Kritik an Abschiebungen von Jesiden in den Irak
Berlin: (hib/SAS) Nach Protesten gegen Abschiebungen von Jesiden in den Irak hat der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Mittwochnachmittag Lage und Rückkehrperspektiven der Jesiden in ihre Heimat erörtert. Dabei hinterfragten Abgeordnete die gesunkene Schutzquote von irakischen Jesiden in Deutschland und erinnerten an den einstimmigen Beschluss des Bundestags, die IS-Verbrechen gegen Jesiden als Genozid anzuerkennen. Vor dem Hintergrund einer weiterhin fragilen Sicherheitslage seien Abschiebungen nicht hinnehmbar, kritisierten einzelne Ausschussmitglieder.
Ende Oktober hatten vor dem Bundestag Angehörige der religiös-ethnischen Minderheit, die in Nordsyrien, der Türkei sowie im Nordirak beheimatet ist, gegen drohende Abschiebungen mit einem Hungerstreik demonstriert. 2014 waren Jesiden im Nordirak Opfer von brutalen Angriffen des „Islamischen Staates“ geworden. Jesidische Männer waren zu Tausenden von der Terrormiliz umgebracht, Frauen und Kinder versklavt worden. Zehntausende flüchteten, unter anderem nach Deutschland, wo sich heute die größte jesidische Diaspora weltweit befindet.
Die aus dem Bundestagsbeschluss erwachsende Aufgabe und Verpflichtung, sich für Rückkehrperspektiven einzusetzen, nehme die Bundesregierung sehr ernst, betonten Vertreter von Auswärtigem Amt (AA), Bundesinnenministerium (BMI) und Bundesentwicklungsministerium (BMZ) in der Sitzung des Ausschusses. Im März sei Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) in den Nordirak gereist. Zentral im Bemühen um eine Zukunft der Jesiden in ihrer Heimat sei das 2020 geschlossene Sindschar-Abkommen, erklärten Vertreter von AA und BMZ. In Gesprächen mit der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung dringe die Bundesregierung immer wieder auf die Umsetzung. Doch diese sei noch ausbaufähig, klärte der AA-Vertreter. Hoffnung mache zwar ein im irakischen Haushalt erstmalig vorgesehener Wiederaufbaufonds für die Region Sindschar im Nordirak, doch noch hinderten Minen und Sprengfallen des IS sowie zerstörte Häuser, Straßen, Schulen und Stromversorgung die Menschen an einer Rückkehr.
In ihrer Hilfe konzentriere sich die Bundesregierung neben Unterstützung der Strafverfolgung bewusst auf den Wiederaufbau sowie die Unterstützung der Geflüchteten, die im Nordirak noch immer zu Hundersttausenden in Camps lebten. Die Vertreterin des BMZ verwies konkret auf Programme zur Wiederinstandsetzung von Wohnraum und Infrastruktur, psycho-soziale Betreuung, Beschäftigungsmaßnahmen sowie Projekte zur lokalen Wirtschaftsförderung. Aufgrund der fragilen Sicherheitslage sei die Situation aber weiterhin schwierig, machte die BMZ-Vertreterin deutlich.
Anders als in den Jahren 2014 bis 2017 gehe man mit Blick auf den Irak aber nicht mehr von einer Verfolgung der Jesiden als Gruppe aus, erklärte wiederum der Vertreter des Bundesinnenministeriums. Zugleich verwies der AA-Vertreter auf Probleme in Sindschar und die schwierigen Bedingungen in den Camps in Dohuk im Nordirak.
Die Schutzquote des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für geflüchtete Jesiden aus dem Irak lag nach Angaben des BMZ 2022 bei 48,6 Prozent. Damit erhält etwa die Hälfte der asylsuchenden irakischen Jesiden Schutz in Deutschland, während Jesiden aus Syrien laut BMI fast immer als schutzbedürftig eingestuft werden. 2023 seien insgesamt 135 Personen in den Irak abgeschoben worden, so der BMI-Vertreter. Wie viele Jesiden darunter gewesen seien, dazu könne das BMI keine Angaben machen. Der Bund erfasse die Religionszugehörigkeit nicht.
Dass eine solche, im Fall der Jesiden entscheidende Information nicht erfasst werde, kritisierten einzelne Abgeordnete scharf. Andere thematisierten die Möglichkeit eines Abschiebestopps oder einer Stichtagsregelung für Jesiden und drängten zu einem noch entschiedeneren Einsatz für die Umsetzung des Sindschar-Abkommens.