Wochenzeitung „Das Parlament“ - „Wir brauchen eigene Nahrungsmittelversorgung“
Artur Auernhammer, CSU-MdB, warnt vor Abhängigkeit Deutschlands bei der Lebensmittelversorgung
Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 20. Januar 2024)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Berlin. Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Landwirt Artur Auernhammer hat davor gewarnt, die eigenständige Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln aufzugeben. Im Interview mit der Zeitung „Das Parlament“ sagte der Parlamentarier, gerade der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine habe „überdeutlich gezeigt“, wozu Abhängigkeit – in diesem Fall bei der Energieversorgung – führe. Auernhammer erklärte vor dem Hintergrund der aktuellen Bauernproteste: „Es gab die große Sorge, wie dieses Land über die nächsten Winter kommt. Das Gleiche kann mit der Nahrungsmittelversorgung passieren, dazu reicht eine internationale Krise.“ Deutschland habe heute bereits in vielen Bereichen keine Selbstversorgung mehr, beispielsweise bei Obst und Gemüse: „Bei Milch, Fleisch und Getreide sind wir noch gut versorgt, deshalb sollte die eigenständige Versorgung mit Lebensmitteln beibehalten werden.“ Auernhammer betonte in dem Interview, der Erhalt der Landwirtschaft in Deutschland sei deshalb unbedingt wichtig: „Keiner würde beispielsweise auf den Gedanken kommen, dass wir keine eigene Gesundheitsversorgung mehr haben.“
Das Interview im Wortlaut:
„Ergebnisse der Borchert-Kommission 1:1 umsetzen“
Die Bundesregierung soll Konzepte, die zum Umbau der Landwirtschaft vorliegen umsetzen, meint der CSU-Politiker und Landwirt
Herr Auernhammer, seit Wochen demonstrieren die Landwirte gegen Sparbeschlüsse der Bundesregierung. Woher kommt die Wut?
Bei den Landwirten hat sich über Jahre etwas aufgestaut. Frust über immer mehr Auflagen, die die Politik in immer kürzeren Zeitabständen aufgegeben hat, verbunden mit einer enormen Bürokratie - die jetzigen Kürzungsbeschlüsse der Regierung haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Die geplante, aber zurückgenommene Kürzung der Kfz-Steuer hätte einen enormen bürokratischen Aufwand bedeutet, das wäre vor allem für kleine und mittlere Betriebe schwer gewesen. Der Wegfall der Agrardieselrückvergütung betrifft nicht nur die Landwirte, sondern jeden Produktionszweig in der Nahrungsmittelversorgung.
Die Bundesregierung will die Kürzungen beim Agrardiesel nicht zurücknehmen, sondern nur eine Übergangszeit zugestehen. Was halten Sie von den Vorschlägen, eine Tierwohlabgabe einzuführen und Bürokratie abzubauen?
Das ist überhaupt nichts Neues! Nichts Innovatives, nichts, was den Berufsstand und den ländlichen Raum nach vorne bringt! Die Konzepte der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft liegen auf dem Tisch und müssten nur umgesetzt werden.
2022 erhielt die Landwirtschaft sieben Milliarden Euro von der Europäischen Union sowie 2,4 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt. Werden die Mittel falsch verteilt? Kommt der Mittelstand zu kurz?
Die jetzige GAP-Förderperiode, von 2021 bis 2027, nimmt die Größe der geförderten Betriebe zu wenig in den Fokus. Kleine und mittlere Betriebe müssten mehr Unterstützung erhalten. Großbetriebe brauchen nicht die Unterstützung pro Hektar gerechnet, so wie es derzeit läuft. Ich bin für eine stärkere Degression, je größer ein Betrieb, desto geringer die Mittelzuweisung.
Sind die Proteste nicht überzogen, die Branche ist doch hochsubventioniert?
Man muss die Subventionen vor dem Hintergrund betrachten, dass dieses Land eine eigene Nahrungsmittelproduktion bereitstellt, um die Bevölkerung zu versorgen. Zudem werden mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit zwei Drittel der hiesigen Flächen bewirtschaftet, egal, ob Acker, Felder oder Wald. Das alles hat Auswirkungen auf die Kulturlandschaft, auf Biodiversität und den Naturschutz. Diese Leistungen kann die Landwirtschaft nicht zum Nulltarif erbringen. Zudem ist es mehr als fraglich, dass wir uns abhängig machen von Lebensmittelimporten aus Ländern, in denen Produktionsmethoden äußerst fragwürdig sind.
Warum ist der Erhalt der Landwirtschaft in Deutschland so wichtig?
Gerade der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat überdeutlich gezeigt, wozu Abhängigkeit - in dem Fall der Energieversorgung - führt. Es gab die große Sorge, wie dieses Land über die nächsten Winter kommt. Das Gleiche kann mit der Nahrungsmittelversorgung passieren, dazu reicht eine internationale Krise. Deutschland hat heute bereits in vielen Bereichen keine Selbstversorgung mehr, beispielsweise bei Obst und Gemüse. Bei Milch, Fleisch und Getreide sind wir noch gut versorgt, deshalb sollte die eigenständige Versorgung mit Lebensmitteln beibehalten werden. Keiner würde beispielsweise auf den Gedanken kommen, dass wir in unserem Land keine eigene Gesundheitsversorgung mehr haben.
