Experten betonen Chancen von Open Source in der Verwaltung
Berlin: (hib/LBR) Das Engagement der Bundesregierung im Bereich Open Source ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Zu dieser Einschätzung kam die Mehrheit der Sachverständigen am Mittwochnachmittag in einer Expertenanhörung des Digitalausschusses. Mit neun Expertinnen und Experten diskutierte der Ausschuss darüber, wie freie Software in der öffentlichen Verwaltung besser gefördert und genutzt werden kann und welche Vor- und Nachteile der Einsatz im staatlichen Kontext hat. Die Gäste betonten überwiegend die Vorteile von Open-Source-Lösungen für Wirtschaft und Gesellschaft und verwiesen auf notwendige Änderungen, etwa im Vergaberecht und die Notwendigkeit eines Kulturwandels.
Jutta Horstmann vom Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung (eingeladen auf Beschluss des Ausschusses) betonte die vielfältigen Vorteile von Open-Source-Lösungen. Verglichen mit der Wirtschaft hinke die Verwaltung beim Einsatz von Open Source deutlich hinterher: Es gebe kritische Abhängigkeiten und einen „massiven Kontrollverlust“, was die digitale Souveränität des Staates und seine Handlungsfähigkeit gefährde, so Horstmann. Hier könne Open Source helfen, sich von Abhängigkeiten zu lösen, sagte die Expertin auch mit Blick auf deutlich gestiegene Kosten für den Bund, etwa für Softwarelizenzen. Der nächste Bundestag müsse verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen für den Einsatz in der behördeninternen IT schaffen und durchsetzen, die Verankerung im Onlinezugangsgesetz reiche nicht aus.
Helmut Krcmar, Krcmar Lab an der Technischen Universität München (eingeladen auf Vorschlag der Vorsitzenden), betonte, dass Open Source mehr sei als ein technisches Konzept. Es stehe für einen Ansatz der Transparenz, Zusammenarbeit und Innovation. Open Source diene als Grundlage für die Entwicklung und Implementierung von Deep-Tech-Innovationen, da es Flexibilität und Interoperabilität fördere. Aus seiner Sicht könne die öffentliche Hand ein Treiber für die Verbreitung von Open Source sein, sagte Krcmar.
Auch Stefan Decker vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (eingeladen auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU) wies darauf hin, dass Open Source kein Glaubenssatz, sondern ein pragmatisches Werkzeug sei. Er betonte die Rolle als Innovationstreiber: „Ohne Open Source und offene Standards hätte es kein World Wide Web gegeben“, sagte Decker. Das heutige Äquivalent seien Datenräume, die standardisiert und miteinander kompatibel sein müssten; an dieser Infrastruktur gelte es zu arbeiten. Für den erfolgreichen Einsatz im staatlichen Kontext sei eine offene, innovationsfreundliche Verwaltungskultur und behördenübergreifende Zusammenarbeit notwendig.
Kritischere Töne schlug Oliver Grün vom Bundesverband IT-Mittelstand an (auf Vorschlag der Unionsfraktion eingeladen). Er sagte, der Anteil der deutschen Wirtschaft an der globalen digitalen Wertschöpfung schwinde, die Abhängigkeit von marktbeherrschenden Tech-Riesen nehme zu. Grün verwies darauf, dass die meisten Anbieter in Deutschland proprietäre Hersteller („Closed Source“) seien. Dies betreffe nach Erhebungen seines Verbands etwa 85 Prozent der Anbieter. Es brauche daher beide Ansätze, Open Source und proprietäre Modelle, um das Ziel der digitalen Souveränität zu erreichen. Grün schlug vor, im Vergaberecht eine „Europarechtstreue“ einzuführen.
