„Der Bundeswehr könnte schnell die Munition ausgehen“ - Interview, 03.06.2022
Interview mit der Wehrbeauftragten in der Rheinischen Post vom 3. Juni 2022
„Der Bundeswehr könnte schnell die Munition ausgehen“
Frau Högl, jahrzehntelang war die Bundeswehr unterfinanziert - reichen da 100 Milliarden, um eine hochmoderne Armee zu bekommen?
Högl: 100 Milliarden Euro sind eine Menge Geld, hinzu kommt der auf 50,4 Milliarden Euro gewachsene Wehretat aus dem regulären Haushalt. Es ist gut investiertes Geld in Frieden und Freiheit. Diese Summen sind nötig, damit die Bundeswehr wieder voll einsatzbereit wird. Es genügt also, um die größten Lücken zu stopfen.
Mehr nicht?
Högl: Der Bedarf der Bundeswehr geht weit über das Sondervermögen hinaus. Daher ist es wichtig, dass die solide Finanzierung der Streitkräfte verstetigt wird und nachhaltig ist. Das darf kein Strohfeuer bleiben.
Was passiert, wenn in wenigen Jahren der Anteil der Verteidigungsausgaben wieder unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinkt?
Högl: Wir wollen erst einmal hoffen, dass die Vereinbarungen eingehalten werden und der Wehretat in den nächsten Jahren so hoch bleibt. Es liegt aber nicht allein am Geld. Wichtig ist, dass es klug ausgegeben wird und bei der Truppe ankommt. Das Planungs- und Beschaffungswesen muss reformiert werden, da ist in der Vergangenheit viel schiefgelaufen.
Waffenbeschaffungen dauern oft viele Jahre. Wie passt das mit dem sofort verfügbaren Geld zusammen?
Högl: Die Bundeswehr braucht jetzt die richtige Prioritätensetzung. Die Soldatinnen und Soldaten müssen unmittelbar spüren können, dass es nun mehr Geld gibt. Das bedeutet, dass zwar teure Projekte wie ein neuer Tarnkappen-Kampfjet angestoßen werden müssen, zugleich braucht es aber sofort die Bestellung von neuer Bekleidung und Ausrüstung. Bislang sind die Frauen und Männer in der Truppe nicht ausreichend gerüstet, um ihren Auftrag zu erfüllen.
Bis wann soll das abgeschlossen sein?
Högl: Bis spätestens 2025 muss die persönliche Ausstattung verfügbar sein, das wäre sechs Jahre schneller als bislang geplant. Zusätzlich muss jetzt auch Tempo gemacht werden beim leichten Gerät wie Nachtsichtgeräten oder bei den dringend benötigten digitalen Funkgeräten.
Inwiefern sind die geplanten Ausgaben aus dem Sondervermögen abgestimmt mit den Anforderungen aus der Nato?
Högl: Ich gehe davon aus, dass die Liste sich an den Anforderungen der Nato orientiert und nicht Dinge bestellt werden, die innerhalb des Bündnisses nicht zu unserem Fähigkeitsprofil passen. Man muss in der Nato arbeitsteilig vorgehen, alles andere wäre ineffizient. Wenn sich die Nato-Anforderungen durch den russischen Krieg in der Ukraine geändert haben, dann muss das bei der Verwendung des Sondervermögens berücksichtigt werden.
In der Vergangenheit gab es immer wieder Kollisionen zwischen den Wünschen der Nato, den Wünschen der Bundeswehr und den Interessen von Abgeordneten, die Rüstungsfirmen im Wahlkreis haben. Droht das jetzt wieder?
Högl: Es ist die Aufgabe der Abgeordneten, die Interessen ihrer Wahlkreise und damit der dort ansässigen Unternehmen zu vertreten. Es gibt aber die unmissverständliche Verabredung bei der Verwendung des Sondervermögens ausschließlich danach zu gehen, was die Nato benötigt und was die Bundeswehr zusätzlich braucht. Da muss man an der einen oder anderen Stelle das regionale Interesse hintanstellen. Wir brauchen jetzt mehr gemeinsames Agieren im Bündnis.
Seit Gründung der Bundeswehr gab es nie Krieg in der Nachbarschaft - was macht der russische Angriffskrieg jetzt mit den Soldatinnen und Soldaten?
Högl: Der Krieg in der Ukraine hat alles verändert. Das ist auch in der Truppe spürbar. Die Soldatinnen und Soldaten schauen mit großer Ernsthaftigkeit und hoher Professionalität auf das Geschehen dort. Es kann für sie ernst werden, es kann mitunter schnell gehen und sie müssen immer einsatzbereit sein. Die Bündnis- und Landesverteidigung ist nicht mehr nur Theorie. Sie ist jetzt sehr konkret greifbar und notfalls erforderlich.
Sollte es mehr Sold geben, damit die Bundeswehr trotz dieser Bedrohungslage attraktiver wird?
Högl: Die aktuelle Situation scheint mehr Menschen dazu zu bringen, sich für die Verteidigung zu engagieren. Das betrifft viele junge Leute, aber auch Ältere, die die Reserve verstärken wollen. Vielen wird klar, wofür wir die Bundeswehr brauchen. Es wird zugleich deutlich, dass der Soldatenberuf etwas sehr Besonderes ist, der nicht mit einer Kfz-Werkstatt oder einem Verwaltungsarbeitsplatz verglichen werden kann. Hier wird das eigene Leben und die körperliche Unversehrtheit eingesetzt für Frieden und Freiheit. Die Attraktivität hängt nicht so sehr vom Finanziellen ab, vielmehr von den Rahmenbedingungen, von Material, Personal, Infrastruktur und Vereinbarkeit von Familie und Dienst.
