François Morellet - Wandelbare Wand
Eröffnung
der Doppelausstellung am Dienstag, 15. Januar 2013 um 18 Uhr im Kunst-Raum des Deutschen Bundestages.
Begrüßung
Prof. Dr. Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages
Einführung in die Ausstellung
Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages
Musik
Cathrin Pfeifer, Akkordeon
Die Installation „Wandelbare Wand“
Die Installation „Wandelbare Wand“ oder „une oeuvre parfumée“ wurde von François Morellet für das Foyer der Dresdner Bank am Pariser Platz Nr. 6 in Berlin geschaffen. Konzipiert wurde sie in Zusammenarbeit mit der „edition + galerie hoffmann“ in Friedberg (Hessen). Realisiert hat sie die auf Kunstwerke aus Metall spezialisierte Arnold AG aus Friedrichsdorf bei Bad Homburg.
Das Haus am Pariser Platz gehörte zwischenzeitlich der Commerzbank und bietet jetzt dem Allianz Stiftungsforum Platz. Ursprünglich antwortete der „Wandelbaren Wand“ im Foyer die Neon-Installation „Courbette Nr. 11“, heute im Eigentum des Stiftungszentrums der Commerzbank.
Spiel der Kreisformen
Für die Installation „Wandelbare Wand“ hat Morellet Kreissegmentformen in Orange auf die Rückseite und in Rot auf die Vorderseite aufgetragen. Die Wand ist Teil der Entrauchungsanlage. Ihre sechs Elemente sind drehbar und lassen, wenn sie quergestellt sind, Luft in den Raum strömen. Durch die unterschiedliche Kombination der Elemente ergeben sich wechselnde Anordnungen und acht unterschiedliche Kreissegmentbilder.
Dieses Spiel der Kreisformen variiert „Courbette Nr. 11“ durch die Überschneidung von einem Quadrat und Viertelkreisen, durch die Verschränkung von fester Form und immateriellem Leuchtbild und durch den Akkord von Schwarz, Rot und Weiß.
Die Kreisformen nehmen die Rotunde des Foyers und den Schwung der Treppe im Haus am Pariser Platz auf und überführen die Geometrie der Architektur in ein heiter elegantes Spiel. Zugleich erwecken die wechselnden Kombinationen der Formen von Vorder- und Rückseite Assoziationen zur Öffnung der Mauer und zur fröhlichen Vielfalt der Begegnung von Ost und West: Spiel der Geometrie und Ernst der Geschichte finden einander in glücklicher Harmonie.
François Morellet figuratif
François Morellet - geboren 1926 in Cholet, Frankreich, lebt und arbeitet in Cholet und Paris - gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Konkreten Kunst der Gegenwart. Er hatte zunächst als Industrieller einen „ Brotberuf“ ausgeübt und sich parallel der Malerei gewidmet. Es entstanden Stillleben, Landschaften, bald auch abstrakte Kompositionen.
Durch das Werk Piet Mondrians beeinflusst, entschloss sich Morellet, Kunstwerke zu gestalten, die den herkömmlichen Kunstbegriff radikal in Frage stellen. Anregungen vermittelten ihm neben dem Werk Piet Mondrians Arbeiten und Theorien von Max Bill und Hans Arp. Aber auch die flächendeckenden geometrischen Ornamente, die er auf einer Spanienreise in der Alhambra entdeckte, beeindruckten ihn nachhaltig.
Manifest der Konkreten Kunst
Im Sinne des Manifestes der Konkreten Kunst von Theo van Doesburg aus dem Jahre 1930 ging es den Vertretern dieser Kunstrichtung darum, Werke zu schaffen, die auf nichts anderes außerhalb des konkreten Kunstwerkes verweisen sollten.
Ihre Kunst sollte nichts abbilden, keine Stimmung wiedergeben, auch nichts Gegenständliches abstrahieren, sondern Geistiges in Form mathematischer und geometrischer Ordnungen materialisieren: „ Das Kunstwerk muss im Geist vollständig konzipiert und gestaltet sein, bevor es ausgeführt wird. Es darf nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten. Wir wollen Lyrismus, Dramatik, Symbolik usf. ausschalten. […] Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst.“
Ein System mathematischer Formeln
In diesem Sinne entwickelt Morellet für seine Arbeiten stets zuerst ein System, etwa indem er eine mathematische Formel zugrundelegt. So greift er die Zahlenfolge der Kreiszahl Pi auf („6 zufällige Verteilungen von vier schwarzen und weißen Quadraten nach den geraden und ungeraden Zahlen von Pi“, 1958) und trägt die Zahlen in eine Abfolge von Quadraten ein: Die Quadrate mit geraden Zahlen färbt er schwarz, die mit ungeraden lässt er weiß.
Dieses Grundschema behält er für eine Serie vergleichbarer Arbeiten bei, nur die Realisierung nach Größe der Quadrate oder Farbauswahl hält er sich offen. Ihn interessiere die Methode, weniger das Resultat, erläutert Morellet seine Arbeitsweise. Deshalb bezieht er das Zufallsprinzip in die Entstehung seiner Werke mit ein.
„Zufällige Verteilung von 40.000 Quadraten“
Berühmt ist sein Gemälde „Zufällige Verteilung von 40.000 Quadraten, den geraden und ungeraden Zahlen des Telefonbuches folgend“ aus dem Jahre 1960: Sorgfältig hat Morellet Quadrat für Quadrat je nach eingetragener Zahl mit Blau oder Rot auf Leinwand gemalt. Eine ähnliche Bedeutung des Zufallsprinzipes, das den Einfluss des Subjektiven ausschalten soll, findet sich im Werk von Hans Arp und Ellsworth Kelly.
