Grußwort bei der Eröffnung der Gedenkstätte Hoheneck
Lieber Herr Appelius,
liebe Frau Helber,
liebe Frau Labahn,
lieber Oberbürgermeister Schmidt,
liebe Nancy Aris
und ich möchte noch eine ganz besondere Person begrüßen, lieber Theo Schreckenbach.
In Stollberg gab es einen kirchlichen Posaunenchor, der zur Weihnachts- und Neujahrszeit vor den Mauern des Gefängnisses auf einer Wiese gespielt hat. Das war für die Frauen in dieser traurigen, schweren Zeit ein ganz besonderer Moment und ein Zeichen der Hoffnung. Und Herr Schreckenbach war Leiter dieses Chores.
Dazu gibt es noch eine besondere Geschichte. Ich habe von Herrn Ahner einen Brief bekommen, den eine Ehemalige anonym an seinen Vater geschrieben hat, der in diesem Posaunenchor geblasen hat. Dort schildert sie, wie wichtig dieses Zeichen menschlicher Nähe für die Inhaftierten war und dass sich die Frauen weinend in den Armen gelegen haben.
Liebe Hoheneckerinnen, liebe Angehörige,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist 1957. Ein Junge steht auf einem Bahnsteig in Ost-Berlin. Er wartet. Ein Zug kommt, Leute steigen aus, der Bahnsteig leert sich wieder, nur eine ältere Frau bleibt stehen. „Geh mal hin und frag, ob das deine Mutter ist!“ wird der kleine Junge von seiner Begleitung aufgefordert.
„Geh mal hin und frag, ob das deine Mutter ist!“
Nein, die Frau. Sie ist nicht seine Mutter. Sie ist eine Tante, die die Mutter geschickt hat, weil sie sich selbst nicht mehr nach Ost-Berlin traut. Die Tante aber nimmt den Jungen mit nach West-Berlin.
Dort angekommen, rennt eine kleine Frau auf ihn zu. Unter Tränen erklärt sie ihm, dass sie seine Mutter ist. Für ihn aber, ist sie nur eine Fremde.
Der Junge, damals neun Jahre alt, ist Alexander Latotzky. Seine Mutter, Ursula Hoffmann, war eine der ca. 30.000 weiblichen politischen Häftlinge der DDR. Sie war eine der ca. 8.000 Frauen, die aus politischen Gründen hier in Hoheneck inhaftiert waren.
Alexander Latotzky kam in Haft zur Welt. Seine Mutter war wegen angeblicher Agententätigkeit von einem sowjetischen Militärtribunal zu 15 Jahren Strafarbeitslager verurteilt worden. Als man beide 1950 in einem Transport von Sachsenhausen nach Hoheneck verlegte, trennte man den knapp Zweijährigen von seiner Mutter.
Ihr Weg führte hier her in die Hölle von Hoheneck.
Sein Weg durch die Kinderheime einer unmenschlichen Diktatur.
Sieben Jahre ohne seine Mutter. Sieben Jahre ohne seine Familie!
Dieser Ort, an dem wir heute stehen. Hoheneck. Er erzählt uns die Geschichte der tausenden Frauen, die zu Unrecht inhaftiert wurden.
Hoheneck war aber nicht nur ein Riss durch das Leben von tausenden unschuldigen Frauen. Hoheneck steht zugleich auch für den Schmerz der Kinder, deren Leben durch die Inhaftierung der Mutter, von einem Tag auf den anderen, nicht mehr das Gleiche war.
Heute, im 35. Jahr der Friedlichen Revolution und des Mauerfalls feiern wir nun die Eröffnung der neuen Dauerausstellung, die Eröffnung der Gedenkstätte Frauenhaftanstalt Hoheneck. Endlich, möchte ich sagen. Viel zu lange haben wir als Gesellschaft gebraucht, um den besonderen Wert dieses Ortes zu erkennen. Zu erkennen, wie wichtig es ist, sich mit den Frauen im Widerstand und ihrem Leid auseinanderzusetzen.
