06.12.2024 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 852/2024

Vernehmung von Angela Merkel im 1. Untersuchungsausschuss

Berlin: (hib/CRS) In der letzten öffentlichen Beweisaufnahmesitzung des 1. Untersuchungsausschusses Afghanistan ist die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)als letzte Zeugin aufgetreten. In ihrer Aussage zog sie über den Untersuchungszeitraum hinaus eine Bilanz des gesamten Einsatzes, die auch kritisch ausfiel. Der Ausschuss untersucht die Ereignisse zwischen der Unterzeichnung des Doha-Abkommens im Februar 2020, mit dem die USA und die Taliban den Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan regelten, und der chaotischen Evakuierung am Flughafen von Kabul im August 2021.

In ihrem Eingangsstatement führte Angela Merkel detailliert und systematisch dazu aus, wann in welcher Konstellation über die Situation in Afghanistan und die Ortskräfte gesprochen wurde. Dass man Afghanistan damals auf der Flucht vor den Taliban habe evakuieren müssen, sei „ein furchtbares Scheitern“ gewesen.

Sie halte die deutsche Beteiligung an dem Militäreinsatz in Afghanistan allerdings auch im Rückblick für richtig, sagte Merkel. Damals habe es die „begründete Hoffnung“ gegeben, dass danach keine weiteren Terrorangriffe von Afghanistan aus geplant werden würden. Bei allen anderen Zielen - von der Rechtsstaatlichkeit bis zu den Frauenrechten - „müssen wir, muss die internationale Gemeinschaft feststellen, gescheitert zu sein“, führte sie weiter aus. Als Ursachen für dieses Scheitern nannte sie unter anderem mangelndes kulturelles Verständnis der westlichen Verbündeten, Vetternwirtschaft und Rauschgifthandel. Auch habe man wohl die geopolitische Lage des Landes und den Einfluss Pakistans auf das eigene Engagement nicht ganz richtig eingeschätzt.

Zum Doha-Abkommen sagte Merkel, sie sei „immer sorgenvoll über die festgelegten Zeitfestlegungen gewesen“, die so starr gewesen seien, „dass man nicht prüfen konnte, ob die Ziele erreicht wurden.“ Der damalige US-Präsident Donald Trump habe die afghanische Regierung nicht mehr als relevanten Akteur angesehen. Auch die innerafghanischen Friedensverhandlungen seien zu keinem belastbaren Ergebnis gekommen, da die Taliban sich ein Vetorecht erarbeitet hätten und nur hätten abwarten müssen.

Merkel skizzierte, dass die Bundesregierung im Sommer 2021 vor einem Dilemma gestanden habe. „Ich fand es richtig, dass wir für bestimmte Menschen, die uns sehr geholfen haben, eine Fürsorgepflicht hatten“, sagte sie. Deshalb habe sie das Ortskräfteverfahren (OKV) immer unterstützt. Zurückhaltend sei sie jedoch gegenüber einer zu frühen Ausreise der Ortskräfte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gewesen, weil sie den Sieg der Taliban nicht vorwegnehmen wollte. „Ich möchte aber nicht missverstanden werden“, ergänzte sie, „wir sind nach Afghanistan gegangen, unsere Soldatinnen und Soldaten sind dort gestorben. Es sollte sich nicht ins Gegenteil verkehren, dass wir uns schuldig fühlen.“

Im Juni 2021 habe die Frage der Ortskräfte an Bedeutung gewonnen, führte die Ex-Kanzlerin aus. Es sei diskutiert worden, wie die Ausreise der Personen beschleunigt werden könne, die bereits ein Visum hatten. Sie habe den Vorschlag der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) unterstützt, Charterflüge zu organisieren. Diese Idee sei jedoch nicht umgesetzt worden, da es nicht genug Betroffene gegeben habe. Zu diesem Zeitpunkt hätte es noch Linienflüge gegeben. Falls diese nicht mehr möglich gewesen wären, sollte die Option für Charterflüge weiterhin offen bleiben, so Merkel.

Im Juni 2021 sei in einem Ministergespräch beschlossen worden, den Berechtigtenkreis auf Personen auszuweiten, die seit 2013 tätig gewesen waren, wie es Kramp-Karrenbauer gefordert hatte. Das Auswärtige Amt (AA) und das BMZ hätten sich dagegen ausgesprochen. Auf die Richtlinienkompetenz angesprochen, erläuterte Merkel, dass sie sich stets um einen gemeinsamen Konsens im Kabinett bemüht habe.

Am 13. August 2021 habe der damalige Chef des Bundeskanzleramtes (BKAmt), Helge Braun (CDU), sie über die dramatischen Entwicklungen in Kabul informiert. Später habe auch Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sie angerufen, die sehr gut informiert gewesen sei. Am nächsten Tag habe eine Telefonkonferenz mit allen Ministern stattgefunden, in der über die Situation am Flughafen von Kabul und die Entsendung von deutschen Soldaten und Polizisten gesprochen wurde. Dort sei zunächst die Entsendung eines Krisenunterstützungsteams beschlossen worden.

Am 15. August sei der afghanische Präsident Aschraf Ghani aus dem Land geflohen, und die Taliban hätten die Herrschaft übernommen. Daraufhin habe die Evakuierungsmission begonnen.

Sie habe erst später erfahren, dass die deutschen Vertreter vor Ort die Sicherheitslage ganz anders einschätzten als das in Berlin der Fall gewesen sei. Ihr seien auch keine Entscheidungen der Staatssekretärsrunde bekannt, die die Arbeit der Ministerien zu Afghanistan koordinierte.

Mit der Sitzung am Donnerstag ist der Beweisaufnahmeprozess abgeschlossen. Nun wird ein Bericht über die Arbeit und die Erkenntnisse des Ausschusses verfasst, der noch vor der Bundestagswahl 2025 dem Bundestag übergeben werden soll.