Fachgespräch über Drogentote und Hilfsangebote
Berlin: (hib/PK) Für die Drogenszene muss nach Ansicht von Fachleuten mehr professionelle Hilfe bereitgestellt werden. Es gehe dabei um sehr niedrigschwellige Angebote, etwa Drogenkonsumräume, Medikamente oder Drug-Checking, erklärten die Experten am Mittwoch in einem Fachgespräch des Gesundheitsausschusses über die Entwicklung der Zahl der Drogentoten und die Bilanz der Drogenhilfe- und Präventionsarbeit. Die Sachverständigen gingen dabei auf die Lage in Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main und Leipzig ein.
Nina Pritszens vom Verbund für integrative soziale und therapeutische Arbeit (vista) in Berlin erinnerte an die bundesweit 2.227 drogenbedingten Todesfälle des vergangenen Jahres und sprach von einem traurigen Rekord. In Berlin waren es 271 Drogentote. Die Beratungsstellen arbeiteten an der Belastungsgrenze. Betroffene hätten Probleme, Ansprüche durchzusetzen und weiterführende Hilfen zu nutzen. Opiate und Kokain spielen laut Pritszens die Hauptrolle bei den Todesfällen. Sie forderte Drug-Checking als Regelangebot und ein bundesweites Drogen-Monitoring.
Wie Christine Tügel von der Jugendhilfe Hamburg erläuterte, sind die meisten Todesfälle durch Mischkonsum (Polyvalenter Drogenkonsum) zu erklären, der in der offenen Drogenszene in Hamburg seit vielen Jahren vorherrsche. Die Wirkung der Substanzen zueinander sei für Konsumenten schwer einzuschätzen. Hinzu komme der schwankende Reinheitsgrad und die Zumischung synthetischer Opioide, vor allem Fentanyl. Dies führe zu einem wachsenden Risiko.
Wegen ihrer prekären Lebenslage hätten Konsumenten einen erheblichen Bedarf an medizinischer Hilfe, sagte Tügel. Viele Drogenkonsumenten nähmen medizinische Hilfe aber zu spät oder gar nicht wahr. Sie hätten daher ein hohes Risiko, an nicht behandelten Begleiterkrankungen zu sterben. Viele Konsumenten nehmen nach ihrer Erfahrung Heroin, Crack, Kokain, Benzodiazepine und Alkohol. Die Betroffenen seien stark verelendet. Hilfsangebote müssten in jedem Fall anonym und kostenlos zu nutzen sein sowie auch nachts und am Wochenende. Nötig seien Übergangswohnprojekte für abhängige Menschen mit Pflegebedarf.
Bernd Werse vom Institut für Suchtforschung (ISFF) der Frankfurt University of Applied Sciences berichtete, Heroin sei in Frankfurt immer noch die am häufigsten konsumierte Droge am Tag der Überdosis. Crack, Alkohol und Benzodiazepine hätten jedoch an Relevanz gewonnen. Bundesweit dominierten Opioide, Kokain, Crack, Amphetamine und psychoaktive Medikamente. Der Mischkonsum spiele zunehmend eine Rolle bei den Drogentoten. Wer ohnehin riskant konsumiere, mache das heute noch riskanter. Für die Risikogruppen sollte nach Ansicht Werses mehr getan werden mit Angeboten zur Schadenminderung. So sei Drug-Checking in der harten Szene notwendig.
Die Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, Sylke Lein, ging auf die Probleme im öffentlichen Raum ein, die durch die Drogenszene entstehen. Oft konzentriere sich in größeren Städten die offene Drogenszene an Bahnhöfen. Dies führe zu repressiven Maßnahmen, Konsumenten würden dann in Wohngebiete verdrängt. Sie sprach sich dafür aus, schon bei der Bauplanung an sensiblen Orten wie Kitas oder Schulen die Drogenhilfe mit einzubeziehen. Die Hilfen im niederschwelligen Bereich müssten massiv ausgebaut werden.