Bericht zur Pflegezeit thematisiert
Berlin: (hib/LL) Die Pflege eines Angehörigen darf nicht zu einer beruflichen Schlechterstellung führen. Das unterstrich Andreas Hoff, stellvertretender Vorsitzender des Unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, im Fachgespräch des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Mittwochmittag bei der Vorstellung des „Teilberichts zur Weiterentwicklung der Pflegezeit und Familienpflegezeit“. Darin werden Veränderungen bei der Pflegezeit und die Einführung eines Familienpflegegeldes vorgeschlagen.
4,6 Millionen Pflegebedürftige gebe es in Deutschland, rief Hoff in Erinnerung. Fast fünf Millionen Menschen, Verwandte oder Vertraute pflegten jemanden privat zuhause. Die Hälfte davon sei erwerbstätig. Eine beträchtliche, weiter steigende Zahl, die von erheblicher volkswirtschaftlicher Relevanz sei.
Die „gesamtgesellschaftlich relevante Übernahme von Pflegearbeit“ dürfe aber nicht dazu führen, dass Menschen der Erwerbsarbeit den Rücken kehrten, hohe Einkommensverluste hinnehmen oder auf Rentenansprüche verzichten müssten, sagte Hoff. Angesichts eines akuten Fachkräftemangels könne es sich Deutschland auch nicht leisten, wenn Arbeitskräfte aus dem Beruf ausscheiden, um zu pflegen, so der Sachverständige.
Aus diesem gesellschaftlichen Kontext ergebe sich die Notwendigkeit einer Reform. Um Pflege und Erwerbstätigkeit besser miteinander kombinieren zu können, schlage der Beirat Veränderungen im Familienpflegezeitgesetz sowie die Einführung eines Familienpflegegeldes vor, was auf eine Erweiterung der Ansprüche hinauslaufe.
Um eine Pflegetätigkeit im häuslichen Umfeld wahrnehmen zu können, solle ein Arbeitnehmer sich in einem Zeitraum von 36 Monaten, in dem er seine Arbeitszeit auf maximal 32 Wochenstunden reduziert, maximal für ein halbes Jahr komplett freistellen lassen können. Zum Kreis der Anspruchsberechtigten wolle man auch Selbständige zählen. Um zu vermeiden, dass eine Person die gesamte Last der Pflege trägt, könne die Pflegezeit für einen Pflegefall unter mehreren Angehörigen aufteilbar sein. Jeder Pflegende solle zudem die Pflegezeit in mehre Zeitabschnitte aufteilen können.
Der Beirat sei sich bewusst, dass zahlreiche Angehörige viel länger pflegten, im Schnitt dreieinhalb bis fünf, in manchen Fällen auch zehn Jahre oder länger, etwa im Fall pflegebedürftiger Kinder. „Für diese Menschen müssen wir eine Lösung finden.“ Aber die 36 Monate betrachte man als „einen ersten wichtigen Schritt“.
Mit der Einführung eines einkommensabhängigen, steuerfinanzierten Familienpflegegeldes, das maximal 36 Monate gewährt werden solle, wolle der Beirat eine „Gerechtigkeitslücke schließen“, betonte Hoff. Viele Menschen fragten sich, warum es entsprechend zu den Lohnerstatzleistungen für die Betreuung Minderjähriger keine Leistung für die Betreuung Pflegebedürftiger gebe. Das Familienpflegegeld solle so ausgestaltet werden, dass es von den pflegenden Angehörigen hintereinander oder gleichzeitig beansprucht werden könne.
Bei der Berechnung und Höhe der Beträge lehne man sich an die Logik des bekannten Elterngeldes an. Komme es dort im Zuge einer Änderung des Bundeseltergeldgesetzes zu einer Erhöhung oder Dynamisierung der Beträge, müsse dies analog für das Familienpflegegeld gelten.
Die Gewährung eines Familienpflegegeldes werde zu einer größeren Wertschätzung der Pflegetätigkeit führen. Dabei handele es sich wie bei der Ausweitung der Pflegezeit nur um einen „ersten Schritt, dem weitere folgen“ müssten.
Auch im Bereich der Sozialversicherung sollten pflegende Angehörige keine Nachteile erleiden, sagte Hoff. Die Kündigungsschutzregel solle beibehalten werden. Geringere Beiträge etwa für die Altersabsicherung müssten dringend ausgeglichen werden.
Es sei extrem wichtig, die Rechte von pflegenden Angehörigen mit einer zuverlässigen gesetzlichen Regelung zu stärken, sie damit im Erwerbsleben zu halten und gleichzeitig die Interessen der Unternehmen im Blick zu nehmen, die von den Leistungserweiterungen betroffen seien. Für keinen Arbeitgeber sei es schön, plötzlich auf einen Mitarbeiter verzichten zu müssen. Volkswirtschaftlich katastrophal sei es, wenn darüber hinaus Menschen wegen der Pflege ganz aus dem Berufsleben ausstiegen. Die besonderen Belastungen für kleine Unternehmen werde man in der kommenden, dritten Berichtsperiode schwerpunktmäßig in den Blick nehmen ebenso wie die Pflegesituation von Menschen mit Migrationshintergrund.
Der Bedarf an Pflegekräften werde weiter steigen. Familien seien unter Druck ebenso wie der Arbeitsmarkt. „Wir haben das Dilemma, dass immer irgendwo jemand fehlt.“ Es gebe aber nicht die perfekte Lösung. Neben Puzzleteilen wie einer größeren Zahl professioneller Pflegekräfte, auch aus dem Ausland, und Automatisierungen sehe der Beirat den „Ausweg in der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“.
Der „Unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ begleitet auf Grundlage des Familienpflegezeitgesetzes die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zu Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes und will im Juli seinen zweiten Bericht vorlegen.