Experten uneins bei der CO2-Speicherung und -Nutzung
Zeit:
Mittwoch, 6. November 2024,
11 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.600
Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie hat sich im Rahmen einer Sachverständigen-Anhörung am Mittwoch, 6. November 2024, mit dem Entwurf eines Gesetzes „zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes“ (20/11900, 20/12717) befasst. Das Gesetz soll so geändert werden, dass zur Erreichung der Klimaziele Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid in tiefen geologischen Gesteinsschichten (Englisch: Carbon Dioxide Capture and Storage, CCS) möglich wird.
„Vermeidung geht vor Speicherung“
Matthias Belitz vom Verband der Chemischen Industrie betonte: „Vermeidung geht vor Speicherung.“ Aber ohne CO2-Speicherung (CCS) und -Nutzung (CCU) seien die Klimaziele nicht erreichbar. Sorgen machten ihm die immensen Leitungskosten: Im Unterschied zum Wasserstoffkernnetz sei bisher eine rein private Finanzierung der Leitungen vorgesehen. Hier plädiere er analog zum Wasserstoffkernnetz für ein Amortisationskonto des Bundes oder dafür, etwas anderes zu schaffen, um die Startkosten finanziell abzusichern.
Dr. Anne-Mette Cheese aus Dänemark (Harbour Energy) mahnte Tempo an. Das Regelungsgerüst mache es unwahrscheinlich, dass in Deutschland Offshore-Speicher im notwendigen Umfang und Zeitrahmen geschaffen werden können, sagte Cheese, und drängte auf die rasche Ermöglichung des grenzüberschreitenden CO2-Transportes zwecks Speicherung unter dem Meeresgrund.
„CCS und CCU so begrenzt wie möglich einsetzen“
Carolin Dähling hingegen warnte vor „zahlreichen Risiken technischer und wirtschaftlicher Natur“ und warb deshalb dafür, CCS und CCU so begrenzt wie möglich einzusetzen, nämlich ausschließlich für schwer vermeidbare Emissionen, für die es aktuell keine emissionsfreien Alternativen gibt.
Alexandra Decker von der Cemex Deutschland AG sprach im Namen eines solchen Unternehmens, das als Zementhersteller unvermeidbare Emissionen produziert. „Wenn die Zementindustrie klimaneutral werden will, dann ist eine langfristige Speicherung die einzige Chance“, sagte Decker und hatte damit Sebastian Lübbers von der Prognos AG an ihrer Seite: CCS sei nötig, müsse aber sehr gezielt eingesetzt werden, sagte Lübbers.
Technologieeinsatz und staatliche Planung
Dr. Julia Metz (Agora Industrie) hob zwei Punkte als wichtig für den Klimaschutz hervor: Einen Einsatz der Technologien streng fokussiert auf technisch unvermeidbare Emissionen – und die Notwendigkeit einer staatlichen Planung, die den Gesamtbedarf deutschland- und europaweit im Blick hat.
Neelke Wagner (PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft) hält den Gesetzentwurf grundsätzlich für verfehlt. Es bestehe die Gefahr, dass eine Verabschiedung des Gesetzes echte Anstrengungen zur Emissionsvermeidung verschleppen und Fehlanreize zur andauernden weiteren Kohlendioxidemission setzen würde.
„Potenziale der Kreislaufwirtschaft ausschöpfen“
Viviane Raddatz vom WWF Deutschland sagte, bevor CCU in Erwägung gezogen werde, müssten die Potenziale der Kreislaufwirtschaft ausgeschöpft werden. Und Emissionen müssten mindestens 200 Jahre gespeichert werden, da es sonst nur eine temporär verschobene Emission wäre, denn das CO2 entweiche wieder. Solche „geparkte“ Emissionen seien eine reelle Gefahr für den Klimaschutz.
