Tribunal zum Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine
Berlin: (hib/HAU) Über die von Außenministerin Annalena Baerbock geforderte Einrichtung eines Sondertribunals zur Strafverfolgung angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben Sachverständige während einer öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses am Montag diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH ) für Russlands Verbrechen der „Aggression gegen die Ukraine“ nicht zuständig ist, da weder die Ukraine noch Russland das Römische Statut ratifiziert haben, welches die rechtliche Grundlage des IStGH bildet. Möglich könne eine Anklage und Verurteilung der russischen Staatsführung aus Expertensicht über ein Sondertribunal werden, an dessen Legitimität einzelne Sachverständigen aber auch zweifelten.
Professor Frank Hoffmeister von der Freien Universität Brüssel verwies darauf, dass die ukrainische Regierung angesichts der vorhandenen „Verfolgungslücke“ eine internationale Initiative zur Schaffung eines Sondertribunals zum russischen Angriffskrieg gestartet habe, der sich das Europäische Parlament und der Europäische Rat angeschlossen hätten. Die deutsche Außenministerin habe nun ein ukrainisches Sondertribunal mit internationalen Elementen vorgeschlagen, was aus Sicht Hoffmeisters „völkerrechtlich solide und politisch sinnvoll ist“. Ein solchen „hybrides Tribunal“ könne sich auf ukrainisches Recht stützen und durch internationale Richter eine zusätzliche Legitimation erhalten, „ohne den Internationalen Strafgerichtshof zu schwächen“. Des Weiteren könne die UN-Vollversammlung durch die Verabschiedung einer Resolution die Unterstützung der Staatengemeinschaft für ein solches Gericht zum Ausdruck bringen, sagte Hoffmeister.
Nach Einschätzung von Professor Claus Kreß von der Universität Köln weist das von Baerbock ins Spiel gebrachte hybride Modell hingegen „eine ganze Reihe gravierender Nachteile auf“. Gerade der Hauptverdächtige, Russlands Präsident Putin, würde vor einem „im Kern ukrainischen Gericht“, nach dem bisherigen Stand der internationalen Rechtsprechung Immunität genießen. „Ich rate dringend davon ab, sich auf das hybride Modell festzulegen“, sagte Kreß. Ziel müsse ein internationales Sonderstrafgericht „mit dem Segen der UNO-Generalversammlung“ sein. Ob sich dafür eine Mehrheit finden lässt, sei derzeit eine offene Frage, räumte er ein. Gerade deshalb sollte die Bundesregierung seiner Ansicht nach die Anstrengung nicht scheuen, für eine solche Mehrheit zu werben. Kreß machte zugleich deutlich, dass die bestgeeignete Instanz für die Anwendung des Strafrechts bei Aggression der IStGH sei. Die auch von Deutschland angestoßene Änderung des Römischen Statuts sei aber ein längerer Prozess.
Professor Christian Walter von der Ludwig-Maximilians-Universität München warb dafür, den Weg über eine Änderung des Römischen Statuts nicht von vorneherein auszuschließen. „Ein internationales Sondertribunal erscheint demgegenüber nur als zweitbeste Lösung“, befand er. Ebenso wie eine Änderung des Römischen Statuts sei auch dieser Weg mit erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der möglichen Mehrheiten auf globaler Ebene verbunden. Wenn der Bundestag die jetzt an vielen Stellen unternommenen Vorstöße für eine völkerstrafrechtliche Verfolgung der russischen Aggression unterstützen möchte, sollte er dies seiner Einschätzung nach in einer Weise tun, „die hinreichende Flexibilität in den Mitteln und Wegen belässt und Deutschland nicht vorschnell auf eine bestimmte Lösung festlegt“. Ein Sondertribunal mit schwacher Legitimation könne letztlich schädlicher sein als das Eingeständnis, „dass die für die Legitimation eines solchen Tribunals notwendige internationale Unterstützung leider nicht zu erreichen ist“, sagte Walter.
