Und da war sie aus Gips - Die Rekonstruktion der Quadriga vom Brandenburger Tor
30. Oktober 2020 bis 26. Oktober 2022
Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages hat im Jahre 2020 beschlossen, sich an diesem Kooperationsprojekt von Landesdenkmalamt Berlin und der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin zu beteiligen. Als Ort für die Schau-Werkstatt konnte der Deutsche Bundestag das Mauer-Mahnmal anbieten, so dass hier symbolträchtig das Gedenken an die Mauertoten und die Geschichte von Brandenburger Tor und Quadriga zusammenfinden.
Es mag im ersten Augenblick überraschen, dass der Deutsche Bundestag und speziell der Kunstbeirat des Bundestages ein Mauer-Mahnmal für die Öffentlichkeit betreut. Das hat einen unmittelbaren stadtgeschichtlichen wie architektonischen Hintergrund: Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus überbaut die ehemalige Hinterlandmauer im Spreebogenbereich. Deren Original-Segmente wurden von Ben Wagin gerettet und konnten an ihrem authentischen Ort wieder aufgebaut werden. Ergänzt werden sie durch ein Mauertotengedenkbuch, das an die zahlreichen Opfer in diesem Bereich erinnert, da für Flüchtlinge die rettende Grenze erst am anderen Ufer der Spree erreicht war. Damit stellt sich der Bundestag einer wichtigen Pflicht, zu erinnern - sowohl an die Opfer der Mauer als auch an die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas.
Die Rekonstruktion der Quadriga bereichert das Mauer-Mahnmal als einen Ort der Begegnung mit der Geschichte, sie öffnet die Perspektive über jene Zeitenwende des Mauerfalls hinaus zum Jahre 1792 und zur Gegenwart. Für diese historische Dimension ist bedeutsam, dass die im Mauer-Mahnmal präsentierte Fassung der Quadriga nicht lediglich einen Abguss der Skulpturengruppe auf dem Brandenburger Tor darstellt, sondern dass hier erstmals seit Jahrzehnten die historischen Gipsformen der Quadriga zusammengeführt werden können. Sie spiegeln europäische Ereignisse, aber eben auch die deutsche Geschichte in allen ihren Höhen und Tiefen wider: Im Auftrag des nationalsozialistischen Regimes 1942 heimlich vorgenommene Abformungen, in einer überraschenden Ost-West-Kooperation mitten im „Kalten Krieg“ ausgegossen und zusammengesetzt, tragen und dokumentieren die Gipsformen Spuren der Geschichte, die an der Quadriga-Replik auf dem Brandenburger Tor nicht mehr nachzuvollziehen sind. Die Sicherung und Rekonstruktion der Gipsformen stellt zudem sicher, dass künftig Schäden historisch sachgerecht ausgebessert werden können.
Zugleich lassen sich anhand der Quadriga die vielfältigen Inanspruchnahmen und Deutungen eines solch ikonischen Kunstwerkes aufzeigen, sei es durch Preußen, das Kaiserreich, die Weimarer Republik oder in der Zeit des Nationalsozialismus und des „Kalten Krieges“. Beide Monumente, Mauer und Quadriga, eröffnen so mit unterschiedlicher Akzentuierung einen weiten Assoziationsraum zur deutschen und europäischen Geschichte und Identität - deren vielfältige Brüche sich im Zusammenspiel beider Werke offenbaren.
Für das Jahr 2023 wird eine Ausstellung vorbereitet, die das Ergebnis der zweijährigen Arbeit der Gipsformerei anschaulich präsentieren wird.