„Wer mit der Bundeswehr liebäugelt, ist Goldstaub“ – Interview, 10.11.2023
Interview mit der Wehrbeauftragten im „Tagesspiegel“ vom 10. November 2023
„Wer mit der Bundeswehr liebäugelt, ist Goldstaub“
„Frau Högl, erinnern Sie sich noch an die Reaktionen auf Ihre Wahl im Bundestag vor dreieinhalb Jahren? “Respektierte Innenpolitikerin„, schrieb FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff damals über sie, “aber Bundeswehr? Null Kompetenz, null„
Einer Frau auf einem neuen Posten als Erstes die Kompetenz abzusprechen, ist ein Klassiker. Dabei hatte ich mich davor erfolgreich in viele neue Themen eingearbeitet. Und die Bundeswehr lag mir immer am Herzen.
Wie das?
Ich bin ein Kind des Kalten Krieges, wuchs in der Nähe eines Fliegerhorstes bei Oldenburg auf -Soldaten zu sehen gehörte zu meinem Alltag, auch in Wilhelmshaven bei der Marine. Als Abgeordnete für Berlin-Mitte war ich dann stolz, die Julius-Leber-Kaserne und das Bundeswehrkrankenhaus im Wahlkreis zu haben. Fern lag mir das Militärische also nie, ich habe mich immer dafür interessiert und hoffe, dass ich meine Kritikerinnen und Kritiker inzwischen überzeugen konnte. Am wichtigsten aber ist mir, das Vertrauen der Abgeordneten und der Truppe zu haben.
Bei einem Truppenbesuch in Mali im Frühjahr fand abends ein Pub Quiz statt, bei dem gefragt wurde, welche der vier zur Auswahl stehenden Vornamen die Wehrbeauftragte nicht trägt. Die meisten wussten, dass “Eva„ und “Alexandra„ dazugehören, “Maria„ aber nicht. Da schien eine gewisse Nähe entstanden zu sein.
Das freut mich sehr. Gerne bezeichne ich mich als Anwältin der Soldatinnen und Soldaten. Ich lese jede einzelne Eingabe. Im Jahr 2022 waren das 2343. Ich will verstehen, was die Bundeswehr umtreibt, wo der Schuh drückt. Das erfahre ich auch bei vielen Truppenbesuchen - vergangenes Jahr war ich 100 Tage im In- und Ausland unterwegs.
Wie ist aktuell Ihr Eindruck von der Truppe?
Als Wehrbeauftragte erlebe ich hautnah, wie professionell, verantwortungsbewusst, motiviert und kreativ unsere Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst leisten. Sie klagen nicht, obwohl sie in dieser Weltlage an einer absoluten Belastungsgrenze angekommen oder teilweise schon weit darüber hinaus sind.
Es ist viel zusammengekommen.
Nehmen Sie nur die Corona-Zeit, als vor Auslandseinsätzen 14 Tage Isolation angesagt war - das lastete vielen schwer auf der Seele. Amtshilfe zur Impfkampagne, Abzug aus Afghanistan, der mit der dramatischen Evakuierung endete, die laufende Rückverlegung aus Mali. Der Ukrainekrieg hat unser gesamtes Sicherheitsumfeld verändert, jetzt der Krieg in Nahost, wo die Bundeswehr für Rettungsoperationen bereitsteht. Unsere Bundeswehr war in den vergangenen Jahren gefordert wie nie zuvor.
Welche Teile besonders?
Viele, die Marine zum Beispiel. Sie hat direkt nach dem 24. Februar 2022 alle verfügbaren Boote und Schiffe in der Ostsee zusammengezogen, um Präsenz zu zeigen. Artilleriebataillone geben Material zur Unterstützung der Ukraine ab, was die eigene Ausbildung erschwert, und bilden zusätzlich die ukrainischen Kräfte aus. So ist es auch bei der Flugabwehr. Die Verbände, die setzt an der Nato-Ostflanke operieren, sind ebenfalls extrem gefordert. Während der allgemeine Engpass bei Material und Personal manche Einheiten besonders strapaziert, sind viele andere aus diesem Grund nicht voll einsatzfähig.
