Debatte über Entlastungen im Steuerrecht
Berlin: (hib/BAL) Die Entlastungswirkungen des Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 2024 (20/12783) und des Steuerfortentwicklungsgesetzes (20/12778) haben Sachverständige am Montagnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses diskutiert. Dabei forderte Katja Rietzler von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, geladen auf Vorschlag der SPD-Fraktion, Steuern und Sozialabgaben zusammen zu betrachten. „Wir können nicht damit rechnen, dass die Haushalte in der Breite entlastet werden“, erklärte sie. Zwar finde Entlastung im Steuersystem mit den beiden Gesetzentwürfen statt. Insbesondere bei mittleren Einkommen werde das aber infolge steigender Sozialabgaben aufgezehrt.
Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler, geladen auf Vorschlag der FDP-Fraktion, betonte dagegen das verfassungsrechtliche Gebot, den steuerlichen Grundfreibetrag wie im Gesetzentwurf vorgesehen zu erhöhen. Er lobte die im Gesetzentwurf vorgesehene Rechtsverschiebung der Eckwerte im Einkommensteuertarif, mit denen die Koalition die sogenannte Kalte Progression ausgleichen will. „Es ist extrem wichtig, das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Steuerrecht zu wahren, und zwar die reale Leistungsfähigkeit“, sagte Warneke. Er warnte, dass andernfalls die Kalte Progression den „Fiskus zum Inflationsgewinner“ mache.
Dass der Abbau der Kalten Progression auch positive gesamtwirtschaftliche Effekte auf das Wirtschaftswachstum habe, lobte Klaus Michelsen vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VfA), geladen auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Michelsen begrüßte mit Blick auf die Konjunktur aber insbesondere die erhöhten Abschreibungsmöglichkeiten auf unternehmerische Investitionen. Er bedauerte, dass bereits im Wachstumschancengesetz (20/9341) die Klimaschutzprämie als steuerliche Förderung gescheitert sei.
Michelsen äußerte sich auch positiv zu einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der eine „Teilzeitaufstockungsprämie“ vorsieht. Diese sieht vor, dass Arbeitnehmer in Teilzeit bis zu 4.500 Euro steuerfreie Entgelte ihres Arbeitgebers als Zusatz zu ihrem bisherigen Lohn bekommen können, wenn sie ihre Arbeitszeit dauerhaft erhöhen. „Das ist bedenkenswert“, sagte Michelsen und erklärte unter Verweis auf den Fachkräftemangel, der die Wirtschaft lähme: „Die Teilzeit ist die eigentliche Reserve am Arbeitsmarkt.“
Vor negativen Effekten für das Wirtschaftswachstum aufgrund neuer Bürokratie warnten Sylvia Mein vom Deutschen Steuerberaterverband und Monika Wünnemann vom Bund der Deutschen Industrie (BDI), beide als Sachverständige geladen auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion. Beide sprachen sich gegen eine Anzeigenpflicht für Unternehmen aus mit Blick auf nationale Steuergestaltung. „Die Unternehmen können keine weitere Bürokratie verkraften“, sagte Wünnemann. Mein sprach gar von einem „großen Humbug“.
Einen Ausgleich der steuerlichen Mindereinnahmen infolge der Entlastungen forderte Uwe Zimmermann von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Die erhöhten degressiven Abschreibungsmöglichkeiten würden die kommunalen Haushalte treffen, die aber zugleich gefordert seien bei Investitionen. „Wir fordern eine Kompensation der Steuermindereinnahmen“, sagte Zimmermann. Denkbar sei aus seiner Sicht als Ausgleich ein höherer Umsatzsteueranteil für die Städte und Gemeinden.
Positiv über einen weiteren Aspekt in dem Gesetzentwurf äußerte sich Steffen Diefenbach-Trommer von der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, Sachverständigenrat auf Vorschlag der Gruppe Die Linke. Er lobte die „Demokratieklausel“, derzufolge sich gemeinnützige Organisationen künftig im Einzelfall politisch äußern dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren. „Das ist ein Fortschritt“, sagte Diefenbach-Trommer. Auch Vereine seien Grundrechtsträger. „Wir sollten demokratiefördernde Organisationen stärken“, forderte Diefenbach-Trommer. Er sprach sich für „neue Zwecke der Förderung“ aus und nannte beispielsweise Rechtsstaatlichkeit.
Die Aufzeichnung sowie die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen finden sich hier: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a07_finanzen/Anhoerungen/1021398-1021398