Ausschuss stimmt Ampel-Entwurf zu Wahlrechtsreform zu
Berlin: (hib/STO) Der Innenausschuss hat den Weg für die von der Koalition geplante Wahlrechtsreform zur Reduzierung der Mitgliederzahl des Bundestages frei gemacht. Das Gremium verabschiedete den entsprechenden Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (20/5370) am Mittwoch mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und Fraktion Die Linke in modifizierter Fassung. Die Vorlage steht am Freitag zur abschließenden Beratung auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums.
Mit der Neuregelung wollen die Koalitionsfraktionen die Zahl der Bundestagsmandate künftig sicher auf 630 begrenzen. Dazu sehen sie einen Verzicht auf die bisherige Zuteilung sogenannter Überhang- und Ausgleichsmandate vor. Dies könnte dazu führen, dass künftig nicht alle Direktkandidaten, die in ihrem Wahlkreis die meisten Erststimmen erhalten, in das Parlament einziehen.
Überhangmandate sind bisher angefallen, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate in den Wahlkreisen gewonnen hat, als ihrem Listenergebnis entsprach. Um das mit der Zweitstimme bestimmte Kräfteverhältnis der Parteien im Parlament wiederherzustellen, wurden diese Überhänge mit zusätzlichen Ausgleichsmandaten kompensiert. In der Folge stieg die Zahl der Abgeordneten über die gesetzliche Sollgröße von 598 hinaus auf derzeit 736 an.
Dem Gesetzentwurf zufolge soll es wie bisher 299 Wahlkreise und zwei Stimmen geben. Dabei wird mit der Zweitstimme, mit der die Wähler für eine Parteiliste votieren können, über die proportionale Verteilung der Mandate an die Parteien entschieden. Mit der Erststimme können wie bisher in den Wahlkreisen Direktkandidaten gewählt werden.
Ihnen wird ein Mandat laut Vorlage jedoch nur zugeteilt, wenn dies durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt ist. Stellt eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreissieger, als ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht, sollen - in der Reihenfolge ihrer Ergebnisse bei den Wahlkreisstimmen - entsprechend weniger von ihnen bei der Mandatszuteilung berücksichtigt werden.
Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP billigte der Ausschuss einen Änderungsantrag der Koalition, der neben der Erhöhung der Sollgröße des Bundestags von 598 auf 630 Mandaten auch einen Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel enthält. Sie sieht vor, dass eine Partei auch dann entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis im Bundestag vertreten ist, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen errungen hat, aber mindestens drei Direktmandate gewinnen konnte.
Keine Mehrheit fand im Ausschuss ein im Kern inhaltsgleicher Gesetzentwurf der AfD-Fraktion zur Begrenzung der Abgeordnetenzahl auf 598 (20/5360). Danach soll zudem mit einer „offenen Listenwahl“ die Möglichkeit geschaffen werden, die Zweitstimme künftig in bis zu drei „Bewerberstimmen“ aufzuteilen und dadurch die von den Parteien vorgegebene Reihenfolge der Landeslisten zu verändern.
Ebenfalls abgelehnt wurden von der Ausschussmehrheit ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion sowie drei Anträge der Fraktion Die Linke. Die Unionsfraktion dringt in ihrer Vorlage (20/5353) auf eine Wahlrechtsreform auf der Grundlage des personalisierten Verhältniswahlrechts, mit der die Zahl der Bundestagsmitglieder „in Richtung einer Regelgröße von 590 Abgeordneten reduziert“ wird. Dazu schlägt sie vor, die Zahl der Wahlkreise auf 270 zu reduzieren und die Regelgröße für Listenmandate auf 320 anzuheben.
Zugleich plädiert sie für eine Erhöhung der Zahl unausgeglichener Überhangmandate von derzeit drei „auf die vom Bundesverfassungsgericht zugelassene Anzahl“ von 15. Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland sollen nach ihrem Willen „wie bisher mit Listenmandaten der gleichen Partei in anderen Bundesländern verrechnet“ werden. Zudem spricht sich die Unionsfraktion in ihrem Antrag für eine „Anhebung der Grundmandatsklausel“ aus. Danach sollen bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nur Parteien berücksichtigt werden, die mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens fünf statt bisher drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben.
Die Fraktion Die Linke plädiert in ihren Anträgen dafür, das Mindestalter für das aktive Wahlrecht bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahren abzusenken (20/5358), ein Ausländerwahlrecht auf Bundesebene ab einem fünfjährigen legalen Aufenthalt in der Bundesrepublik einzuführen (20/5356) und zur Stärkung des Frauenanteils im Bundestag im Parteiengesetz festzuschreiben, dass Frauen und Männer bei der Aufstellung der Landeslisten gleichermaßen berücksichtigt werden (20/5357).
Im Ausschuss wertete die SPD-Fraktion die vorgesehene Neuregelung als gutes Ergebnis einer langen Reformdiskussion, mit dem die Zahl der Mandate künftig fest begrenzt werde. Dabei habe die Koalition mit dem Änderungsantrag Anregungen aus der Sachverständigenanhörung aufgenommen.
Die CDU/CSU-Fraktion kritisierte insbesondere die mögliche Nichtzuteilung von Mandaten an Erststimmensieger ohne Zweitstimmendeckung sowie den Wegfall der Grundmandatsklausel. Damit schaffe die Koalition neue verfassungsrechtliche Probleme.
Die Grünen-Fraktion sprach von einer wichtigen und grundlegenden Reform, mit der eine mehr als zehn Jahre dauernde politische Auseinandersetzung ihr Ende finde. Damit solle ein Wahlrecht geschaffen werden, dass die kommenden 30 Jahre Bestand habe.
Die AfD-Fraktion warb erneut für ihren Vorschlag einer „offenen Listenwahl“. Die Einführung dieses Elements wäre ein demokratischer Fortschritt, führte die Fraktion aus und äußerte die Erwartung, dass die damit verbundene Personalisierung Wähler zur Stimmabgabe motiviere.
Die FDP-Fraktion betonte, die beabsichtigte Neuregelung zeige, dass der Bundestag in der Lage sei, sich selbst zu reformieren und zu verkleinern. Dabei sei die Streichung der Grundmandatsklausel mit weniger verfassungsrechtlichen Risiken behaftet als ihre Beibehaltung.
Die Fraktion Die Linke beklagte, dass man es angesichts des Änderungsantrages der Koalition mit einer ganz anderen Vorlage zu tun habe als noch in der Sachverständigenanhörung zu dem ursprünglichen Gesetzentwurf. Auf eine breite Mehrheit könne sich das Koalitionsvorhaben nicht stützen.