Rede bei der Eröffnung der neuen Wanderausstellung des Stasi-Unterlagen-Archivs im Mauer-Mahnmal, Deutscher Bundestag
Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
lieber Herr Prof. Hollmann,
liebe Katrin Budde,
liebe Frau Fuhrmann,
liebe Frau Prof. Münkel,
lieber Mario Röllig,
einen besonderen Gast möchte ich noch begrüßen, Roland Jahn, der ehemalige und letzte Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit, lieber Roland, schön, dass du da bist,
meine Damen und Herren,
als ich kurz vor dem Jahreswechsel den Briefkopf sah, den der Deutsche Bundestag in diesem Jahr verwendet, war ich überrascht.
„75 Jahre Demokratie lebendig“
Ja, wir feiern in diesem Jahr „75 Jahre Grundgesetz“ und wir feiern dieses Jahr „75 Jahre Bundesrepublik Deutschland“ und „75 Jahre Deutscher Bundestag“. Aber: 75 Jahre Demokratie lebendig? Hier möchte ich als SED-Opferbeauftragte des Deutschen Bundestages einen aus meiner Sicht ganz wesentlichen Aspekt ergänzen.
Mir ist es ein Anliegen, in diesem Jubiläumsjahr, welches zugleich auch das 35. Jubiläum der Friedlichen Revolution und des Mauerfalls ist, den Blick auch auf die Menschen zu richten, die im geteilten Deutschland nicht die Möglichkeit hatten, die ihnen durch das Grundgesetz garantierten Rechte wahrzunehmen. Die Erfahrung dieser Menschen ist aus meiner Sicht wertvoll. Sie ist wertvoll, und kann einen Beitrag zur Gestaltung unserer Demokratie, ja unseres Rechtsstaates, leisten.
Als Alexandra Titze, die Vizepräsidentin des Bundesarchivs, mich ansprach, ob wir die neue Wanderausstellung des Stasi-Unterlagen-Archivs, nicht hier, im Deutschen Bundestag, eröffnen wollen, war ich daher sofort begeistert. Der Ort, an dem heute frei gewählte Abgeordnete, aus Ost und West, gemeinsam unsere Demokratie gestalten. Für mich ist es genau der richtige Ort, um sich mit den Menschenrechtsverletzungen in der Diktatur auseinanderzusetzen und diese Erfahrungen in die Gestaltung unserer Demokratie einzubringen.
Wir sind hier innerhalb des Bundestages nicht an irgendeinem Ort. Dieser Ort, das Mauermahnmal des Deutschen Bundestages, es erinnert uns daran, dass hier, wo heute unsere Demokratie lebt, Menschen beim Versuch die Diktatur zu verlassen, zu Tode kamen.
Die Wanderausstellung des Stasi-Unterlagen-Archivs, die in den kommenden Monaten und Jahren in westdeutschen Städten Station machen wird, bietet uns einen Einblick in den Maschinenraum der SED-Diktatur.
Im Stasi-Unterlagen-Archiv sind die staatliche Repression und der Freiheitswille der Menschen in der DDR dokumentiert. Dieses Archiv ist jedoch nicht nur ein „ostdeutsches“ Kulturgut. Die Stasi-Unterlagen geben Zeugnis davon, wie sehr die Menschen sich nach Freiheit und auch nach der Einheit gesehnt haben. Die tausenden Briefe, die von Ost nach West und von West nach Ost gingen. Die Fluchtversuche der DDR-Bürger und die westdeutsche Fluchthilfe. Der Häftlingsfreikauf.
Die Unterlagen geben aber auch Auskunft über die dunklen Kapitel, wie beispielsweise die Häftlingszwangsarbeit für westdeutsche Firmen und die inoffiziellen Mitarbeiter in westdeutschen Ministerien und Behörden. Glauben sie mir, das Stasi-Unterlagen-Archiv ist gesamtdeutscher als es manchem lieb ist.
Ich bin den Ausstellungsmacherinnen und -machern dankbar, dass sie diesen gesamtdeutschen Aspekt, das Wirken der Stasi im Westen, ganz bewusst in der Ausstellung Raum geben.
Vor zehn Jahren, 2014, entschied sich der Bundestag eine Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen einzusetzen. Ich bin dankbar, dass dieser Prozess darin gemündet ist, dass der Gesamtbestand der Stasi-Akten dauerhaft erhalten wird. Dass dieses besondere Archiv nun Teil unseres nationalen Gedächtnisses ist. Nutzen wir es in Ost wie West als Instrument zur Aufklärung über die Diktatur.