Der ehemalige außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Norman Peach, hält die Errichtung eines Sondertribunals für einfacher als die Veränderung der Zuständigkeit des Römischen Statuts. Gleichwohl begegne ein Sondertribunal schwerwiegenden Bedenken. „Zunächst ist die Legitimität gerade der Staaten, die ein Sondertribunal fordern, angesichts ihrer offen völkerrechtswidrigen Kriege gegen Jugoslawien 1999, Irak 2003, Libyen 2011 und Syrien 2014 zweifelhaft“, sagte Peach. Auch gebe es „extralegale Tötungen im Krieg gegen den Terror“. In all diesen Fällen der Verletzung des Völkerrechts habe es weder strafrechtliche Ermittlungen durch den IStGH gegeben, noch sei die Forderung nach einem Sondertribunal erhoben worden. Abgesehen davon fehle es auch an der Unterstützung in der UNO für das jetzt geforderte Tribunal.
Ein Sondertribunal wäre aus Sicht von Professor Gerd Seidel von der Humboldt Universität Berlin dann gerechtfertigt, „wenn es aus rechtsstaatlicher Sicht einen Mehrwert erbringen würde“. Das sei für ihn nicht erkennbar. Es gebe keinen Vorteil im Verhältnis zu den bestehenden Möglichkeiten der Strafverfolgung durch den IStGH und durch die Einzelstaaten. Vielmehr würde damit die Stellung des IStGH geschwächt. „Zumindest außerhalb Europas könnte der Eindruck einer selektiven Justiz entstehen“, gab Seidel weiterhin zu bedenken. Im Jemen etwa, wo ein Stellvertreterkrieg mit einer halben Millionen Toten geführt werde, stehe die Forderung nach einem Sondergericht nicht im Raum. Ebenso wenig habe es diese nach dem Irakkrieg von 2003 mit mehr als 100.000 Toten gegeben.
Professor Andreas Zimmermann von der Universität Potsdam warnte vor „ahistorischen Vergleichen“. Die Einzigartigkeit des Angriffskrieges auf die Ukraine sei nicht von der Hand zu weisen. Zwar möge es in der Vergangenheit andere Verstöße gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot gegeben haben, „auch durch Nato-Staaten“. Diese seien aber in der Qualität „überhaupt nicht vergleichbar“, betonte er. Zimmermann hält es für „mindestens extrem unwahrscheinlich, wenn nicht gar politisch unmöglich“, auf absehbare Zeit die notwendige Mehrheit für eine Vertragsänderung zu erreichen, welche versuchen würde, die Zuständigkeit des IStGH in Sachen Aggressionsverbrechen, ohne Vorliegen einer Sicherheitsratsüberweisung, auf Drittstaatsangehörige zu erstrecken. Um Einwendungen zur Legitimität eines Sondertribunals zu begegnen sei es wünschenswert, in der UN-Generalversammlung eine möglichst große Mehrheit für die Schaffung eines Sondertribunals zu erreichen, „gerade auch unter Einbeziehung von Ländern des globalen Südens“.
Professor Susanne Buckley-Zistel vom Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg sprach sich dafür aus, das „Kernverbrechen des Angriffskrieges“ nicht von anderen Verbrechen zu trennen. Alle Kernverbrechen müssten geahndet werden. Das gelte für russische Kriegsverbrechen ebenso wie für ukrainische Kriegsverbrechen, sollten diese stattfinden. „Für die Akzeptanz des Sondertribunals ist es wichtig, dass alle Verbrechen von allen geahndet werden“, sagte Buckley-Zistel. Mit Blick auf das „gespaltene Land Ukraine“ müsse zudem überlegt werden, welche Auswirkungen ein Sondertribunal auf die politische Struktur der Ukraine in der Zukunft habe. Das Tribunal könne zum politischen Spielball innerhalb des Landes werden, gab sie zu bedenken.