Experten blicken mit Sorge auf Lage der deutschen Autobauer
Berlin: (hib/GHA) Bei der Anhörung zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Unsere Automobilindustrie braucht eine Zukunft - Den Industriestandort Deutschland wettbewerbsfähig machen“ (BT-DS 20/12963) haben sich Sachverständige besorgt über die aktuelle Situation der deutschen Automobilhersteller und -zulieferer gezeigt. Zu ihren Empfehlungen gehörten unterschiedliche Maßnahmen zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
Die Union hatte in ihrem Antrag betont, eine „zentrale Ursache für die Krise der Automobilindustrie“ liege in dem „ideologisch verengten wirtschafts- und industriepolitischen Kurs der Ampel-Bundesregierung und der damit verbundenen Fokussierung auf einzelne, politisch definierte Technologien“. Vor diesem Hintergrund sei die Einhaltung der europäischen CO2-Flottengrenzwerte „derzeit nicht machbar“. Gefordert wird von der Bundesregierung, „konsequent für Technologieoffenheit einzutreten und die Rahmenbedingungen am Wirtschaftsstandort Deutschland für die Automobilwirtschaft und die anderen Industriezweige zügig zu verbessern“ - und zwar auf nationaler wie europäischer Ebene.
Die Erste Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, Christiane Benner, erklärte in der Anhörung, es gehe in der schwierigen Lage jetzt um konstruktive Vorschläge zum Hochlauf der Elektromobilität. Debatten über Grenzwertveränderungen, alternative Kraftstoffe oder Antriebstechnologien lenkten nur von der Konzentration auf die Förderung der E-Autos ab. Parallel müssten Lade- und Speicherkapazitäten ausgebaut, die Förderung der Batterieproduktion in Deutschland verstärkt und die Transformation von Arbeitsplätzen organisiert werden. Für die IG Metall sei klar:„Die Zukunft fährt elektrisch.“ Um ähnlich erfolgreich zu sein wie China oder die skandinavischen Länder, wo 50 beziehungsweise sogar 90 Prozent der Neuzulassungen E-Autos seien, sollten von der Politik „keine Nebelkerzen“ gezündet werden, vielmehr müsse der Akzent auf steuerlichen Erleichterungen für Wirtschaft und Verbraucher liegen. Für die Gewerkschaften, so Benner, gebe es einen „Dreiklang von starker Industrie, guten Arbeitsplätzen und funktionierender Demokratie“.
Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, sprach in der Anhörung von einer „äußerst drängenden Situation“ in der Automobilwirtschaft, sowohl für große Unternehmen wie für den industriellen Mittelstand. Es gebe Anlass zu großer Sorge um die Investitionsfähigkeit am Standort Deutschland. Gerade eine Branche wie die Autoindustrie, deren Arbeitsplätze zu 70 Prozent vom Export abhängig seien, leide unter einer schwachen Wettbewerbsfähigkeit. Bis zum Jahr 2035 seien durch die Transformation allein in der deutschen Autoindustrie bis zu 186.000 Arbeitsplätze gefährdet. Als Gegenmaßnahmen empfahl die VDA-Präsidentin eine Stärkung der EU, konsequenten Bürokratieabbau, besonders der europäischen und nationalen „Doppelregulierung“, Investitionen in die Infrastruktur (Stromnetz, Ladestationen) sowie steuerliche Fördermaßnahmen. Angesichts der zu erwartenden Neuwahl des Bundestages sprach Hildegard Müller von einer zusätzlichen Verunsicherung der Verbraucher.
Die Professorin Helena Wisbert von der Ostfalia Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wolfsburg betonte, Ziel aller Anstrengungen von Politik und Industrie müsse sein, dass „Elektroautos auch künftig in Europa und Deutschland produziert werden“. Emissionsziele zurückzunehmen oder das Aus des Verbrennermotors zu verschieben sei nicht hilfreich und der Förderung von Elektroautos nicht förderlich, sagte die Forscherin. Zentral sei in dieser angespannten Situation Planungssicherheit, um das Ziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 in Deutschland noch zu erreichen. Sie sehe in der Stromsteuer und den Netzentgelten die wichtigsten Hebel zur Förderung von Elektromobilität. Gute Erfahrungen habe es in der Vergangenheit auch mit der Umweltprämie für Privatkunden und die gewerbliche Wirtschaft gegeben. Diese Formen der Förderung würden auch jetzt wieder den Hochlauf beim Kauf von E-Autos begünstigen.
