Experten fordern existenzsicherndes BAföG
Berlin: (hib/CHA) Der Gesetzentwurf (20/11313) der Bundesregierung für ein 29. Gesetz zur Änderung des Berufsausbildungsförderungsgesetzes (29. BAföGÄndG) ist in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwochmittag auf Kritik bei den geladenen Sachverständigen gestoßen. Die Mehrheit der Experten beanstandete die ausbleibende Erhöhung des BAföG-Grundbedarfs und forderte existenzsichernde Bedarfssätze.
Mit dem BAföGÄndG will die Bundesregierung die BAföG-Förderung „stärker an tatsächliche Studienverläufe“ anpassen. Beispielsweise sollen BAföG-Beziehende zukünftig ein Semester über die Regelstudienzeit hinaus gefördert werden oder leichter die Fachrichtung wechseln können. Das BAföG sei eines der wichtigsten Instrumente für Bildung und Chancengerechtigkeit, sagte der Ausschussvorsitzende Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) vor Beginn der Aussprache.
Neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde ein Antrag (20/11375) der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Das BAföG auf die Höhe der Zeit bringen“, ein Antrag (20/11376) der AfD-Fraktion mit dem Titel „Kernprobleme des BAföG angehen - Antragsverfahren vereinfachen, Zuschuss vom Darlehen entkoppeln, Beiträge erhöhen und Dynamisierung gesetzlich verankern“ sowie ein Antrag (20/10744) der Gruppe Die Linke mit dem Titel „BAföG unverzüglich existenzsichernd und krisenfest gestalten“ beraten.
Sonja Bolenius vom Deutschen Gewerkschaftsbund - Bundesvorstand (eingeladen auf Vorschlag der Fraktion der SPD) merkte an, dass die letzte Erhöhung des Grundbedarfs beim BAföG bereits zwei Jahre zurückliege. Daher sei sie erstaunt, dass keine Anpassung der Bedarfssätze geplant sei. Die Sachverständige kritisierte, dass der BAföG-Höchstsatz bereits jetzt deutlich unter dem Existenzminimum liege. Den Anspruch, Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zu ermöglichen, könne das BAföG damit nicht einlösen.
Auch Bernhard Börsel vom Deutschen Studierendenwerk plädierte für eine Anpassung der Bedarfssätze auf ein existenzsicherndes Minimum sowie eine Dynamisierung von Freibeträgen, Bedarfssätzen und Krankenversicherungszuschlägen. Zudem forderte der Sachverständige, dass die BAföG-Freibeträge zukünftig wieder Familien mit mittleren Einkommen erreichen müssen. Laut Börsel lege der BAföG-Bericht genau offen, wie hoch die Bedarfssätze und Freibeträge sein müssten, damit Studierende davon leben können. Daher gebe es kein Informationsdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.
Wolf Dermann von der gemeinnützigen GmbH „Arbeiterkind.de“ (eingeladen auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, dass die Schulden für BAföG-Empfängerinnen und BAföG-Empfänger zukünftig nicht mehr auf einen festen Betrag gedeckelt seien. Eine solche Unsicherheit beim Eingehen von Schulden schrecke Studierenden immens ab. Dermann warnte, dass dadurch die Zahl derjenigen, die BAföG beantragen, sinken werde. Er warb zudem für die rechtzeitige Auszahlung des BAföG - das sei jedoch immer häufiger ein Problem. So berichtete Dermann, dass in einigen Behörden die Bearbeitungszeit für einen BAföG-Antrag bei acht Monaten liege.
Auch Niklas Röpke vom überparteilichen Dachverband der Studierendenvertretungen „Freier Zusammenschluss von Student*innen-schaften“ (eingeladen auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion) warnte, dass ein hoher Schuldenberg am Ende des Studiums junge Menschen von der Beantragung des BAföG abschrecke. Er forderte: „Das BAföG muss sich an die Höhe des Bürgergeldes anpassen“, denn das sei das politisch festgesetzte Existenzminimum.
Ähnlich äußerte sich Greta Schabram vom Paritätischen Gesamtverband (eingeladen auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion). Sie kritisierte, dass das BAföG mit einem Grundbedarf in Höhe von 452 Euro nicht mehr existenzsichernd sei. Auch die Wohnkostenpauschale entspreche in keiner Weise dem, was Studierende für ein WG-Zimmer oder eine kleine Wohnung benötigen. Schabram machte darauf aufmerksam, dass vier von fünf aller alleinlebenden oder in einer WG-lebenden Studierenden von Armut betroffen seien und forderte daher eine strukturelle Reform der Förderung. Diese müsse die zentralen Elemente des BAföG, also insbesondere den Grundbedarf, tangieren.
Mit einer Förderquote von zwölf Prozent nehme das BAföG schon lange nicht mehr die zentrale Rolle bei der Herstellung chancengerechter Bildung ein, sagte Ulrike Tippe von der Hochschulrektorenkonferenz (eingeladen auf Vorschlag der SPD-Fraktion). Zwar äußerte sie sich positiv bezüglich der geplanten Einführung eines Flexibilitätssemesters, merkte jedoch an, dass zwei zusätzliche Semester eher der Lebensrealität der Studierenden entsprächen. Auch kritisierte Tippe, dass die Beantragung der geplanten Studienstarthilfe mit einer aufwendigen Nachweispflicht verbunden wäre.
Stephan Thomsen von der Leibniz Universität Hannover (eingeladen auf Vorschlag der FDP-Fraktion) sagte zwar, dass der monatliche BAföG-Satz unterhalb der studentischen Ausgaben liege, dennoch sprach sich der Sachverständige dagegen aus, die Leistungen des BAföG einfach zu erhöhen. Vielmehr müsse eine entsprechende Bedarfsprüfung vorgenommen werden. Thomsen forderte daher eine umfassende „Wirksamkeitsevalution“, die untersuchen solle, ob das BAföG dazu beitrage, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit herzustellen. Eine fundierte Evaluation sei auch dahingehend notwendig, da es sich mit dem BAföG um eine Steuerleistung handle.