Zeuge sieht falsche Angaben im Vermerk der Ministerien
Berlin: (hib/HLE) Der gemeinsame Prüfvermerk des Bundesumweltministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums vom 7. März 2022, wonach ein Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke aus Gründen der nuklearen Sicherheit nicht mehr vertretbar gewesen sei, war nach Ansicht eines Zeugen fehlerhaft und vor allem politisch motiviert. Vor dem 2. Untersuchungsausschuss, der die Umstände des deutschen Atomausstiegs untersucht, erklärte Uwe Stoll, ehemaliger wissenschaftlich-technischer Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission, der Prüfvermerk sei inhaltlich an vielen Stellen falsch gewesen. Das hätten auch andere Kollegen in der Reaktorsicherheitskommission so gesehen, sagte Stoll am Donnerstag in der vom Ausschussvorsitzenden Stefan Heck (CDU) geleiteten Sitzung.
Auf Fragen von Abgeordneten erläuterte Stoll, es habe geheißen, dass die Betriebsgenehmigungen der noch laufenden Kernkraftwerke zum damals gesetzlich festgelegten Abschaltdatum Ende 2022 erlöschen würden und neue Betriebsgenehmigungen erforderlich seien. Das sei falsch gewesen. Erlöschen würden nur die Genehmigungen, Strom zu erzeugen. Die Einschätzung, dass ein Streckbetrieb der letzten Kraftwerke kein Mehr an Energie bringe, sei ebenfalls falsch gewesen. Auch technische Nachrüstungen seien nicht erforderlich gewesen. Die Einschätzung, dass erneute Periodische Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ), die an den letzten drei Atomkraftwerken wegen der vorgesehenen Abschaltung längere Zeit nicht mehr durchgeführt worden waren, zu umfangreichen Nachrüstungen führen würden, sei falsch gewesen. Die Durchführung einer Periodischen Sicherheitsüberprüfung sei keine Genehmigungsvoraussetzung, sagte Stoll.
Er habe den Eindruck zu dem gemeinsamen Vermerk, dass damit eine politische Entscheidung mit sicherheitspolitischem Feigenblatt gefallen sei. Durch den Vermerk sollte die Diskussion abgewürgt werden. Er wurde bei der Befragung mit einer internen Mail aus dem Ministerium konfrontiert, in der es geheißen habe, Stoll sei ein „absoluter Atommann“. Stoll kommentierte dies mit dem Satz: „Ich habe damit kein Problem.“
Unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Krieges sei klar gewesen, dass es Diskussionen um die Sicherheit der Energieversorgung geben würde, sagte der Zeuge. Es sei auch klar gewesen, dass es eine Diskussion um die Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke geben werde. Er habe im Umweltministerium seine Hilfe angeboten, habe aber die Auskunft bekommen, dass dies ein „politisches Minenfeld“ sei und sich die GRS besser nicht beteiligen sollte.
Auf weitere Fragen wies Stoll darauf hin, dass die deutschen Kernkraftwerke bis zum 31. Dezember 2022 als sicher eingestuft gewesen seien. Er verstehe nicht, warum sie am 1. Januar 2023 plötzlich nicht mehr sicher gewesen sein sollten. Wenn sie unsicher gewesen seien, würde dies die gesamte Aufsicht in Deutschland in Frage stellen.
Zur Sicherheit von Atomkraftwerken allgemein sagte Stoll, jede Form der Energieerzeugung habe Risiken. Atomkraft sei eine mit Risiken behaftete Technologie wie jede andere, keine Hochrisikotechnologie. Die deutschen Anlagen hätten weiterlaufen können, sagte er. In den Niederlanden und der Schweiz würden aus Deutschland gelieferte Kernkraftwerke heute noch laufen. In den Niederlanden solle eine Betriebsverlängerung eines aus Deutschland gelieferten Kraftwerks auf 80 Jahre erfolgen. All diese Kraftwerke würden wesentlich länger betrieben als die in Deutschland.