Die weiblichen politischen Gefangenen in Hoheneck waren vor allem wegen „ungesetzlichem Grenzübertritt“, vermeintlicher Spionage, so genannter „öffentlicher Herabwürdigung“ oder „Propaganda für den Klassenfeind“, Fluchtversuchen, Mitwisserschaft bei Fluchtvorbereitungen oder auch nach gestellten Ausreiseanträgen verurteilt worden. Sie übten politischen Widerstand in der DDR, traten für ihr Recht auf Selbstbestimmung, für ihre Freiheit ein und wurden zu Opfern eines menschenverachtenden Systems.
Es sind 35 Jahre – 35 Jahre, dass die letzten politischen Häftlinge aus Hoheneck entlassen wurden. Spätestens mit dem heutigen Tag haben SIE, die ehemaligen Hoheneckerinnen, sich diesen Ort zurückerobert! Heute werden hier IHRE Schicksale dargestellt! Heute ist hier an dem ehemaligen Ort der Unterdrückung, ein Ort der politisch-historischen und der demokratischen Bildung entstanden! Es ist einer der vielen Siege des Freiheitswillens von Menschen über die Diktatur. Ich freue mich, dass ich als SED-Opferbeauftragte diesen Tag gemeinsam mit Ihnen feiern darf.
Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich im Sommer vor drei Jahren, bei meiner ersten Reise als SED-Opferbeauftragte, zum Frauenkongress der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft erstmals hierher nach Hoheneck kam. Mich hat die Wucht dieses Ortes und die Begegnungen mit den Hoheneckerinnen tief im Innersten erschüttert. Was die Frauen hier an Grauen erleben mussten, war mit Händen zu greifen – in den Zellen, in den Verhörräumen, in ihren Schilderungen. Kindesentzug, Gewalttätigkeit, psychische Folter, Isolations- und Dunkelhaft, permanente Kälte, dauerhafte Nässe, schlimmste hygienische Bedingungen, Überbelegungen und gesundheitsgefährdende Haftzwangsarbeit.
Haftzwangsarbeit teils auch für westdeutsche Unternehmen. Unternehmen, und dies beschämt mich zutiefst, die bis heute nicht zu ihrer Verantwortung stehen. Hoheneck hat auch mich nicht losgelassen.
Ich bin dankbar, dass ich im November 2022 der Kulturstaatsministerin Claudia Roth diesen Ort zeigen konnte. Tief beeindruckt war die Kulturstaatsministerin von den Schilderungen der Frauen, von all dem Leid, was sie hier erdulden mussten. Aber ebenso beindruckt war sie von dem Engagement der ehemaligen Hoheneckerinnen, diesen Ort zu einem Ort der Aufklärung zu machen.
Ja, es war ein langer Kampf, ein langer Weg, diesen historischen Ort zu erhalten und eine Dauerausstellung zu erarbeiten. Jetzt ist die Öffentlichkeit eingeladen, sich über das Unrecht in der Diktatur zu informieren und zu erfahren, was Menschen Menschen angetan haben - hier, wie auch an vielen anderen Orten.
Dass wir heute an diesem Ort stehen und das Frauenzuchthaus Hoheneck zu einer Gedenkstätte geworden ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist ein großer Erfolg. Ein Erfolg, der viel Kraft und viele Unterstützerinnen und Unterstützer bedurfte. Vor rund 10 Jahren besuchte der damalige Bundespräsident Christian Wulff Hoheneck. Sein Besuch war ein ganz wichtiges Signal.
Ich bin der Stadt Stollberg dankbar für ihr langjähriges Engagement. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Kommune sich für solch ein Projekt, für eine Gedenkstätte auf einem höchst baufälligen Areal, so umfassend und über so viele Jahre auch mit erheblichen finanziellen Mitteln einsetzt.
Lieber Herr Professor Appelius, bei Ihnen finden die Frauen immer ein offenes Ohr, dafür bin ich Ihnen als Opferbeauftragte besonders dankbar.