Wie steht es um diese Vereinbarkeit?
Högl: Noch nicht so, wie es sein sollte. Es bleibt eine Daueraufgabe das immer weiter zu verbessern. Natürlich steht über allem die Einsatzbereitschaft. Aber dafür muss ich auch die Motivation hoch halten. Und ich darf es auch nicht überdehnen. Da wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem wichtigen Beitrag, um die Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Ich habe da ein waches Auge drauf.
Unterscheidet sich die Wahrnehmung der aktuellen Vorgänge bei den Soldaten im Baltikum von der in ihrer Heimat?
Högl: Die Soldaten in Litauen spüren die Bedrohung ganz unmittelbar. Aber seit dem 24. Februar ist diese Bedrohung auch spürbar in den Verbänden, die verlegt werden könnten. Die Luftüberwachung etwa in Rumänien oder in Polen, die in die Slowakei verlegten Einheiten mit Patriot-Raketen – das zieht sich durch, und es betrifft nicht nur diejenigen, die die Ostflanke verstärken, sondern auch diejenigen, die dafür in
Betracht kommen könnten. Für die Angehörigen der Schnellen Eingreiftruppe stellt sich der Auftrag nun ebenfalls ganz anders dar.
Wenn es eine unerwartete Ausweitung des Krieges gäbe, wie einsatzbereit wäre die Bundeswehr?
Högl: Wir haben Defizite beim Personal, beim Material und bei der Infrastruktur. Die Bundeswehr ist nicht so vollständig einsatzbereit, wie wir uns das wünschen. Aber sie kann eingesetzt werden und ihre Bündnisverpflichtungen erfüllen – immer im Zusammenspiel mit den Nato-Partnern.
Was bedeutet in dem Zusammenhang eine Lücke von 20 Milliarden Euro bei der Munitionsbeschaffung?
Högl: Das heißt, dass der Bundeswehr im Verteidigungsfall schnell die Munition ausgehen könnte. Deshalb gibt es hier einen sehr dringenden Handlungsbedarf.
Und wie ist es vor diesem Hintergrund um die Bereitschaft der Soldaten bestellt, noch mehr Waffen an die Ukraine abzugeben?
Högl: Ich spreche mit den Soldatinnen und Soldaten vor allem darüber, was sie brauchen für Ausbildung, Übung und Einsatzbereitschaft. Aber die Überzeugung bei ihnen ist zugleich: Wir müssen die Ukraine unterstützen, sowohl bei der Lieferung von Waffen aus der Bundeswehr als auch aus den Unternehmen heraus.
Bekommen Sie auch Eingaben zur Ministerin selbst? Wie zufrieden ist die Truppe mit Christine Lambrecht?
Högl :Dazu bekomme ich keine Eingaben. Für Soldatinnen und Soldaten ist völlig klar, dass politisch darüber entschieden wird, wer die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt ist. Darüber äußern sich Soldatinnen und Soldaten nicht. Es geht ihnen in den Gesprächen mit mir vielmehr darum, was das Ministerium beitragen muss, damit sie gut ausgerüstet sind. Das finde ich auch sehr professionell.
Nun arbeiten Sie auch im politischen Umfeld. Haben Sie den Eindruck, dass die Ministerin allmählich Fuß fasst?
Högl: Ich habe von Anfang an den Eindruck, dass Christine Lambrecht viele Dinge sehr zügig entscheidet. Sie hat die Nachfolge für die Tornados schnell geklärt, die Bewaffnung der Drohnen, die persönliche Ausstattung, die Reform des Beschaffungswesens – wenn man das mit anderen vergleicht, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Ministerin sehr engagiert ist. Ich werde sie als Wehrbeauftragte immer daran messen, was sie für die Truppe erreicht.
Jahrelang befasste sich die Bundeswehr mit Extremisten in den eigenen Reihen. Haben die Vorgesetzten das in den Griff bekommen?
Högl: Da ist in den vergangenen Jahren viel passiert. Es gibt eine erhöhte Sensibilität in der gesamten Truppe. Die roten Linien sind völlig klar, und auch, dass es da keine Toleranz gibt. Die gestiegene Zahl zeigt, dass wir Rechtsextremismus als Thema haben – in der Bundeswehr genauso wie in der Gesellschaft. Dass es mehr Meldungen aus der Truppe gibt, bewerte ich positiv, weil dies zeigt, dass die Aufmerksamkeit der Kameradinnen und Kameraden gestiegen ist. Es wird darauf zügig reagiert. Mir bereitet allerdings Sorgen, wie lange dann die Verfahren dauern, oft sind das mehrere Jahre.
Sollte der Gesetzgeber hier nachsteuern?
Högl: Wir brauchen vor allem mehr Personal. In den Truppendienstgerichten liegen sehr viele Fälle auf Halde. Für mich ist das ein ganz entscheidender Punkt bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus, dass nach einem Vorfall zügig aufgeklärt und sanktioniert wird. Die Sanktion verpufft, wenn die Entscheidung erst fünf Jahre später folgt. Das ist nicht akzeptabel. Ich gehe davon aus, dass die Ministerin hier zu schlankeren Verfahren kommen will. Außerdem müssen wir wieder stärker in die Prävention einsteigen, da ist in der Pandemie vieles liegengeblieben.
Interview: Jan Drebes und Gregor Mayntz