Grußwort bei der Eröffnung der Ausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“
Sehr geehrter Herr Tuske,
liebe Ulrike Rothe,
liebe Rebecca Hernandez Garcia,
liebe Gäste,
in diesem Jahr präsentierte ich zum Tag der Deutschen Einheit bei den zentralen Feierlichkeiten in Hamburg erstmals meine Arbeit als SED-Opferbeauftragte im Zelt des Bundestages mit einem eigenen Stand.
Am Nachmittag des 3. Oktobers kam ein Mann Ende 60 aus Norddeutschland an unseren Stand und erklärte mir: „Frau Zupke, was verschenken wir uns denn als wiedervereinigtes Deutschland, wenn wir nicht auch die Erfolge der DDR würdigen? Die vielen Olympia-Siege, die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die flächendeckende Kinderbetreuung? Da war die DDR führend und dem Westen um Längen voraus!“
In einem solchen Moment merke ich, wie weit doch auch heute noch – mehr als dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung – der Blick auf die DDR in unserer Gesellschaft auseinanderfällt.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass es ihm darum ging den Sozialismus zu verklären oder den Unrechtscharakter des SED-Regimes in Frage zu stellen. Seine Botschaft war eine andere: „Es war doch nicht alles schlecht.“ Sein Beleg: Die Verfassung der DDR.
So heißt es in der DDR-Verfassung schon im Oktober 1949: „Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben“
Die DDR als Vorbild für Gleichberechtigung?
Wenn ich sowas höre, frage ich mich: Wird dort von dem Land gesprochen, in dem ich gelebt habe? „Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit sind Gebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger.“
Auch das ist die Verfassung der DDR.
Und auch das steht im Kontrast zur Lebenswirklichkeit der Menschen und insbesondere auch der Frauen.
Viele Frauen in der DDR haben keine Gleichberechtigung und keine Selbstbestimmung erlebt, sondern Zwang. Individualität war nicht erwünscht, sondern Konformität und zwingende Bereitschaft sich dem Kollektiv unterzuordnen. Und wer sich nicht unterordnete, der geriet in die Mühlen des Repressionsapparates.
Als SED-Opferbeauftragte begegne ich immer wieder gerade diesen Frauen. Frauen, wie Annemarie Krause. Nach dem Krieg verliebte sie sich in einem sowjetischen Soldaten. Eine Liebe die es so nicht geben dürfte.
Bei dem Versuch mit der gemeinsamen Tochter in den Westen zu fliehen, wurde sie verhaftet. Ein Militärtribunal verurteilte sie zu 25 Jahren Haft.
Im Frühjahr 1950, die DDR-Verfassung war längst in Kraft, kam sie als eine der ersten in das berüchtigte Frauengefängnis nach Hoheneck. Überbelegung der Zellen und harte Zwangsarbeit bestimmten den Alltag. Und wer nicht spurte, dem drohte tagelange Isolationshaft. Post von der Familie gab es nur einmal im Monat. Gerade die Trennung von Tochter zermürbte Annemarie Krause. Nur einmal konnte sie während ihrer Haftzeit ihre Tochter zufällig am Fenster sehen, als sie mit der Oma zum Gefängnis kam.
„Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit“ wie sie die Verfassung der DDR vorsah. Für Annemarie Krause war dies blanker Hohn.
Trotz all der tagtäglichen Schikanen gaben die Frauen in Hoheneck jedoch nicht klein bei. Ganz im Gegenteil. Als sie im Juni 1953 die Nachricht vom Volksaufstand erreichte, traten sie in den Hungerstreik. Sprachen kein Wort mit den Wärterinnen und verweigerte die Aufnahme jeder Nahrung.
Protest im Gefängnis. Protest von Frauen im Gefängnis. Eine historische Leistung, die aus meiner Sicht, viel zu wenig gewürdigt wird. Für mich ist daher die Erinnerung an den DDR-Volksaufstand vor 70 Jahren auch ganz wesentlich die Erinnerung an diesen mutigen Frauen von Hoheneck.
Von den frühen Kämpferinnen von Hoheneck bis hin zu den Aktivistinnen der späten 1980er-Jahre spannt sich für mich ein Bogen. Was sie verbindet ist der Einsatz für Freiheit und Selbstbestimmung. Jeweils unter den Bedingungen ihrer Zeit.
Mit der Ausstellung zur unabhängigen Frauenbewegung füllen sie eine Leerstelle. Sie zeigen eindrücklich, wie vielfältig Opposition und Widerstand in der späten DDR war. Die Ausstellung zeigt das Engagement von Frauen für Frauen in seiner ganzen Breite. Von den Frauen, die weit vor der Friedlichen Revolution 1989 für ihren Mut und ihren Protest immer wieder einen hohen Preis zahlen mussten. Bis hin zu den Frauen, die über Jahrzehnte sich in den vorgegebenen Strukturen der Institutionen bewegten und dort auch Verantwortung übernahmen. Und schließlich auch auf Veränderungen drängten.
Ein Punkt ist für mich jedoch besonders wichtig. Die Ausstellung kann uns dabei helfen, einer Verkürzung des Anliegens der Friedlichen Revolution entgegen zu treten. Ja, viele Menschen in der DDR wünschten sich ganz maßgeblich eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. Aber der Ursprung des Protestes gegen das SED-Regime war mehr als das. Der Ursprung des Protests war der Kampf für die Freiheits- und Bürgerrechte. Und mit Blick auf die Ausstellung möchte ich ganz bewusst ergänzen: Auch der Frauenrechte. Die Rechte von Frauen.
Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit. Nicht nur verankert im Text einer Verfassung, sondern gelebt im Alltag einer Gesellschaft. Dies ist für mich nicht nur ein Thema in der Auseinandersetzung mit Geschichte. Für mich hat dieses Anliegen gerade auch mit Blick in heutige Diktaturen und Autokratien weltweit nicht an Aktualität verloren.
Vielen Dank!