Gedenkstättenkonzeption positiv aufgenommen
Berlin: (hib/PST) Der neue Entwurf einer Gedenkstättenkonzeption des Bundes ist bei einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Kultur und Medien am Montag überwiegend positiv bewertet worden. Eine erste, im Frühjahr von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) vorgelegte Neufassung der 1999 eingeführten und 2008 überarbeiteten Gedenkstättenkonzeption war noch auf heftige Kritik gestoßen. Hatte sich die Konzeption bisher auf Erinnerungsorte an staatliches Unrecht im nationalsozialistischen Deutschland und in der DDR beschränkt, sollten nun Verbrechen in den ehemaligen deutschen Kolonien während des Kaiserreichs ebenso einbezogen werden wie bundesdeutscher Rechtsterrorismus und Aspekte der Einwanderungsgesellschaft und der Demokratiegeschichte. Nach einem Runden Tisch mit Vertretern der Gedenkstätten im Bundeskanzleramt am 6. Juni 2024 stellt die jetzt vorliegende Fassung wieder die Diktaturgeschichte ins Zentrum.
Amtschef Andreas Görgen als Vertreter der Staatsministerin für Kultur und Medien stellte zu Beginn der Anhörung klar, dass die Überarbeitung der Gedenkstättenkonzeption wegen der bevorstehenden Auflösung des Bundestages nicht mehr zu Ende geführt werden könne. Er sagte aber am Ende der Sitzung zu, die Ergebnisse aufzuarbeiten, so dass eine neue Bundesregierung darauf aufbauen könne.
Die im Entwurf verbliebenen Bezüge auf die deutsche Kolonialgeschichte wurden von den Sachverständigen wegen ihrer „gewissen Offenheit“, wie Jörg Ganzenmüller von der Arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten zur Diktatur in SBZ und DDR formulierte, überwiegend positiv aufgenommen. Dabei wurde mehrfach darauf verwiesen, dass sich mögliche Gedenkorte in Übersee und damit in der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes befänden. Marc Buggeln von der Europa-Universität Flensburg schlug vor, eine mögliche inländische Gedenkstätte in Bremen, Hamburg oder Kiel anzusiedeln, da diese Orte einen direkten Bezug zum Kolonialismus hätten.
Axel Decroll von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten mahnte mehr Geld für die Forschung an. Man wisse immer noch sehr wenig über die Biografie von Inhaftierten in der NS-Zeit und der DDR und über die Gründe ihrer Inhaftierung. Positiv hob Decroll die Aussagen des Entwurfs zur Digitalisierung der Gedenkarbeit hervor.
Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Jörg Drieselmann warf ein, es hätte zunächst eine Diskussion gebraucht, ob die bisherige Gedenkstättenarbeit überhaupt ihre Ziele erreicht hat. In dieselbe Kerbe hieb Oliver von Wrochem, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen. Es fehle an Wirksamkeitsforschung, stellte er fest und fragte, warum trotz der Erinnerungsarbeit „so viele Jugendliche antidemokratische Parteien wählen“.
Der Potsdamer Historiker Dominik Geppert plädierte dafür, Orte der deutschen Demokratiegeschichte in die Gedenkstättenkonzeption einzubeziehen. Dabei gelte es, die Gefährdung und Fragilität der Demokratie herauszuarbeiten, aber auch die demokratischen Errungenschaften. Deborah Hartmann, Direktorin Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, nannte es ein „großes Versäumnis“ der bisherigen Gedenkstättenarbeit, sich „lange nicht mit ideologiekritischen Fragen“ auseinandergesetzt zu haben. Sie bezog sich dabei unter anderem auf „Kontinuitäten“ im Antisemitismus.
Dagegen bezeichnete Anna Kaminsky von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur die „Reduzierung auf staatliches Unrecht“ als richtig. Sie plädierte im übrigen dafür, ähnlich dem in der Topografie des Terrors angesiedelten Gedenkstättenreferat für NS-Verbrechen auch ein Gedenkstättenreferat für den SED-Bereich einzurichten. Der als Privatperson sprechende Jörg Drieselmann forderte angesichts der staatlichen Finanzierung von Gedenkstätten „institutionelle Vorkehrungen“, um „ihre Autonomie auch als wissenschaftliche Forschungseinrichtungen zu stärken“.
Mehrfach wurde in der Anhörung eine regelmäßige Evaluation und Überarbeitung der Gedenkstättenkonzeption verlangt. Uwe Neumärker von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas forderte darüber hinaus eine Evaluation der Zusammensetzung des Expertengremiums, das über die Projektförderung entscheidet. Die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke, forderte, Opferverbände mehr in die Gremienarbeit einzubringen.
Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, vermisste in dem Entwurf eine Definition von Gedenkstätte. In dem Konzept fänden sich „viele Einrichtungen, die keine Gedenkstätten sind“. Warum diese gefördert würden, sei nicht klar. Die über 400 Gedenk- und Dokumentationsstätten in Deutschland erreichen jährlich über fünf Millionen Besucherinnen und Besucher.