Zeuge nennt Energieversorgungs-Stresstest alarmistisch
Berlin: (hib/HLE) Ein Vertreter der Bundesnetzagentur hat Verständnis für die Vorgaben von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für den zweiten Energieversorgungs-Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber im Jahr 2022 gezeigt. Habeck sei offenbar mit dem erstem Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber unzufrieden gewesen und habe die Berücksichtigung von mehr Risiken und Gefährdungen gewollt, schilderte der Vertreter der Bundesnetzagentur am Donnerstag als Zeuge vor dem 2. Untersuchungsausschuss, der die Umstände des deutschen Atomausstiegs untersucht. Habeck habe drei oder vier Kriterien formuliert, offenbar um sich nicht vorwerfen lassen zu wollen, Risiken unterschätzt zu haben. Deshalb habe sich der Minister nicht mit den relativ beruhigenden Ergebnissen des ersten Stresstests der Übertragungsnetzbetreiber zufrieden geben wollen. Ein Zeuge aus dem Wirtschaftsministerium bestätigte, es habe die Bitte gegeben, das System so zu stressen, das neuralgische Punkte erkennbar würden.
Auf Fragen von Abgeordneten zur Unabhängigkeit seiner Behörde erklärte der Vertreter der Bundesnetzagentur, die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur sei nicht berührt, weil die Vorgaben keine Fragen der Rechts- und Fachaufsicht berührt hätten. Es werde auch nicht alles, was aus dem Ministerium komme, als Vorgabe oder Weisung interpretiert. Der Zeuge bezeichnete es als ungewöhnlich, dass ein Minister sich derart tief in die Materie einarbeite.
Die Ergebnisse des zweiten Stresstests nannte der Zeuge jedoch derart alarmistisch, dass man nur den Schluss hätte ziehen können, dass ein Streckbetrieb der Kernkraftwerke auf der Tagesordnung stehe, oder man hätte die Schlussfolgerung ziehen können, dass alles ohnehin nicht helfen werde. Die Übertragungsnetzbetreiber hätten sich an Hoch- und Höchstrisiken orientiert. Daraus hätte man auch eine Art Weltuntergangsszenario machen können. Dadurch hätte das Risiko bestanden, dass es zu einer weiteren Erhöhung der damals schon ohnehin hohen Energiepreise hätte kommen können. Der Zeuge erklärte, eine mehrjährige Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke habe sich nach seiner Einschätzung mit den Ergebnissen des zweiten Stresstests nicht begründen lassen. Die Entscheidung für einen mehrmonatigen Streckbetrieb, wie sie dann von Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen worden sei, „hat mir schon gepasst“, erklärte der Zeuge.
Zur energiepolitischen Diskussion nach Beginn des Ukraine-Krieges sagte der Zeuge, diese Diskussion sei von ständig wechselnden Einschätzungen geprägt gewesen. Zunächst sei eine überschäumende Besorgnis festzustellen gewesen. Es habe aber kein klares Bild gegeben, wie viel Gas man zur Verfügung haben würde. Es habe eine starke Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gegeben. Die bisherigen Gaslieferungen aus Russland seien dann auf andere Lieferanten verlagert worden, Kohlekraftwerke seien in den Markt zurückgenommen worden. Dann sei begonnen worden, sich an die Frage einer Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken heranzutasten.
Forderungen der Politik nach sofortigem Stopp russischer Lieferungen unmittelbar nach Beginn des Krieges hätten bei der Bundesnetzagentur „blanken Horror“ ausgelöst. Das hätte zu einer Gasmangellage geführt. Es wäre eine Umstellung auf Planwirtschaft erfolgt. Die Bundesnetzagentur hätte entscheiden müssen, wer noch Gas bekomme. Es hätte die Notfallstufe im Sinne des Energiesicherheitsgesetzes ausgerufen werden müssen. Die Bundesnetzagentur hätte prüfen müssen, welche Abschaltmaßnahmen sinnvoll seien. Verbraucher seien sogenannte geschützte Kunden. Dann gebe es systemrelevante Gaskraftwerke, die für Stabilität im Stromnetz sorgen und auch nicht abgeschaltet werden könnten. Der Rest müsse dann zeitweise abgeschaltet werden. Inzwischen wisse man, welche Abschaltungen sinnvoll wären. Im Frühjahr 2022 hätte man nur raten können.