12.11.2024 Familie, Senioren, Frauen und Jugend — Anhörung — hib 776/2024

Sachverständige für Aufstockung des Fonds „Frühe Hilfe“

Berlin: (hib/HAU) Die zu einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses am Montag geladenen Sachverständigen haben sich einheitlich hinter die Forderung des Bundesrates gestellt, die Mittel des Fonds „Frühe Hilfen“ dauerhaft zu erhöhen sowie regelmäßig und bedarfsgerecht anzupassen. Mit dem System „Frühe Hilfen“ seien bundesweit leistungsfähige Strukturen für den präventiven Kinderschutz entwickelt worden, sagte der Thüringer Bildungsminister Helmut Holter (Die Linke) bei der Vorstellung der Länderinitiative (20/2912). Seit dem Jahr 2014 gebe es pro Jahr 51 Millionen Euro vom Bund „für diese gute Arbeit“. Dem seit zehn Jahren gleich gebliebenen Zuschuss stünden aber immense Kostensteigerungen gegenüber. Daher seien die 51 Millionen Euro nicht mehr ausreichend, um die derzeitigen Angebote in ihrer bestehenden Qualität aufrechtzuerhalten und sich den wachsenden Herausforderungen in dem Bereich zu stellen, sagte der Ländervertreter.

Alle jungen Menschen, so Katja Albrecht von der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH), hätten das Recht „gut und gesund aufzuwachsen“. Dazu zähle, dass junge Menschen in ihrer Entwicklung gefördert werden, dass sie Teilhabemöglichkeiten haben und vor Gefährdung geschützt werden. „Die Frühen Hilfen leisten einen großen Beitrag, diese Rechte zu verwirklichen“, sagte Albrecht. Mit ihrem niedrigschwelligen und aufsuchenden Ansatz erreichten sie auch viele Familien, die aufgrund ihrer Belastungen oder besonderen Lebenssituationen nur schwer Zugang zu unterstützenden Angeboten und Hilfen fänden.

Aus Sicht von Jörg Backes und Mechthild Paul vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind die Frühen Hilfen ein Beispiel für die Erfolge, die durch das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen mit Wissenschaft und Praxis möglich würden. Durch die stufenweise Entwicklung seien wirksame Ansätze etabliert und nachhaltig umgesetzt worden. Heute seien Frühe Hilfen für viele Bereiche „eine Blaupause für die erfolgreiche Umsetzung eines Health-in-all-policies-Ansatzes und systemübergreifender Governance“. Diese „Erfolgsstory“ sei aber gefährdet, machten sie deutlich. Daher müssten die Mittel gemäß der vorhandenen Bedarfe auf der Grundlage von Evidenz angepasst werden.

Jörg Fischer, Leiter des Instituts für kommunale Planung und Entwicklung an der FH Erfurt und Mitglied des Vorstands im Beirat Frühe Hilfen, nannte die Frühen Hilfen einen „Innovationsmotor kommunaler Daseinsvorsorge“. Sie seien auch eine wertvolle Brücke zu den Menschen, „um ein wertschätzendes Erleben im Verhältnis zum Staat zu entwickeln und auszubauen“. Sie stellten damit einen demokratiefördernden und einen demokratiesichernden Beitrag dar.

Die Sozialdezernentin des Landkreises Peine, Andrea Friedrich, sagte, die Strategie der Präventionsketten sei ein wichtiger Bestandteil der Frühen Hilfen und ein zentraler Ansatz in der Familien- und Jugendhilfe. Ziel der Präventionsketten sei es, Familien bereits frühzeitig und dauerhaft zu unterstützen, um schwierige Lebenssituationen und Entwicklungsrisiken für Kinder und Eltern zu verringern. Von der Schwangerschaft über die Geburt bis hin zur Einschulung und darüber hinaus gebe es unterschiedliche Anforderungen und Belastungen für Familien, sagte Friedrich. Eine multiprofessionelle Strategie der Präventionsketten sorge dafür, dass diese Übergänge gut begleitet werden.

Christine Klapp, stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Qualitätsverbund Babylotse“, forderte Hilfe, „damit wir unsere Hilfe auch dauerhaft und nachhaltig leisten können“. Es brauche gesetzliche Regelungen für eine strukturelle Sicherheit der Arbeit, so Klapp. Jahresverträge mit variabler Stundenzahl je nach Kassenlage seien hingegen kontraproduktiv. Lotsendienste könnten über die Bundesstiftung gefördert werden, regte sie an.

Den Investitionscharakter der Frühen Hilfen betonte Till Nikolka vom Deutschen Jugendinstitut. Frühe Prävention sei nicht nur aus der Perspektive der UN-Kinderrechtekonvention geboten, sondern auch ökonomisch rational. Durch sie erreichten Kinder ein höheres Entwicklungsniveau, was spätere Förderungen rentabler mache als bei Kindern mit einem niedrigeren erreichten Entwicklungsstand. Nikolka sprach davon, dass einem Euro an Frühen Hilfen 96 Euro an jährlichen Traumafolgekosten in Folge von Kindeswohlgefährdung gegenüberstünden. „Frühe Prävention rentiert sich für die Betroffenen, für ihr soziales Umfeld, für die Gesellschaft und schließlich auch für den Staat“, sagte er.

Sönke Siefert, Geschäftsführer der Stiftung Familienorientierte Nachsorge Hamburg SeeYou, errechnete einen Finanzbedarf von 100 bis 110 Millionen Euro jährlich. Er forderte ein rasches Tätigwerden der Politik. Das gelte für die Anpassung der Mittel für die Bundesstiftung sowie auch für die Umsetzung der konkreten Handlungsempfehlungen der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK) sowie der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) zu den Lotsendiensten.

Die Vorsitzende des Beirats Frühe Hilfen, Ute Thyen, befürwortete die Forderung der Länder ebenfalls. Profiteure der Frühen Hilfen gebe es viele. So etwa den Bildungsbereich, da gut unterstützte Kinder deutlich bessere Chancen hätten, einen Bildungsabschluss zu erreichen. Hauptprofiteur der Frühen Hilfen sei der Arbeitsmarkt. Die Arbeitsagenturen und Jobcenter sollten aus ihrer Sicht nicht nur Eltern effektiv und mit einer positiven Orientierung in der Erwerbstätigkeit unterstützen, sondern auch einen finanziellen Beitrag zu den Frühen Hilfen leisten.

Aus den Kommunen erreichten ihn in Bezug auf die Zusammenarbeit bei den Frühen Hilfen nur positive Rückmeldungen, sagte Jörg Freese, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag. Insofern sei dem Gesetzentwurf des Bundesrates unbedingt zuzustimmen.

Weitere Informationen zur Anhörung auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw46-pa-familie-kinderschutz-1025626