Strafbarkeit krimineller Internet-Handelsplattformen
Berlin: (hib/MWO) Geteilter Meinung waren die Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Montag, bei der es um eine weitere Änderung des Strafgesetzbuches ging. Die Experten waren sich uneinig, ob für die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet (19/28175) die Einführung eines neuen Strafbestands erforderlich ist. In der vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Heribert Hirte (CDU) geleiteten Sitzung wurde der Entwurf von Praktikern begrüßt, während sich Strafrechtler überwiegend kritisch äußerten.
Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt am Main erklärte in seiner schriftlichen Stellungnahme, der in dem geplanten neuen Paragrafen 127 vorgesehene Tatbestand des Betreibens krimineller Handelsplattformen und des Bereitstellens einschlägiger Server-Infrastrukturen sei mangels Bestehens von Strafbarkeitslücken und angesichts der Gefahr einer Überkriminalisierung nicht erforderlich. Angemessene Lösungen für die fraglos im Einzelfall vorhandene Strafbedürftigkeit könnten in den Deliktsbereichen des Betäubungsmittel-, Waffen- oder Arzneimittelstrafrechts bereits heute erreicht werden. Jahn und weitere Sachverständige verwiesen auf eine Reihe von Ermittlungserfolgen der letzten Zeit, zuletzt die am Montag bekannt gewordene Abschaltung einer Kindesmissbrauchs-Plattform im Darknet, die zeigten, dass eine Tatbestandsausweitung nicht erforderlich sei.
Auf die aus Sicht der Wissenschaftler fehlende Regelungslücke ging auch Mark Zöller von der Ludwig-Maximilians-Universität München ein. Das geltende deutsche Strafrecht genüge vollkommen den Herausforderungen. Zudem sei der Straftatenkatalog des Paragrafen viel zu weit geraten. Die vorgeschlagene Gesetzesfassung verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als spezifische Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips.
Diese Ansicht vertrat auch Christian Rückert von der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Der neue Paragraf beinhalte eine extreme Ausweitung der Strafbarkeit in das sogenannte Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung. Zudem bestehe die Gefahr, dass ein Anfangsverdacht auch gegen legale Plattformen begründet werden könne.
Jörg Eisele von der Eberhard Karls Universität Tübingen verwies in seiner Stellungnahme auf das Attentat beim Münchner Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016. Gerade dieser Fall zeige, inwiefern Strafbarkeitslücken bestünden und inwieweit Paragraf 127 diese schließen beziehungsweise nicht schließen würde. Angesichts dessen, dass eine Strafbarkeit des Plattformbetreibers nicht immer gegeben sein beziehungsweise sich nicht nachweisen lassen werde, sei es vertretbar, die Strafbarkeit bereits an das Betreiben einer kriminellen Zwecken dienenden Plattform zu knüpfen.
Dominik Brodowski von der Universität des Saarlandes gab zu bedenken, dass die Strafgesetzgebung aktuell in hohem Takt geändert werde. Dies erschwere die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit aktuellen Gesetzentwürfen. Angesichts dieser allgemeinen Entwicklung verwundere es nicht, dass auch über die fachliche Erforderlichkeit und Ausgestaltung des vorliegenden Entwurfs viel Streit bestehe.
Kritisch zu dem Entwurf hatte sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Ulrich Kelber, in einer Stellungnahme an den Rechtsausschuss geäußert. Mit der Vorlage sollten wieder neue Überwachungsmöglichkeiten geschaffen werden, ohne dass zuvor ein entsprechender Regelungsbedarf geprüft und festgestellt worden sei, schreibt er darin. Er fordere daher erneut ein Sicherheitsgesetz-Moratorium und eine unabhängige wissenschaftliche Analyse der bestehenden Gesetze.
Dagegen begrüßte Oliver Piechaczek vom Deutschen Richterbund den Entwurf in seiner Gesamtheit ausdrücklich. Damit werde eine Regelungslücke geschlossen. Zusätzlich müssten die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden über die notwendigen personellen Ressourcen und technischen Kapazitäten verfügen. Piechaczek sagte, kriminelle Plattformen im Internet spielten für den Handel mit Betäubungsmitteln, Waffen, gehackten Passwörtern oder Kinderpornographie eine zunehmend wichtige Rolle. In der Praxis der Strafverfolgung bestehe jedoch nicht selten die Schwierigkeit, strafwürdiges Verhalten mit dem geltenden Regelungsregime zu erfassen.
Der Bamberger Oberstaatsanwalt Thomas Goger erklärte, es sei uneingeschränkt zu begrüßen, dass das Problem der Nachweisschwierigkeiten aufgegriffen und durch Schaffung eines spezifisch auf den Betrieb entsprechender Handelsplattformen ausgerichteten Straftatbestandes rechtssicher gelöst werden solle. Goger sprach sich für Verbesserungen des Entwurfs aus. So sollte der Tatbestand der Erpressung in den Straftatenkatalog aufgenommen werden, und der Strafrahmen für Kinderpornografie müsse erhöht worden. Aus der Sicht von Goger und weiteren Experten gefährdeten kriminelle Handelsplattformen im Internet zusätzlich zu den geschützten Rechtsgütern auch die Funktionsfähigkeit und Integrität der Online-Wirtschaft als Ganzes im Sinne eines abstrakten Gefährdungstatbestandes.
Thomas Wullrich von der Staatsanwaltschaft Stuttgart schloss sich Goger an. Die konkrete Ausgestaltung einzelner Regelungen sollte nochmals überdacht werden. Dazu zählten die mit der personellen Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit oder an eine Lebensgrundlage im Inland vorgenommene Einschränkung der Täterschaft. Der Straftatenkatalog sollte um den Tatbestand der Geldwäsche erweitert werden, und die Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung sollten erweitert werden.