Es ist daher ein schöner Zusammenklang der Werke zweier geistesverwandter Künstler, dass der Besucher, von Westen ins Paul-Löbe-Haus kommend, zunächst die „Berlin Panels“ von Ellsworth Kelly an der Fassade sieht und dann in der Halle die Neonlichtbänder von François Morellet.
Einsatz industriell gefertigter Neonröhren
In Frankreich wurde diese Position von der „Groupe de Recherche d´Art Visuel“ getragen, an deren Gründung im Jahre 1961 Morellet beteiligt war. Bald darauf, ab 1963, setzte er erstmals industriell gefertigte Neonröhren für Leuchtobjekte ein, die gleichfalls die Möglichkeiten boten, durch die Verwendung industriell gefertigter Elemente subjektive Momente im Schaffensprozeß zurückzudrängen.
Ab dem Jahre 1970 wandte Morellet sich sogenannten architektonischen Desintegrationen zu, also dem Zusammen- oder Gegenspiel seiner geometrischen Arbeiten im dreidimensionalen Raum mit der Architektur.
Dadaismus und geometrischen Abstraktion
Bei alledem steht seine Kunst dem Dadaismus näher als der geometrischen Abstraktion oder der Minimal Art. So sind die im Kunst-Raum gezeigten Leuchtobjekte Ausdruck einer ironischen Auseinandersetzung mit Ikonen der Kunstgeschichte, einem Marine-Bild von Claude Monet aus dem 19. Jahrhundert, der „Fontäne“ von Marcel Duchamp aus dem Jahre 1917 und dem Objekt „Merda d´Artista“ von Piero Manzoni aus dem Jahre 1961.
Es handelt sich um Werke, mit denen Künstler den Kunstbegriff radikal in Frage stellten, indem sie bewusst „Anti-Kunstobjekte“ aus Protest gegen den Kunstbetrieb schufen. Wenig bekannt ist, dass diese Haltung sich bereits bei den Impressionisten vorbereitete. Indem Monet immer wieder ein- und dasselbe Motiv malte und dadurch den von der Tageszeit und den Lichtverhältnissen abhängigen optischen Eindruck gewissermaßen interesselos lediglich wiedergab, führte er den Gedanken, dass Kunst abzubilden und dabei auf Bedeutendes zu verweisen habe, ad absurdum.
Zeichenhafte Schemen
Indem Morellet diese Kunstwerke in seine Neonobjekte integriert - die Neonröhren sind so gebogen, dass der Umriss des Kunstobjektes sichtbar wird - und die „Anti- Kunstobjekte“, zu zeichenhaften Schemen entmaterialisiert, „reine“ Kunst werden lässt, verweist seine konkrete Kunst auf einmal auf Gegenständliches, sie wird „figuratif“: Deshalb hatte er sich genau diesen Titel für die Ausstellung im Kunst-Raum ausgesucht, ironisch, denn in Wirklichkeit bleiben seine Neonlichtarbeiten nichts weiter als sich selbst genügende Leuchtobjekte.
Ein weiteres Beispiel der ironischen Arbeitsweise Morellets ist zur Zeit im Mauer-Mahnmal zu besichtigen. Fotos zeigen die Skulptur „Wandelbare Wand“, die der Künstler für die Niederlassung der Dresdner Bank am Brandenburger Tor schuf. Sie ist heute im Besitz der dort ansässigen Allianz Stiftung.
Eine Skulptur als Huldigung
Wenn die sechs Säulen der kinetischen Skulptur sich drehen, bilden das Rot der Vorderseite und das Orange der Rückseite wechselnde geometrische Bilder. So lässt sich diese Skulptur als eine Huldigung an das epochale Ereignis der Öffnung der Mauer verstehen und als Einladung zum Miteinander von Ost und West.
Zugleich aber, ganz praktisch, gewährleisten die drehbaren Wandelemente an dieser Stelle im Brandfall den Rauchabzug - deshalb der französische Nebentitel „une oeuvre parfumée“.
Ständige Installation im Bundestag
Eine ständige Installation Morellets im Deutschen Bundestag trägt den Titel „Haute et basse tension“. Er hat sie für den Deutschen Bundestag beim Neubau des Paul-Löbe-Hauses in den Jahren 1999 bis 2001 geschaffen: Beginnend mit einem straff gespannten, rot leuchtenden Neonlichtband, leiten von der Decke durchhängende weitere Neonlichtbänder in den Farben Gelb, Grün und Blau von West nach Ost durch die Halle des Paul-Löbe- Hauses.
Die Installation setzt sich ins Marie-Elisabeth- Lüders-Haus fort mit einem einzelnen weißen Neonelement, das von einem schwarzen Band gehalten wird. Morellets Neonlichtbänder setzen der klaren und strengen Gliederung der Halle ihren eigenen heiter-bewegten Rhythmus entgegen: „ Architektonische Desintegrationen“ im besten Sinne künstlerischer Autonomie.
Text: Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages
Ausstellungsort
Mauer-Mahnmal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Zugang über die Spree-Uferpromenade
Schiffbauerdamm, 10117 Berlin
Öffnungszeiten
dienstags bis sonntags von 11.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei.
Kontakt
kunst@bundestag.de
www.kunst-im-bundestag.de
www.mauer-mahnmal.de