolidierung kein Sparhaushalt
Nach Einschätzungen von Cornelia Raffelhüschen (FDP) ist der vorgelegte Etatentwurf „trotz notwendiger Konsolidierung kein Sparhaushalt“, denn er liege deutlich über Vor-Corona-Niveau. Vorrangiges Ziel müsse sein, „der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen“, nur so ließen sich die Sozialleistungen aufrechterhalten.
Wichtig sei zudem, die Beiträge zu den Sozialversicherungen konstant zu halten, nur das sei „wirklich generationengerecht“. Auch Raffelhüschen meldete viel Beratungsbedarf im jetzt beginnenden parlamentarischen Verfahren an.
Linke: Regierung schützt Vermögende mehr als Arme
„Die Koalition verwaltet die Armut im Land, sie bekämpft sie nicht“, bemängelte Gesine Lötzsch (Die Linke). Die Regierung beschütze Vermögende mehr als die Armen.
An die „rechte Seite“ des Plenarsaales gewandt sagte sie angesichts des Vorwurfs, das Bürgergeld sei zu hoch im Vergleich zu unteren Lohngruppen: „Sie wollen die Armen gegen die Armen aufhetzen“.
SPD appelliert an Gemeinsamkeit
Gegen Kritik von allen Seiten an der Regierungsvorlage verwahrte sich Kathrin Michel (SPD). „Wir sorgen dafür, dass alle, Berufstätige, Rentnerinnen und Rentner und Arbeitssuchende gleichermaßen gut durch diese Zeit kommen“, sagte sie und verwies auf den „historisch höchsten Wert sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“.
Mit der Politik der Ampel mache „Arbeit sehr wohl den Unterschied“ beim verfügbaren Einkommen. Michel sagte zu, den Jobcentern „auskömmliche“ Mittel zur Verfügung zu stellen, und appellierte an die Unionsfraktion: „Lassen Sie es uns gemeinsam tun“.
Rentenversicherung und Grundsicherung im Alter
Der Löwenanteil der Zuweisungen und Zuschüsse entfällt auf die Rentenversicherung und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dafür sieht der Entwurf 126,87 Milliarden Euro vor (2023: 121,05 Milliarden Euro). Darin enthalten sind die Leistungen an die Rentenversicherung mit 117,24 Milliarden Euro (2023: 111,87 Milliarden Euro).
Mit 5,11 Milliarden Euro (2023: 5,16 Milliarden Euro) beteiligt sich der Bund danach an der knappschaftlichen Rentenversicherung. 45,09 Milliarden Euro (2023: 42,68 Milliarden Euro) gehen als Zuschuss an die allgemeine Rentenversicherung, 12,08 Milliarden Euro (2023: 11,43 Milliarden Euro) an die Rentenversicherung in den neuen Ländern. Der zusätzliche Zuschuss des Bundes an die allgemeine Rentenversicherung beläuft sich auf 31,42 Milliarden Euro (2023: 30,04 Milliarden Euro). Die Beitragszahlungen für Kindererziehungszeiten („Mütterrente“) summieren sich auf 18,14 Milliarden Euro (2023: 17,26 Milliarden Euro).
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist mit 43,27 Milliarden Euro eingestellt (2023: 43,83 Milliarden Euro). Die Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung soll von 10,4 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 9,7 Milliarden Euro sinken. Die Kosten für das Bürgergeld, vormals Arbeitslosengeld II, sind im Entwurf mit 24,3 Milliarden Euro festgelegt (2023: 23,76 Milliarden Euro). Für die Eingliederung in Arbeit sieht der Entwurf 4,2 Milliarden Euro vor (2022: 4,4 Milliarden Euro).
Mit 503,7 Millionen Euro soll die Inklusion von Menschen mit Behinderungen gefördert werden (2023: 508,12 Millionen Euro). Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach dem Bundesteilhabegesetz will die Regierung mit 235,04 Millionen Euro fördern (2023: 244,57 Millionen Euro). (pst/08.09.2023)