In den vergangenen Jahren hatten die Landwirte immer mehr Vorgaben in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit umzusetzen. Dazu kamen die Wünsche der Verbraucher nach mehr Tierwohl. Wie ist das auf eine Reihe zu bringen?
Gerade bei der Tierhaltung hat die Gesellschaft gewisse Anforderungen an die Produktion, die nicht immer mit der Realität übereinstimmen. Tierhaltung hat das Tierwohl im Auge, aber immer auch wirtschaftliche Aspekte. Es gilt auszutarieren, was uns die heimische Produktion wert ist. Eine Alternative wäre, wir hätten keine heimische Fleischproduktion mehr und das Fleisch käme als Importe aus anderen Ländern. Zum Beispiel das Schweinefleisch aus den Hochhausfabriken Chinas. Das ist von niemandem gewollt, deshalb braucht es einen Ausgleich für den Preis, der durch höherwertig produzierte Produkte entsteht.
Wie soll das aussehen?
Acht von zehn Verbrauchern geben bei Umfragen an, sie seien bereit, mehr für höherwertig produziertes Fleisch zu zahlen. Wenn die zehn dann aber in den Supermarkt gehen, kann oder will nur ein sehr geringer Teil das teurere Produkt kaufen und für die Mehrkosten zahlen. Beim Umbau zu mehr Tierwohl ist deshalb eine zusätzliche Finanzierung notwendig. Dazu hat die Borchert-Kommission zusammen mit der gesamten Branche Vorschläge erarbeitet und Finanzierungsvorschläge gemacht. Das kann zum einen durch eine konkrete Abgabe, aber auch durch den Bundeshaushalt finanziert sein. Alleine durch die Entscheidung der Verbraucher kommen wir allerdings nicht zu mehr Tierwohl.
Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die von Ihnen erwähnte Borchert-Kommission, hat 2020 Vorschläge für einen Umbau der Tierhaltung in mehreren Stufen bis zum Jahr 2040 vorgelegt. Sind die Borchert-Vorschläge überhaupt zu finanzieren und mit dem EU-Recht vereinbar?
Wir müssen die Ergebnisse der Borchert-Kommission 1:1 umsetzen! Es geht dabei auch um die Erhaltung der Vielfalt der landwirtschaftlichen Struktur. Beim Umbau der Tierhaltung müssen gerade kleine und mittlere Betriebe unterstützt werden. Die Regierung muss im Hinblick auf Haushaltsfragen abwägen, ob für eine souveräne Lebensmittelproduktion zusätzliche Finanzmittel ausgegeben werden sollen.
Was hat die Wut der Bauern mit dem Umgang der Politik mit den Ergebnissen der Borchert Kommission zu tun?
Die Vorschläge liegen vor, und es wäre an dieser Regierung gewesen, sie umzusetzen. Die Ergebnisse sind durch Diskussionsprozesse innerhalb der Branche, der Politik, des Umwelt- und Verbraucherschutzes entstanden, die öffentliche Hand muss das unterstützen. Ein Beispiel: Ein Nebenerwerbsbetrieb mit 15 Kühen im Allgäu, der seinen Stall umbauen will, kann das derzeit nicht mehr finanzieren. Er würde schließen müssen. Doch dieser Betrieb sorgt dafür, dass das Grünland gepflegt wird, dass die Flächen freigehalten werden, dass Artenvielfalt stattfindet. Der Betrieb leistet viel für die Allgemeinheit, deshalb sollten wir das auch weiter unterstützen.
Ein Streitpunkt sind die Ziele des Ökolandbaus. Der Green Deal der EU-Kommission und der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sehen vor, dass bis zum Jahr 2030 der Anteil der ökologischen Landwirtschaft bei 25 bzw. 30 Prozent liegen soll. Sind solche festen Zielvorgaben sinnvoll?
Gewisse Vorgaben machen Sinn, um eine Motivation zur Veränderung anzuschieben. Ich als Landwirt und Praktiker sehe aber auch, welche realen Möglichkeiten gegeben sind, um diese Ziele zu erreichen. Der Ökolandbau merkt derzeit sehr deutlich, dass die Absatzmöglichkeiten beschränkt sind. Der Verbraucher hat weniger Geld zur Verfügung, das er für Lebensmittel ausgeben will. Wir merken, dass der Ökomarkt Absatzschwierigkeiten hat. Derzeit ist beispielsweise die Getreidesorte Dinkel aktuell kaum mehr absetzbar. Aktuell liegt eine komplette Jahresernte, das sind etwa 300 000 Tonnen, unverkäuflich im Lager.
Die Proteste der Bauern sollen weitergehen, was ist für die nächsten Wochen zu erwarten?
In den nächsten Wochen wird die Landwirtschafts- und Agrarpolitik weiter im Fokus stehen, auch auf der Grünen Woche. Bei der Frage um die Landwirte geht es nicht nur um die Zukunft der Höfe, sondern um die gesamte Zukunft des ländlichen Raums, um die Frage: Wie soll die Struktur dieser Regionen aussehen, auch im Hinblick auf die Daseinsvorsorge? Das muss sehr viel stärker in den Blick genommen werden, sonst wandern immer mehr Menschen in die Ballungsräume ab, und dort entstehen dann neue Probleme, wie beispielsweise unbezahlbarer Wohnraum.
Das Gespräch führte Nina Jeglinski
Artur Auernhammer (CSU) ist Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Mitglied des Bundestages 2004 bis 2005 und seit 2013 für den Wahlkreis Ansbach, Franken.
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