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Ausstellung: Inventarisierung der Macht - Die Berliner Mauer aus anderer Sicht

Schwarz-weiß-Foto: ein Mann filmt den Fotografen; neben ihm steht eine Frau mit Sonnenbrille im 60er-Jahre-Stil.

Schuss/Gegenschuss. Clara-Zetkin-Straße/Reichstag, Frühsommer 1966 (Ausschnitt) 52° 31‘ 04,69„ N, 13° 22‘ 38,10“ 0 (© BArch, DVH 58 Bild-GR35-10-016 / ohne Angabe)

Annett Gröschner / Arwed Messmer

6. November 2024 bis 27. April 2025

Eröffnung am 5. November 2024 um 18 Uhr
durch die Vizepräsidentinnen des Deutschen Bundestages Yvonne Magwas und Aydan Özoğuz.
Annett Gröschner und Arwed Messmer sind anwesend.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Ausstellung ist ab 17 Uhr zugänglich.

Die Berliner Mauer stand 28 Jahre, vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989, als sie in einer Nacht ihren Schrecken verlor. Inzwischen ist sie aus dem Stadtbild verschwunden, aber die Spuren der Teilung sind auch 35 Jahre später noch spürbar. Im kollektiven Gedächtnis ist die Berliner Mauer ein Band aus Beton um Westberlin. 1966 aber war sie ein ephemeres Gebilde aus Hausmauern, Zementplatten, Drahtzäunen und Stacheldraht. Dieser frühen Berliner Mauer widmen sich Annett Gröschner und Arwed Messmer in einem Langzeitprojekt. 1995 hatten sie im Militärischen Zwischenarchiv in Potsdam auf der Suche nach Bildern eines Mauerabschnitts einen unscheinbaren Pappkarton geöffnet. Sie fanden eine große Anzahl zusammengerollter Kleinbildfilme – und ahnten nicht, dass dieses Material sie viele Jahre beschäftigen würde. Diese Überlieferungen aus dem Archiv der Grenztruppen waren Einzelbilder, die zusammengesetzt Panoramen ergaben, die die Mauer von 1965/1966 zeigten, von Soldaten fotografiert, um ihren Ist-Zustand für die mit der baulichen Weiterentwicklung beauftragten Bauingenieure zu dokumentieren. 

Aus diesen Bildern hat Arwed Messmer im Sinne einer „bildarchäologischen Praxis“ (Florian Ebner) eine vollständige Bilddokumentation entwickelt. Die Schriftstellerin Annett Gröschner verdichtete die Protokolle der Grenztruppen literarisch zu Bildunterschriften, die zeit- und ortsgleich die Begegnungen zwischen Menschen auf beiden Seiten der Mauer verhandeln. Unter dem Titel Aus anderer Sicht. Die frühe Berliner Mauer zeigten sie 2011 eine Ausstellung in Berlin und Aix-en-Provence, begleitet von einer eigenständigen Publikation. 2012 entdeckten Gröschner und Messmer ein weiteres umfangreiches Bildkonvolut des Außenrings der Berliner Mauer zwischen Westberlin und dem damaligen Bezirk Potsdam, ebenfalls aus dem Jahr 1966, das in über 1000 Horizontalsequenzen und Einzelbildern eine lückenlose Ansicht der gesamten ca. 160 Kilometer langen Berliner Mauer mit dem Blick von Ost nach West möglich machte. Diese topografische Gesamtansicht wurde 2016 in einer zweiten Ausstellung gezeigt. Ihr Titel Inventarisierung der Macht beschreibt das Methodische der Vorgehensweise. Die Hinterlassenschaft eines niedergegangenen Staates, im Archiv konserviert und ihrer ursprünglichen Funktion entledigt, wird noch einmal ausgebreitet und unter künstlerischen Gesichtspunkten neu geordnet. Das Ausstellungskonzept verweist auf die Herkunft des Materials: Eine Lesesaalsituation, wie sie im Archiv gegeben ist, steht als Mittelpunkt der Arbeit im Raum. Ergänzt werden die Panoramen durch literarische Collagen aus Grenzdienst- oder Ehrenbüchern und Protokolle der Grenztruppen über Fluchten, die in der Sprache einer nachgeborenen Generation neu erzählt werden. Die Menge von Wachtürmen, Fluchttunneln und -leitern, Porträts von Grenzsoldaten und Namen von Diensthunden schärft in ihrer scheinbaren Serialität den Blick auf die Ausnahme, das Individuelle. Gerade die schier überwältigende Masse an Bildern zeigt die Verletzung der Landschaft und die ästhetische Konsequenz, die die Entscheidung für die lückenlose Absperrung eines Territoriums hat. Die Sprache der Akten und Bilder entlarvt das Bauwerk als endlos erscheinende Sperre gegen die eigene Bevölkerung. 

In dieser Ausstellung im Mauer-Mahnmal des Deutschen Bundestages, dessen Grund einst zum Todesstreifen auf Ostberliner Seite gehörte, während das Gebäude des Reichstags am anderen Spreeufer Westberliner Territorium war, zeigen Gröschner und Messmer eine modifizierte und erweitere Version der 2016 gezeigten Ausstellung, zu der ein mit mehreren Preisen prämiertes zweibändiges Buch erschien. Zusätzlich werden erstmalig Originalakten aus dem Bundesarchiv ausgestellt, die die Grundlage für die künstlerische Arbeit von Annett Gröschner und Arwed Messmer bilden, sowie ein Postskriptum über eine gescheiterte Ballonflucht nach Westberlin im Frühjahr 1989.

Ausstellung bis zum 27. April 2025 im Mauer-Mahnmal des Deutschen Bundestages.

Der Eingang befindet sich am Spreeufer des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Zugang ohne Voranmeldung während der Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.

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