08.11.2024 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 771/2024

Horst Seehofer vor dem Untersuchungsausschuss Afghanistan

Berlin: (hib/CRS) Der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat vor dem 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan dargelegt, dass sein Ministerium im Hinblick auf Afghanistan immer die Erfahrungen der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 vor Augen gehabt habe. Der Ausschuss untersucht die Ereignisse zwischen dem Doha-Abkommen im Februar 2020, mit dem die USA und die Taliban den Abzug internationaler Truppen vereinbarten, und dem Fall Kabuls in die Hände der Taliban Mitte August 2021.

Seehofer war der erste Minister, der vor dem Ausschuss aussagte. Dabei verteidigte er die Politik seines Hauses, am damals gültigen Ortskräfteverfahren (OKV) festzuhalten und keiner pauschalen Aufnahme zuzustimmen.

Das OKV, das die Einzelprüfung jedes Antragstellers vorsah und deshalb oft als übermäßig kompliziertes Verfahren kritisiert wird, bezeichnete der ehemalige Minister als „eine saubere rechtsstaatliche Regelung“. Das OKV habe es ermöglicht, sicherzustellen, „wer in das Land kommt und dass keine Probleme importiert werden“. Dies sei die Pflicht jedes Innenministers, betonte er: „Wenn man da Fehler macht, sind sie nicht konvertibel.“

Das Verfahren habe nicht deshalb zu lange gedauert, weil die Sicherheitsprüfungen zu viel Zeit in Anspruch genommen hätten, sondern wegen der Probleme bei der Visavergabe. Dafür sei jedoch das Auswärtige Amt (AA) zuständig.

Seehofer antwortete auch auf die Frage, warum sich das Bundesministerium des Innern (BMI) gegen die vom AA geforderte Visavergabe an deutschen Grenzen stellte und ob dies rechtlich nicht möglich gewesen wäre: „Es war politisch opportun, das ordentliche Verfahren anzuwenden.“ Seiner Erfahrung nach könne man niemanden zurückführen, wenn er schon in Deutschland sei.

Der CSU-Politiker berichtete weiter, dass er gleich nach seinem Amtsantritt 2019 einen Masterplan für Migration entwickelt habe. Für ihn und seine Mitarbeiter hätten die Prinzipien der Humanität und Ordnung gegolten. Denn ohne Ordnung könne Humanität nicht gewährleistet werden, so Seehofer.

Er sei nie ein Gegner der Zuwanderung gewesen und habe „nie einen Zaun um Deutschland gefordert“, sagte er, „sondern immer ein richtiges Maß an Zuwanderung“. Als es um die afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr oder der Bundespolizei ging, habe er gedacht, diese würden Deutschland nicht überfordern. Als dann das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Zahl von 50.000 Personen nannte, sei das für ihn „in die Nähe von 2015“ gekommen.

„Je näher der Tag kam, desto großzügiger wurden wir“, führte Seehofer weiter aus. „Die Taliban hatten Mitte August Kabul eingenommen. Aber nicht erst dann, sondern schon davor war sichtbar, dass wir auf ein Problem zusteuern.“ Er kritisierte in diesem Zusammenhang die Nachrichtendienste. „Mindestens ab Sommer sei es für diejenigen, die nicht zu den Nachrichtendiensten gehörten, offensichtlich gewesen,“ so Seehofer.

Dass er sich dennoch weiterhin gegen eine pauschale Aufnahme stellte, begründete er mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Die Dienste hätten betont, ihnen blieben noch Monate zur Verfügung. „Wir verlassen uns bis zum heutigen Tag auf die Dienste,“ sagte er und fügte hinzu: „Ich muss mich als Minister darauf stützen, was die Dienste mir sagen.“

Dass das BMI noch im August 2021 Abschiebeflüge nach Afghanistan organisiert hat, führt Seehofer ebenfalls auf andere Akteure zurück. Dass die afghanische Regierung keine Rückführungen wünschte und die europäische Grenzschutzagentur Frontex aus Sorge um die Menschenrechte davor warnte, ließ Seehofer vor dem Ausschuss nicht gelten. Stattdessen wies der ehemalige Innenminister auf den Asyllagebericht des AA hin, der Abschiebungen nach Afghanistan als möglich dargestellt habe.

Als zweiter Zeuge trat der ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (BMF), Wolfgang Schmidt (SPD), auf. Er berichtete, der damalige Finanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe eine schnelle Evakuierung befürwortet und als Finanzminister damals die dafür notwendigen Mittel bereitgestellt, als Kabul gefallen war.

Schmidt, der heute als Chef des Bundeskanzleramtes weiterhin eng mit Scholz zusammenarbeitet, konnte nicht erklären, warum seine Mails zum Thema Afghanistan dem Ausschuss nur über die Empfänger in anderen Ressorts zur Verfügung gestellt wurden. Auch ansonsten konnte er wenig zum Untersuchungsgegenstand beitragen, da er sich an kaum etwas erinnern konnte. So lautete etwa eine Antwort auf eine konkrete Frage: „Ich erinnere mich nicht an den Vorgang, aber ich will nicht ausschließen, dass ich es damals gewusst habe.“

Als letzte Zeugin hörte der Ausschuss die Büroleiterin der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Die Zeugin berichtete, dass sie sich bezüglich Afghanistan vor allem um die zahlreichen Hilfeersuchen gekümmert habe. Die inhaltliche Arbeit zum Thema sei von der Adjutantur übernommen worden.

Dennoch habe sie in internen Treffen wahrgenommen, dass das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) bezüglich der Ortskräfte „von Beginn an, von A bis Z, ohne Unterlass die treibende Kraft“ gewesen sei. Vor allem beim BMI und dem AA sei nicht mit dem Tempo gearbeitet worden, das sie für notwendig gehalten hätten. Das BMVg hingegen habe beispielsweise ein Callcenter eingerichtet und damit weit mehr als das gemacht, was die eigentliche Zuständigkeit gewesen wäre.

Als sich die Lage in Afghanistan zuspitzte, sei aufgrund des Engagements der Ministerin zunehmend debattiert worden, dass das OKV zu aufwendig sei, was schließlich zum Wegfall der Einzelfallprüfung geführt habe. Sie fügte hinzu, dass der Ministerin nicht nur der Schutz der Ortskräfte wichtig gewesen sei, sondern auch die obligatorische Sicherheitsprüfung.