Grußwort bei der Tagung „Sicher und würdevoll im Alter leben – Bedarfe erkennen und traumasensible Unterstützung ermöglichen“
Sehr geehrte Frau Loheide,
sehr geehrte Frau Dr. Gidon,
sehr geehrter Herr Zander, sehr geehrte Frau Nicklas-Beck, sehr geehrte Sophie Luise,
sehr geehrte Frau Prof. Gahleitner,
sehr geehrter Herr Prof. Eilert,
liebe Workshop-Gestaltende am Nachmittag,
liebe weitere Betroffenenvertreterinnen und -vertreter des Beteiligungsforums,
als Bundesbeauftragte beim Deutschen Bundestag für die Opfer der SED-Diktatur stehe ich nur für einen Teil der Betroffenengruppe von Menschen mit Traumaerlebnissen und die großen Herausforderungen, die mit den Fragen einer traumasensiblen Unterstützung im Alter verbunden sind.
Doch ist mein eigener Blick auf das Thema des Umgangs mit Menschen, die Traumatisches erlebt haben, ein viel weiterer.
Denn ich selbst habe nach der Wiedervereinigung bis zu meiner Wahl zur SED-Opferbeauftragten durch den Bundestag vor nun fast zweieinhalb Jahren in der ambulanten Eingliederungshilfe für Menschen mit psychischer Erkrankung gearbeitet. Ich weiß, was es heißt, Menschen – egal mit welchen jeweiligen Bedarfen – zu unterstützen, damit sie gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen können.
Meine Arbeit war mit so tiefgreifenden persönlichen Erfahrungen verbunden, dass sie mich – auch in meiner neuen Aufgabe – bis heute sehr nachhaltig prägen. Sie machen mich demütig im Respekt vor jeder und jedem einzelnen, der sein Leben mit einer Erkrankung oder mit Traumata und viel eigener Kraft lebt und ebenso vor denjenigen, die in ihrer Arbeit Menschen mit Traumata begleiten oder auch pflegen.
Oft frage ich mich, ob Gesellschaft und Politik sich dieser großen Leistungen auf beiden Seiten überhaupt ausreichend bewusst sind! Wahrscheinlich nicht.
In meiner täglichen Arbeit als SED-Opferbeauftragte begegnen mir Menschen mit Traumaerfahrungen, wenn sie zum Beispiel eines der insgesamt ca. 250.000 Opfer von politischer Haft in der DDR wurden, wenn sie Zersetzungsmaßnahmen der Stasi ausgesetzt waren, wenn sie zwangsausgesiedelt oder Opfer von Medizinunrecht wurden, wenn sie zwangsadoptiert wurden oder aber in der DDR in Heimen, vor allem den Spezialkinderheimen und Jugendwerkhöfen untergebracht waren.
Diese letzt genannten Einrichtungen waren Teil der DDR-Jugendhilfe. Rund 500.000 Kinder und Jugendliche lebten zwischen 1949 und 1989 in den DDR-Heimeinrichtungen; 135.000 von ihnen in den Spezialheimen.
So wie andere gesellschaftliche Bereiche, wurde auch die Jugendhilfe in der DDR zu einem Instrument der Diktatur.
Ziel der Heime war, so das Gesetzblatt der DDR: „Die Heranbildung vollwertiger Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft.“
Gerade der Alltag in den Spezialheimen, in die Kinder und Jugendliche kamen, die sich dem sozialistischem Anpassungsdruck entzogen und in die Spirale der Repression der Behörden kamen, war dabei oftmals geprägt von militärischem Drill, Strafen bis hin zur Isolationshaft, Zwangsarbeit, Vernachlässigung und auch zum Teil schwersten körperlichen und sexualisierten Misshandlungen.
Gerade die Spezialheime waren in der DDR keine Orte, wo Kinder und Jugendliche Schutz und Hilfe fanden. Diese Orte waren häufig Orte der Repression, Orte staatlichen Unrechts, verübt an den Schutzlosesten in unserer Gesellschaft!
Doch auch über alle Heimtypen hinweg belegen Studien leider auch ganz aktuell, dass es insgesamt eine große Gruppe der Menschen mit DDR-Heimerfahrungen ist, die von Vernachlässigungserfahrungen und physischen, psychischen und sexualisierten Gewalterfahrungen berichten. Es sind Erfahrungen, die für die Betroffenen dann vielfältige einschneidenste seelische, körperliche und soziale Folgen verursachten. Die Folgen bestehen zum Teil bis heute und bedeuten für die Betroffenen großes Leid.
Häufig wird über die Erfahrungen der psychischen, physischen und sexualisierten Gewalt über Jahre hinweg geschwiegen. Aus meiner Arbeit möchte ich hinzufügen: Viele der Betroffenen mit DDR-Heimerfahrung schweigen bis heute.
Für diese betroffenen Menschen war ihr Aufenthalt in einem Heim oder einem DDR-Spezialkinderheim, einem Jugendwerkhof keine Episode in ihrem Leben. So, als wenn man einen Umweg nimmt, um dann auf dem normalen Lebensweg weiterzugehen. Für von schlimmster Gewalt Betroffene prägt ein Aufenthalt in einer solchen Einrichtung häufig dann das Leben bis zum heutigen Tag. Dann sind Heimaufenthalte nicht etwas, was lange her ist, weit weg, ein Teil in den Geschichtsbüchern. Nein! Dann wiegen die Erlebnisse ein Leben lang. Auch heute.
Für die Gesellschaft stellt sich dann die Verantwortung, zu fragen, wie sie den Betroffenen, zum Beispiel ehemaligen Heimkindern, heute helfen kann.
Für mich als SED-Opferbeauftragte bedeutet das zum einen, dass ich mithelfe, über Unrecht in der DDR aufzuklären, dafür zu sensibilisieren, was zum Beispiel der Freiheitsentzug für hunderttausende politische Häftlinge in der DDR für Folgen hat, was für fürchterliche Schicksale eine große Gruppe von Kindern im DDR-Heimsystem erleiden musste. Und zum anderem bedeutet es für mich auch, aktiv dafür einzutreten, dass die Bedarfe von traumatisierten Betroffenen angemessen mitgedacht und möglichst berücksichtigt werden.
Und um traumatisieren Menschen mit ihren Erfahrungen im Alter in geeigneter Weise zu begegnen, brauchen wir dafür Fachkräfteschulungen. Schulungen, die beispielsweise auf die Situation betroffener ehemaliger Heimkinder, auch der DDR, die auf die Situation von Menschen, die traumatisiert wurden, zum Beispiel auch ehemalige politische Häftlinge, aufmerksam machen.
Mir geht es dabei nicht darum, dass wir dem betreuenden und pflegenden Personal im häufig überlasteten Gesundheits- und Pflegesystem nun auch noch eine weitere Aufgabe überhelfen. Sondern ich glaube, dass mit der Sensibilisierung für die Pflegenden und Betreuenden AUCH Unterstützung bei für SIE selbst belastende Situationen verbunden sein und entwickelt werden kann.
Ich bin daher der Diakonie und dem Beteiligungsforum „Sexualisierte Gewalt“ dankbar, dass sie bei ihrer heutigen Tagung diesem Thema diesen Raum geben.
Vielen Dank!