Mein Dank gilt selbstverständlich auch dem Freistaat Sachsen und dem Bund. Ohne die kontinuierliche Förderung von Land und Bund hätte die Gedenkstätte nicht errichtet werden können. Dank gebührt auch der Agentur Kocmoc für die gelungene Konzeption der Dauerausstellung.
Seit Anfang dieses Jahres schließt sich nun ein Kreis: Auch der Bund beteiligt sich seit diesem Jahr an den Kosten des Betriebes der Gedenkstätte. Hoheneck wird somit zur Gedenkstätte von nationaler Bedeutung! Der Bundestag, wie zuvor der Sächsische Landtag, sendet damit ein klares Signal an die ehemaligen weiblichen politischen Gefangenen:
„Wir vergessen euch nicht! Euer Leid, Eure Geschichte, ist Teil unserer gesamtdeutschen Geschichte!“
Mein Dank gilt ebenso der Landesbeauftragten Nancy Aris, die den Prozess seit Jahren eng begleitet und auch der sächsischen Gedenkstättenstiftung. Ja, es ist wichtig an das Leid zu erinnern. Aber es ist ebenso wichtig, den Betroffenen ganz konkret zu helfen.
In den Mittelpunkt meines Dankes möchte ich aber Sie stellen. Sie, die ehemaligen Hoheneckerinnen. Der Wunsch, an diesem Ort eine Gedenkstätte zu errichten, kam aus ihrer Mitte. Über Jahre hinweg haben Sie für diesen Ort gekämpft und ja, auch immer wieder gestritten. Sie haben das Schweigen über das, was hinter diesen Mauern hier in Hoheneck und weiteren Gefängnissen wie dem Roten Ochsen oder Hohenleuben passierte, gebrochen.
Hoheneck war keine Episode im Leben einer Frau. Nein, Hoheneck ist eine Last, die man durchs Leben trägt. Eine Last fürs Leben, nicht nur für die Frauen selbst, sondern meist ebenso für ihre Kinder.
Alle politisch Inhaftierten haben wertvolle Lebenszeit verloren. Viele leiden bis heute an den gesundheitlichen Langzeitfolgen der Haft. Häufig wurden Familien auseinandergerissen, manchmal brachen sie für immer auseinander. Gelitten haben viele. Denn die Repression traf oft eben nicht nur die inhaftierten Frauen. Sie traf auch ganze Familien, Partner und Kinder.
Als SED-Opferbeauftragte wünsche ich mir daher, dass wir gerade die Kinder der politisch Verfolgten, endlich stärker wahrnehmen und sie besser auf ihrem Weg unterstützen.
Ursula Hoffmann, die Mutter von Alexander Latzotsky, sie starb mit nur 41 Jahren! Die SBZ- und die SED-Diktatur hatte ihr junges Leben geprägt, hatte ihr viele Lebensjahre und Zeit mit ihrem Sohn unwiederbringlich geraubt! Zeit heilt NICHT alle Wunden! Die Folgen der Inhaftierung, die traumatischen Erfahrungen wirken fort – auch in die nächsten Generationen. Diesen Schmerz kann man nicht nehmen. Ich bin überzeugt davon, dass gerade die Erlebnisse der Hoheneckerinnen und ihrer Familien uns dabei helfen können, wachsam zu sein für den unschätzbaren Wert von Freiheit und Demokratie.
Für diese Auseinandersetzung mit unserer Geschichte braucht es aber Orte. Orte, wie die Gedenkstätte Frauengefängnis Hoheneck. Dass mit dem heutigen Tag aus dem Ort des Leidens ein Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerspruch wird. Das ist ihr Erfolg. Der Erfolg der Hoheneckerinnen. Es ist aber nicht nur ihr Erfolg. Es ist gleichzeitig ihr Geschenk an unsere Gesellschaft und die jüngeren Generationen
Nie wieder Diktatur!
Vielen Dank!