Sie haben einmal den Gesamtbedarf auf 300 Milliarden Euro beziffert, um die Bundeswehr von Grund auf zu modernisieren. Wo soll dieses Geld herkommen?
Zunächst: Das ist nicht meine Zahl, sondern die, mit der auch das Verteidigungsministerium arbeitet. Ich werbe dafür, dass wir in den nächsten Jahren, wenn das Sondervermögen 2026 oder 2027 aufgebraucht ist, den Einzelplan 14, also den regulären Verteidigungsetat, so ausstatten, dass die Bundeswehr umfassend für unsere Sicherheit sorgen kann. Das ist gut investiertes Geld.
Wir sollten also Schulden dafür aufnehmen?
Das müssen der Bundesfinanzminister und der Bundestag entscheiden. Meine Aufgabe ist darauf hinzuweisen, dass die Bundeswehr dieses Geld braucht. Allein 50 Milliarden Euro sind nötig, um die Kasernen zu modernisieren, mindestens 20 Milliarden für Munition. Auch Personal und der laufende Betrieb müssen finanziert werden. Es geht darum, unseren Frieden, Freiheit und Demokratie zu bewahren. Dafür braucht es eine voll einsatzbereite Bundeswehr.
An dramatischen Appellen hat es auch von Ihrer Seite nie gemangelt. Wird die “Zeitenwende„, die bekanntlich zur Beseitigung der Missstände beim Material führen soll, inzwischen ernst genug genommen?
Meinem nächsten Jahresbericht möchte ich nicht vorgreifen. Eines aber kann ich heute schon sagen: Im Jahr 2023 wurde die Materialbeschaffung stark beschleunigt, nachdem im Vorjahr viel Zeit verloren wurde. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat berichtet, dass bis Jahresende zwei Drittel des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens vertraglich gebunden sein werden. Das heißt: Für sehr viele zentrale Rüstungsvorhaben wurden bereits Verträge mit der Industrie geschlossen.
Es wird dauern, bis das Gerät in der Truppe ankommt.
Das stimmt, aber die Perspektive ist jetzt da: Das Material kommt. Und bei der persönlichen Ausstattung, für die der Bundestag 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, hat sich auch im Alltag der Soldatinnen und Soldaten schon konkret etwas getan: Sie zeigen mir neue Helme, Rucksäcke, Westen, Socken, Kälte- und Nässeschutzkleidung. Nun geht es darum, dass Spinde und Stauraum fehlen. Der Bau der notwendigen Infrastruktur muss ebenfalls dringend beschleunigt werden - mit dem kürzlich herausgegebenen Erlass ist zumindest ein Anfang gemacht. Es ist ein Skandal, dass es selbst an einigen großen Standorten keine Truppenküche gibt und das einzige Verpflegungsangebot ein Pizza-Automat ist oder ein Wagen, der belegte Brötchen in die Kaserne bringt.
Die “Bild„ berichtete über Sparpläne, das Angebot an Fleisch und Früchten zu reduzieren. Daraufhin meldete sich Generalinspekteur Carsten Breuer mit einem Dementi: “Der Speiseplan für die Truppe wird nicht zusammengestrichen.„ Was war da los?
Für die Soldatinnen und Soldaten ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung sehr wichtig. Es gab die Überlegung, den Speiseplan zu ändern und deshalb war die Sorge groß. Ich bin froh, dass der Generalinspekteur die Debatte nach der öffentlichen Berichterstattung schnell beendet hat.
Mit schlechterem Essen würde man wohl kaum mehr Personal gewinnen, Sie haben den Engpass bereits angesprochen. Wie kann man ihn überwinden, da die auch von Ihnen geführte Debatte über eine Rückkehr zur Wehrpflicht keine Fahrt aufnimmt?
Das Thema Personal ist im Ministerium endlich Chefsache - ich habe mich vergangenes Jahr sehr dafür eingesetzt. Wir reden viel über Material, das Wichtigste in der Bundeswehr sind aber die 181.000 Frauen und Männer in Uniform. Große Hoffnung setze ich in die Taskforce Personal, die noch dieses Jahr Maßnahmen vorschlagen wird, die auch unmittelbare Wirkung entfalten sollen. Ich habe ebenfalls Vorschläge eingereicht.
Worum geht es da zum Beispiel?
