Grußwort bei der Eröffnung des Bundeskongresses, 8. September 2023, Wernigerode
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Schellenberger
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kascha,
liebe Irina Scherbakowa,
lieber Herr Dr. Grünbaum,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern,
und vor allem: liebe Vertreterinnen und Vertreter der Opferverbände, lieber Dieter Dombrowski,
sehr geehrte Gäste,
vor ein paar Monaten schrieb mir ein Bürger und drückte seinen Unmut darüber aus, dass von mir als Opferbeauftragte die DDR immer wieder zu Unrecht in ein falsches Licht gerückt wird.
„Spätestens ab 1975, spätestens ab Helsinki. Ab dann kann doch von Diktatur in der DDR keine Rede mehr sein“, schrieb er.
Die 80er-Jahre als eine Zeit des Übergangs von der Diktatur in die Demokratie?
Und schließlich: Die Friedliche Revolution fast schon als ein Zusammenspiel einer reformbereiten Staatsführung und einer veränderungswilligen Bevölkerung?
Nein. Es ist wichtig, dass wir genau hinsehen. Und es ist wichtig, gerade auch diese Zeitepoche, die 80er-Jahre, näher in den Blick zu nehmen.
Gerade für die Menschen, die im Jugendwerkhof oder im Gefängnis saßen. Deren Berufsbiografie gebrochen wurde. Oder für die Menschen, die ihre Frauen, Männer oder Kinder nach Flucht oder Freikauf auf Monate und Jahre nicht wiedersehen durften.
Gerade gegenüber diesen Menschen sehe ich uns in der Pflicht. Die Diktatur als Diktatur zu benennen. Von 1945 bis zum Ende der DDR 1989.
Diktaturen klar als Diktaturen zu benennen, das erscheint mir gerade heute wichtiger denn je.
Liebe Irina Scherbakowa, ich bin dir dankbar, dass du heute hier bist.
Der Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung. Er ist kein Thema nur für die Geschichtsbücher. Gerade beim Blick nach Russland und Belarus wird schmerzhaft deutlich, wie nah Gegenwart und Geschichte beieinander liegen.
Das gemeinsame Gedenken und Erinnern an die Opfer der SED-Diktatur stand in den letzten Monaten auch im Fokus der breiteren Öffentlichkeit und der Bundespolitik.
So hat der Bundestag zum 70. Jahrestag den Opfern des Volksaufstandes gedacht. Eine Gedenkstunde, bei der eben nicht nur der Bundespräsident gesprochen, sondern die Schicksale der Opfer in den Mittelpunkt gestellt wurden.
Es waren junge Schüler, die die Berichte von Zeitzeugen des Volksaufstandes vortrugen. Die Berichte von Menschen, die damals in ihrem Alter waren. Die Zeitzeugen und viele Vertreter der Opferverbände saßen dabei als Ehrengäste auf der Tribüne.
Die Opfer der Diktatur in der Mitte unserer Demokratie. Ein stärkeres Signal kann es für mich nicht geben! Besonders bewegt hat es mich, als Frank Nemetz, VOS-Vorsitzender aus Sachsen, selbst ans Rednerpult trat.
Frank, deine Schilderung ging unter die Haut. Gerade durch deinen Beitrag wurde jedem Abgeordneten, jedem Minister, dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten deutlich, was es bedeutet, Opfer einer Diktatur zu werden.
Aber der Bundestag hat in den zurückliegenden Monaten eben nicht nur den Opfern des 17. Juni gedacht und an den jahrzehntelangen Widerstand in der DDR erinnert.
Der Bundestag hat zum Jahrestag des DDR-Volksaufstandes auch einen grundsätzlichen Beschluss zur besseren Unterstützung der Opfer gefasst. In seinem Beschluss würdigt der Bundestag nicht nur die jahrzehntelange Arbeit der Opferverbände. Ihre Arbeit!
Der Bundestag sieht, wie wir, Handlungsbedarf, um die Lage der Opfer weiter zu verbessern. In seinem Beschluss hat der Bundestag die Bundesregierung ganz konkret aufgefordert, bei der anstehenden Überarbeitung der Reha-Gesetze die Impulse der SED-Opferbeauftragten zu berücksichtigen.
Diese Impulse sind insbesondere das, was ich mit Ihnen als Vertreter der Opferverbände, mit den Landesbeauftragten und auch mit der Stiftung Aufarbeitung in den zurückliegenden zwei Jahren erarbeiten durfte. Impulse, die Sie auch in meinem aktuellen Jahresbericht wiederfinden können.
Für mich ist dieser Beschluss des Bundestages ein wichtiges Signal in Richtung der Opfer. Aber es ist auch ein Signal, an dem ich und an dem wir die Politik messen werden.
An die Opfer der SED-Diktatur erinnern – die Betroffenen heute unterstützen. Das ist unser gemeinsamer Auftrag.
Nicht nur in Jubiläumsjahren, sondern jeden Tag aufs Neue.
Vielen Dank!