Dr. Carsten Rolle vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) berichtete, am Pilotstandort Ketzin sei nachgewiesen worden, dass eine sichere und langfristige Speicherung auch an Land technisch möglich sei. Der BDI begrüße daher, dass den Bundesländern die Möglichkeit eingeräumt werde, sich zum Thema Onshore-Speicherung durch eine Beitrittsklausel zu positionieren. Durch eine Speicherung an Land könnten rund 50 Prozent geringere Kosten für den CO2-Transport und die CO2-Speicherung erzielt werden, sagte Rolle.
„Erfahrungen der Kommunen nutzen“
Die Bedenken und Erfahrungen der Kommunen im Blick zu haben und zu nutzen – dafür warb Nadine Schartz von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Wie auch bei anderen Vorhaben des Ausbaus der erneuerbaren Energien und des Netzausbaus insgesamt lasse sich hier das Verständnis der Bevölkerung gewinnen und die Akzeptanz der Maßnahmen besser gewährleisten .
Christina Stoldt vom Deutschen Naturschutzring warnte, die seismische Erkundung mit Schallkanonen, der Hochlauf einer CCS-Infrastruktur und das Monitoring würden zu einer weiteren Industrialisierung der Nordsee und der Küsten führen. Dies schädige ihre für die Menschheit lebenswichtige Fähigkeit, große Mengen an atmosphärischem CO2 und organischem Kohlenstoff zu binden und so als natürliche Senke zu funktionieren.
Dr. rer. nat. Martin Wehlan von der Gesellschaft für Fortschritt in Freiheit konstatierte, eine Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre sei „reine Verschwendung von Energie, Geld und Materialien“, denn es gebe kein naturwissenschaftliches Experiment, das belege, dass Luft mit höherem CO2-Anteil mehr Wärme speichere.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung hält zur Erreichung der Klimaziele Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid in tiefen geologischen Gesteinsschichten für unverzichtbar. Mit dem Entwurf will die Regierung die dauerhafte Speicherung von Kohlendioxid in unterirdischen Gesteinsschichten des Festlandsockels und der ausschließlichen Wirtschaftszone zu kommerziellen Zwecken im industriellen Maßstab ermöglichen und ein einheitliches Zulassungsregime für alle Kohlendioxidleitungen schaffen. Hierzu sollen der Zweck und der Geltungsbereich des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) sowie die Begriffsbestimmung für Kohlendioxidleitungen entsprechend angepasst werden. Das KSpG wurde als Rechtsrahmen zur Überprüfung der wirtschaftlichen und technischen Machbarkeit von CCS und hinsichtlich ihrer Unbedenklichkeit für die menschliche Gesundheit sowie für Natur und Umwelt geschaffen. Das Gesetz wurde zuletzt Ende 2022 evaluiert und die Anpassung des Rechtsrahmens empfohlen. Das vorliegende Gesetz dient der Umsetzung dieser Empfehlungen.
Die Genehmigung von Leitungen zum Transport von Kohlendioxid sei aktuell mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Durch das vorliegende Gesetz sollen diese bereinigt und klare Verfahrensregeln für Kohlendioxidleitungen zum Zwecke von CCS/CCU festgelegt werden. Neben dieser Ermöglichung des Baus einer Kohlendioxid-Transportinfrastruktur geht es auch um geeignete Speicherstätten für Kohlendioxid. Das KSpG enthält zwar Regelungen zur Errichtung von Kohlendioxidspeichern in Deutschland, ermöglicht aber nur die Speicherung zur Erforschung, Erprobung und Demonstration von Technologien zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid in unterirdischen Gesteinsschichten. Mit dem vorliegenden Gesetz soll auch die Errichtung von Kohlendioxidspeichern zum kommerziellen Einsatz im industriellen Maßstab ermöglicht werden. Mit diesem Gesetz sollen künftige Vorhaben grundsätzlich auf das Gebiet des Festlandsockels und der ausschließlichen Wirtschaftszone beschränkt werden. (mis/06.11.2024)