Der Wissenschaftliche Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft (Berlin), Professor Stefan Kolev, plädierte für einen „Wettbewerb für Technologieoffenheit“ auch in der Automobilproduktion. Es gehe nicht um die eine Technologie, sondern um einen vernünftigen „Technologie-Mix“. Er kenne zum Beispiel die Vorbehalte gegen E-Fuels, aber er setze auf den Wettbewerb und die Vernunft der Verbraucher. Er wünsche sich einen „Fortschritt im Plural“, um die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland zu stärken. Nicht nur die Autoindustrie befinde sich in einer Vertrauenskrise, sondern das gesamte Land. Da helfe nur ein „ordnungspolitischer Neustart“, zu dem vorrangig auch ein radikaler Bürokratieabbau gehöre. Kolev sprach sich gegen staatlichen Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen aus. Das Beispiel VW beweise, wie „regionalpolitische Standortinteressen in Konflikt geraten zu unternehmerischen Entscheidungen eines Weltkonzerns“.
VW-Markenvorstand Thomas Schäfer verwies auf die erheblichen Investitionen von Volkswagen in den Hochlauf der E-Mobilität, vor allem an den deutschen Standorten Emden, Zwickau und Wolfsburg. Durch die schleppende Nachfrage könnten in diesem Jahr rund 500.000 produzierte Fahrzeuge nicht auf den Markt gebracht werden. Man könne nicht gegen den Marktbedarf Autos verkaufen. Wenn die geltenden EU-Flottengrenzwerte nicht kurzfristig reduziert würden, erwarte VW schon für das kommende Jahr erhebliche Probleme. Die Grenzwerte müssten flexibilisiert und der Entwicklung am Markt angepasst werden. Als aktuelle Hemmnisse nannte Schäfer die hohen Energiekosten und Strompreise sowie die unzulängliche Ladeinfrastruktur. Er warnte mit Blick auf die Zukunft aber vor allzu pessimistischen Prognosen und verwies auf den Boom von japanischen und koreanischen Automobilen vor einigen Jahren, gegen die sich die deutschen Hersteller am Ende doch sehr gut und erfolgreich behauptet hätten.
Der Direktor am Center Automotive Research (CAR), Professor Ferdinand Dudenhöffer, nannte als einen Grund für den einbrechenden Markt für Elektroautos die Streichung der Förderung von Plug-in-Hybrid-Modellen. Nun sei es schwer für die Hersteller, aus diesem Graben wieder herauszukommen. Dudenhöffer erklärte, der wichtigste Markt für das E-Auto sei China: „China ist der Mittelpunkt des neuen Autos.“ Daher brauche Deutschland den Austausch mit China, keine Abschottung. Das gelte auch für die Entwicklung von Digitalisierung, Software und Automation für die Autoindustrie. „Wir sind auf die Zusammenarbeit mit China auf diesem Feld existenziell angewiesen“, sagte der Sachverständige, „sonst wandern die Jobs aus Deutschland ab und sind langfristig weg“. Scharfe Kritik äußerte Dudenhöffer an der in seinen Worten maroden Infrastruktur: „Deutschland ist vergammelt.“ Er empfahl einen Blick in die Schweiz, wo Straßen, Brücken und Bahnen besser funktionierten als hierzulande. Außerdem seien die Lohnnebenkosten in der Bundesrepublik zu hoch.
Der Projektleiter des Regionalen Netzwerks für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie Berlin-Brandenburg, Robert Drewnicki, hob die Bedeutung der Fahrzeugindustrie für Ostdeutschland hervor. Nach einer aktuellen Studie seien 25 Prozent der ostdeutschen Industriearbeitsplätze unmittelbar oder mittelbar von der Fahrzeugindustrie abhängig. Als problematisch bezeichnete der Experte, dass einige ostdeutsche Betriebe bloß als „verlängerte Werkbänke“ für westdeutsche Unternehmen fungierten. Dabei sei die Bedeutung der Arbeitsplätze in der ostdeutschen Fahrzeugindustrie nicht zu unterschätzen: So flössen in diese Arbeitsplätze mehr als doppelt so viele Forschungs- und Entwicklungsgelder wie für die sonstigen Arbeitsplätze. Ostdeutschland biete zudem durch Dekarbonisierung der Wirtschaft und freie Gewerbeflächen, etwa für die Ansiedlung von Batterieproduktion und Recycling, sehr gute Standortbedingungen.