Wer mit der Bundeswehr liebäugelt, ist Goldstaub - niemand davon darf uns verloren gehen. Ich habe viel zu viele Fälle auf dem Schreibtisch, wo genau das geschehen ist, durch eine unklare Ansprache oder Antwortschreiben, die erst eintreffen, wenn der Interessent oder die Interessentin bereits etwas Anderes gefunden hat. Wir müssen gerade am Anfang des Prozesses viel mehr Energie investieren, um sie bei der Stange zu halten. Ohne gute Rahmenbedingungen wie WLAN wird es schwer. Junge Leute haben heutzutage viele Möglichkeiten, die Bundeswehr steht in einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe. Gerade bei Frauen sehe ich noch ein sehr großes Potenzial für die Bundeswehr.
Aktuell beträgt der Frauenanteil nur 13 Prozent. Da scheint die Abschreckung der Bundeswehr gut zu funktionieren.
Natürlich ist die Truppe immer noch männlich dominiert. Aber: Die Bundeswehr kann ich aus voller Überzeugung und guten Gewissens allen Frauen nur empfehlen. Sie ist ein guter Arbeitgeber.
Wie groß ist das Problem mit sexuellen Übergriffen?
Es ist gut, dass es seit dem 1. September eine neue Vorschrift gibt, wie Vorgesetzte bei möglichen sexuellen Übergriffen zu reagieren haben. Vergangenes Jahr hatte ich dazu 357 meldepflichtige Ereignisse auf dem Tisch und 34 Eingaben. Jeder Fall ist einer zu viel, da es auch die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr beeinträchtigt: Frauen und Männer müssen sicher sein, dass sie im Gefecht Seite an Seite kameradschaftlich miteinander umgehen. Da darf es keine Grauzonen geben. Ich verspreche mir von der klaren Nulltoleranz-Politik, dass die Fallzahlen nicht weiter ansteigen, wie wir das beim Rechtsextremismus erlebt haben.
Können Sie denn da wirklich schon Entwarnung geben?
Entwarnung kann ich keine geben, weil der Kampf gegen den Rechtsextremismus eine Daueraufgabe ist. Aber ich sehe eine gute Entwicklung: Zu Beginn meiner Amtszeit waren die rechtsextremen Auswüchse im Kommando Spezialkräfte in aller Munde. Die Bundeswehr hat in diesen dreieinhalb Jahren intensiv daran gearbeitet, dass Fälle von Rechtsextremismus konsequent gemeldet und verfolgt werden. Der 60-Punkte-Plan für das KSK hat gewirkt. Das Kommando Spezialkräfte blickt wieder in die Zukunft und ist aktuell extrem gefordert, da es sich für mögliche Evakuierungen aus Israel oder Libanon bereithält. Wir können wieder stolz auf diese Truppe sein.
Was kann für eine noch größere gesellschaftliche Verankerung der Truppe getan werden?
Die Gesellschaft muss sich mehr für unsere Soldatinnen und Soldaten interessieren. An Schulen sollte mehr über Krieg und Frieden sowie die Rolle der Bundeswehr gesprochen werden, gern auch streitig. Mir geht es nicht darum, dass Offiziere in Klassenzimmern für die Bundeswehr werben, was sie in der Praxis eh nicht tun. Wir sollten insgesamt mehr darüber sprechen, wie die Kriege in der Ukraine oder in Nahost sich auf unser Land auswirken. Es gilt wieder, unsere Freiheit zu verteidigen. Das ist nicht nur Aufgabe der Bundeswehr, da ist jeder und jede gefordert. Wir können nicht alles bei den Soldatinnen und Soldaten abladen nach dem Motto: Ihr macht das schon, wenn es ernst wird.
Da sind Sie ganz bei Pistorius, der anmahnt, Deutschland müsse wieder “kriegstüchtig„ werden?
Unsere Truppe wird ausgebildet, um ein Gefecht zu bestehen. Es entspricht der Rolle des Bundesverteidigungsministers, das klar zu benennen. Ich spreche von Verteidigungsbereitschaft und wehrhafter Demokratie. Gemeint ist dasselbe. Es ist gut und richtig, wenn Boris Pistorius darauf hinweist, wie ernst die Lage ist.“
Interview: Christopher Ziedler