Die Sicherung der Akten ist ein Geschenk der Friedlichen Revolution an unsere heutige demokratische Gesellschaft. Ihr Erhalt und ihre Nutzung ist unser gesamtdeutscher Auftrag.
Lieber Herr Prof. Hollmann, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie als Präsident des Bundesarchivs heute hier sind und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie in unserer Zusammenarbeit ein offenes Ohr für die Anliegen der politisch Verfolgten haben.
Dass die Stasi-Unterlagen seit nunmehr zweieinhalb Jahren Teil des Bundesarchivs sind und dass beim Deutschen Bundestag das Amt einer SED-Opferbeauftragten eingerichtet wurde, war im Parlament ein langer und auch teils herausfordernder Weg. Ich freue mich daher sehr, dass die Kulturausschussvorsitzende Katrin Budde heute hier ist. Sie steht mit ihrer Arbeit hier im Bundestag ganz wesentlich dafür, dass das Amt einer SED-Opferbeauftragten eingerichtet wurde und dass beim Übergang der Stasi-Akten in das Bundesarchiv nicht nur die Akten, sondern auch die Rechte der Betroffenen und ganz besonders die regionale Verankerung dauerhaft gesichert wurden. Liebe Katrin, ich freue mich, dass Du heute bei uns bist und Dich nicht nur als Kulturausschussvorsitzende, sondern auch als Vorsitzende des Beratungsgremiums beim Bundesarchiv, einbringst.
Das Stasi-Unterlagen-Archiv erzählt die Geschichte der Staatssicherheit. Der Geheimpolizei der DDR. Dieses Archiv erzählt aber ebenso auch die Geschichte der Menschen, die sich nicht dem System haben fügen wollen. Ich freue mich daher sehr, dass Mario Röllig heute hier bei uns ist. Mit ihm darf ich darüber sprechen, was es bedeutet, in der Diktatur Widerspruch zu üben und von der Stasi, bis zur mehrmonatigen Inhaftierung, verfolgt zu werden. Ich möchte ihn fragen, welche Bedeutung die Einsicht in seine Stasi-Akte für ihn hatte. Und welche Bedeutung diese Erfahrung der Repression für ihn heute, wenn er sich als Zeitzeuge und als Mitglied im Beirat des Härtefallfonds des Berliner Beauftragten mit mir gemeinsam für andere Opfer der SED-Diktatur einsetzt, hat.
Wir feiern in diesem Jahr 75 Jahre Grundgesetz. Bei einem solchen Fest sollten natürlich auch Juristinnen und Juristen nicht fehlen. Welchen Wert kann die Auseinandersetzung mit staatlichem Unrecht in der DDR für unseren heutigen Blick auf den Rechtsstaat haben? Dieser Frage möchten wir nicht mit irgendwem nachgehen. Ich freue mich sehr, dass mit Sabine Fuhrmann eine besondere Juristin meiner Einladung in den Bundestag gefolgt ist. Geboren und aufgewachsen ist Sabine Fuhrmann in Halberstadt, im heutigen Sachsen-Anhalt. Heute ist sie nicht nur stellvertretende Vorsitzende der Bundesrechtsanwaltskammer und Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Sachsen. Als Vorsitzende des Fördervereins des Forums Recht liegen ihr die aktuellen Fragen von Recht und Rechtsstaat als Grundvoraussetzung einer funktionsfähigen und lebendigen Demokratie am Herzen. Was bedeutet die Erfahrung, in der Diktatur aufgewachsen zu sein, wenn man heute, an so prominenter Stelle, wie Sabine Fuhrmann, unseren heutigen Rechtsstaat mitgestaltet. Darüber kann Sabine Fuhrmann uns heute in der Diskussion bestimmt mehr berichten.
Von dort, wo über Jahrzehnte die Grenze zwischen Diktatur und Demokratie verlief, geht die Wanderausstellung des Stasi-Unterlagen-Archivs auf Reisen durch unser wiedervereinigtes Deutschland.
Liebe Frau Prof. Münkel, ich freue mich auf Ihre Einführung und darauf, was Sie uns über die Ausstellung und ihre Zielsetzung berichten werden.
Vielen Dank!