Braun: BND hatte gute Quellen in Regierung und bei Taliban
Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan des Bundestages hat am Donnerstag seine Beweisaufnahme beendet. In der letzten öffentlichen Sitzung wurde zunächst der ehemalige Leiter des Bundeskanzleramtes (BKAmt), Helge Braun (CDU), angehört. Braun verteidigte den Bundesnachrichtendienst (BND) gegen Kritik und erläuterte zudem, wie die Arbeit im Bundeskanzleramt strukturiert war und wie die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über wichtige Themen informiert wurde.
Braun, der als Chef des Kanzleramtes auch für die Koordinierung der Nachrichtendienste zuständig war, erklärte, dass nach seinem Eindruck der BND bis zuletzt über sehr gute Informationsquellen verfügte, „insbesondere in die afghanische Regierung und die Taliban hinein“. Daher habe er damals keinen Zweifel an der Qualität der Berichte gehabt. Dass durch den Abzug der Bundeswehr die Informationsquellen des Dienstes ausgedünnt wurden, habe er später in der Zeitung gelesen.
Dennoch verteidigte er den BND gegen die Vorwürfe, er habe nicht rechtzeitig oder fehlerhaft informiert. Bereits im Jahr 2020 habe der BND mögliche Szenarien in Afghanistan, mit drohenden Kipppunkten versehen, analysiert. Doch die Lageentwicklung am 15. August - dem Tag, an dem die Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul einmarschierten - habe auch den BND überrascht. Mit dem Verlassen der sogenannten „Green Zone“ durch die US-Truppen und der Flucht des damaligen afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani seien gleich zwei Kipppunkte eingetreten. Selbst die Taliban seien überrascht gewesen, sagte Braun.
Grundsätzlich seien alle Vorlagen, auch jene zu Sitzungen, an denen er nicht teilgenommen habe, über seinen Tisch gegangen. Die Bundeskanzlerin sei regelmäßig durch diese Vorlagen informiert worden. Auch bei den Geheimdienstinformationen sei der reguläre Weg eine schriftliche Vorlage einer Abteilung im BKAmt, in die alle Erkenntnisse des BND eingeflossen seien. Braun schloss nicht aus, dass die Analysen des BND nicht direkt an Merkel weitergeleitet wurden. Dennoch seien die Perspektiven in Afghanistan stets thematisiert worden. Er habe sehr früh von dem BND-Szenario „Emirat 2.0“ erfahren, dessen Eintritt sei jedoch in ferner Zukunft erwartet worden. Auf die Frage, ob auch Merkel von diesem Szenario Kenntnis hatte, wollte er keine Antwort geben. „Am besten fragen Sie sie selbst“, empfahl er den Abgeordneten. Merkel stand am Donnerstag nach Brauns Vernehmung als letzte Zeugin auf der Tagesordnung des Untersuchungsausschusses.
Das Doha-Abkommen sei während des US-Wahlkampfs ausgehandelt worden, erklärte Braun. Dabei habe man erkannt, dass es in der US-Gesellschaft großen Druck gegeben habe, die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Diese Erkenntnis sei alarmierend gewesen. Deshalb habe man von Anfang an versucht, den Abzug mit innerafghanischen Friedensgesprächen zu verbinden.
Braun erinnerte sich, dass das Thema Ortskräfte ab April 2021 virulent geworden sei und sich im Juni noch zugespitzt habe. In dieser Zeit habe das Ortskräfteverfahren (OKV) nicht zufriedenstellend beschleunigt werden können. Daher sei es im August 2021 notwendig geworden, sich täglich mit diesem Thema zu befassen.
Als für diejenigen Ortskräfte, die noch kein Visum hatten, alternative Wege der Evakuierung diskutiert wurden, habe das Auswärtige Amt sehr früh „Visa-on-Arrival“ (VoA), also die Visaausstellung an der deutschen Grenze, gefordert, so Braun. Er bezeichnete VoA als ein „unbürokratisches Verfahren“. Es sei jedoch auch ein Notfallverfahren. Das Bundesinnenministerium (BMI) habe Bedenken gegen dieses Verfahren gehabt, weil dabei Visa ohne vorherige Sicherheitsprüfung ausgestellt würden. „Das ist der Grund, warum VoA nicht gleichwertig mit dem Regelverfahren ist“, sagte der Zeuge.
Anfangs habe auch er die Überzeugung vertreten, „dass es möglich sein muss, in stabileren Zeiten reguläre Visaverfahren durchzuführen“. Als sich die Entwicklung in Afghanistan zuspitzte, habe er jedoch „auch dem BMI gegenüber deutlich gemacht, dass VoA nicht abgelehnt werden sollte“.
Die meisten bedeutenden Entscheidungen seien in Ministergesprächen getroffen worden. So habe sich die Bundeskanzlerin auf Bitten der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) für Charterflüge eingesetzt, um diejenigen Ortskräfte, die bereits ein Visum hatten, auszufliegen. Merkel sei mit allen beteiligten Ministern übereingekommen, dass Charterflüge durchgeführt werden sollten. Diese Idee sei jedoch später auf Arbeitsebene nicht mehr weiterverfolgt worden, da die in Frage kommende Personenzahl so gering gewesen sei, dass auch Linienflüge ausgereicht hätten.
Ebenso sei in einem Ministergespräch die Erweiterung des Berechtigtenkreises beschlossen worden. Es habe breiten Konsens gegeben, dass die Ortskräfte „mit deutschem Geld Gutes für ihr Land tun könnten“. Hier habe Merkel die Entscheidung herbeigeführt.