Die Open Source Strategieberaterin und ehemalige Direktorin der Apache Software Foundation, Isabel Drost-Fromm (auf Vorschlag der SPD-Fraktion eingeladen), sagte, die transparente und kollaborative Arbeitsweise bei Open Source ermögliche es, Brücken zwischen Unternehmen, Kulturen und Nationen zu bauen. Im Sinne von „Gaining by Sharing“ würden Kräfte gebündelt, von der Expertise aller profitiert und Innovationen deutlich beschleunigt. Eine weitere Stärke von Open Source liege in der Verfügbarkeit des Quellcodes, sagte Drost-Fromm: Durch Governance-Regeln und Moderation könnten schädliche Einflussnahme verhindert und unangemessene Beiträge minimiert werden. Sie empfahl, den Wandel schrittweise und nutzerzentriert anzugehen und eine Fehlerkultur zu etablieren.
Auch Adriana Groh von der Sovereign Tech Agency (ebenfalls auf Vorschlag der SPD-Fraktion eingeladen) betonte, dass Open-Source-Software ebenso wie physische Infrastruktur, etwa Straßen und Brücken, unverzichtbar sei. Es brauche nachhaltige, regelmäßige Investitionen des öffentlichen Sektors in das Open-Source-Ökosystem, sagte Groh und wies darauf hin, dass es kritische Open-Source-Projekte gebe, die von wenigen, oft ehrenamtlichen Personen betreut würden, was Risiken berge.
Peter H. Ganten von der Open Source Business Alliance (auf Vorschlag der FDP-Fraktion eingeladen) sagte, der strategische Einsatz von Open Source Software sei zentral für die Stärkung der digitalen Souveränität von Wirtschaft und Verwaltung. Um den Aufbau von Open-Source-Alternativen in der Verwaltung voranzutreiben, brauche es einen gesetzlichen Vorrang für Open-Source-Software bei der öffentlichen Beschaffung, etwa im Zuge einer Reform des Vergaberechts. Auch benötige es in Fragen von Einsatz und Beschaffung eine Bündelung der Kompetenzen in der Verwaltung. Wenn man berücksichtige, wohin die wesentlichen Mittel für die Digitalisierung in der Legislaturperiode geflossen seien, sei nicht wirklich viel in Sachen Open Source erreicht worden. Die Finanzierung des ZenDis sei „nicht befriedigend“, so Ganten.
Auch Bianca Kastl vom Innovationsverbund öffentliche Gesundheit (auf Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingeladen) betonte, dass Open Source in der Verwaltung funktionieren könne, dazu brauche es vor allem Mut. Entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag und gemessen an der Zahl der als Open Source beauftragten und öffentlich gemachten Software sei Open Source in dieser Legislaturperiode jedoch keine durchgängige Regel geworden, sagte Kastl. Die Corona-Pandemie sei ein starker Treiber für die Digitalisierung in den Verwaltungen gewesen, aber der Pragmatismus dieser Zeit sei wieder verloren gegangen. Dieser werde wieder benötigt, betonte sie. Als wünschenswert bezeichnete sie die Aufnahme der Entwicklung und des Betriebs von Open-Source-Software in die Gemeinnützigkeit. Kastl brachte zudem eine Stiftung für Open-Source-Software ins Gespräch.
Auch Alexander Sander von der Free Software Foundation Europe (eingeladen auf Vorschlag der Gruppe Die Linke) sagte, dass ein Umsteuern dringend nötig sei, um die Abhängigkeit von einzelnen proprietären Anbietern nicht weiter zu zementieren. Europäische Unternehmen, die auf Freie Software setzten, könnten mehr Eigenständigkeit ermöglichen, kämen aber mangels strategischer Beschaffung nicht ausreichend zum Zuge, erläuterte er. Die Stiftung setze sich daher dafür ein, dass mit Steuergeldern bezahlter Code der Öffentlichkeit als freie Software zur Verfügung stehe - auch um eine Nachnutzung zu ermöglichen. So könne auch dem Ehrenamt, beispielsweise der Freiwilligen Feuerwehr, der Weg in die digitale Souveränität geebnet werden.
Weitere Informationen zu der Anhörung auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a23_digitales/Anhoerungen/1024966-1024966