27.10.2022 | Parlament

Stellungnahme zur Petition „Beschwerde über die Nichteinhaltung der Festlegungen zum Rentenrecht in den beiden Staatsverträgen mit der DDR“

Eingabe der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge e.V. (IEDF) als Hauptpetent Herr Dr. Jürgen Holdefleiß, 68165 Mannheim, vom 3. März 2018

Gliederung:

  1. Begehren der Petenten
  2. Kurzdarstellung und die Folgen für die Betroffenen
  3. Forderung der Petenten
  4. Einschätzung und Empfehlungen der SED-Opferbeauftragten

1. Begehren
Mit der Petition wird begehrt, festzustellen, dass den Übersiedlern und Flüchtlingen aus der DDR, die vor dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hatten, die nach damals angewandtem Recht (Fremdrentenrecht) zustehenden Rentenansprüche nicht durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) und Rentenüberleitungsergänzungsgesetz (Rü-ErgG) herbeigeführten Änderungen im Rentenrecht (insbesondere die beitrittsbedingten Ergänzungen in §§ 256a und 259a SGB VI) verändert wurden.

2. Kurzdarstellung und die Folgen für die Betroffenen
Für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR galt bis 1992 in der Bundesrepublik das Fremdrentengesetz (FRG). Demnach wurde die in der DDR geleistete Arbeit der Betroffenen als in der Bundesrepublik erbrachte Leistung eingestuft.

Zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung nach der Wiedervereinigung trat 1992 das Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) in Kraft. Seitdem fließen in der DDR zurückgelegte Zeiten einheitlich gemäß § 256a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) nach dem dort versicherten Verdienst in die Rentenberechnung ein. Dies gilt nach derzeitiger Anwendungspraxis auch für Übersiedler und Flüchtlinge, obwohl diese zum Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland keine im Beitrittsgebiet begründeten rentenrechtlichen Rechtspositionen mehr inne hatten, da sämtliche Anwartschaften und Ansprüche, die sie in den Alterssicherungssystemen der DDR erworben hatten, mit der Ausreise oder Flucht erloschen waren.

Dies führt im Ergebnis zu teils erheblichen Renteneinbußen, vor allem wenn die Betroffenen von der in der DDR bestehenden Möglichkeit, Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zu zahlen, keinen Gebrauch gemacht haben. Nur die Personen, die beim damaligen Inkrafttreten der Gesetzesänderungen zu den rentennahen Jahrgängen (Geburtsjahrgänge vor 1937) gehörten, werden weiterhin von der Deutschen Rentenversicherung bei der Rentenberechnung nach dem FRG berücksichtigt (vgl. § 259a SGB VI).

3. Forderung der Petenten
Die Petenten fordern die Bundesregierung auf, durch sachgerechte Maßnahmen sicherzustellen, dass die aus den beiden Staatsverträgen (Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 und der Einigungsvertrag vom 31. August 1990) zwischen der Bundesrepublik und der DDR dem Grunde nach sich ergebenden Ansprüche auf Rentenanwartschaften für die bis zum 18. Mai 1990 in das damalige Bundesgebiet übergesiedelten früheren DDR-Altübersiedler erfüllt werden.

4. Einschätzung und Empfehlungen der SED-Opferbeauftragten
Die hier in Frage stehenden Gesetzesänderungen aus den 1990er-Jahren haben für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR weitreichende Folgen. Die Eingliederung in das westdeutsche Rentensystem, die in vielen Fällen den Betroffenen per Rentenbescheid bescheinigt wurde, wurde rückwirkend aufgehoben mit dem Ergebnis, dass durch Flucht und Übersiedlung grundsätzlich erloschene Ansprüche gegenüber der DDR-Sozialversicherung „wiederbelebt“ wurden. Mitunter betragen die Rentenminderungen auf Grundlage der Gesetzesänderungen mehrere hundert Euro pro Monat. Die rückwirkende Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR wurde im parlamentarischen Prozess rund um das RÜG nicht ausdrücklich thematisiert. Dies betrifft insbesondere die Gruppe der DDR-Flüchtlinge und Übersiedler, die vor dem Fall der Mauer am 9. November 1989 bereits in das Rentensystem der Bundesrepublik eingegliedert war. Der betroffene Personenkreis wurde über die für sie zum Teil tiefgreifenden Einschnitte nicht informiert. Auch über die Berichterstattung in den Medien konnten die Betroffenen derartige Informationen nicht entnehmen. Selbst das BMAS erteilte in seiner jährlich erscheinenden „Übersicht über das Sozialrecht“ noch im Jahr 2006 die Information, dass für den betroffenen Personenkreis (zumindest für den Teil der „vor der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze aus der DDR in das alte Bundesgebiet übergesiedelt“ ist) rentenrechtliche Ansprüche im Fremdrentengesetz geregelt sind.

Der Petitionsausschuss sprach sich im Jahr 2012 dafür aus, dass für die in die westdeutsche Rentenversicherung eingegliederten DDR-Übersiedler und Flüchtlinge das Fremdrentenrecht gelten sollte. In seiner Entscheidung nahm der Petitionsausschuss Bezug darauf, dass auch deutschstämmige Aussiedler aus Polen Vertrauensschutz genießen und weiterhin bei ihrer Einreise die zugesagte Eingliederung in das frühere westdeutsche Rentensystem erfolgt. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages stellte ebenfalls im Jahr 2012 fest, dass die betroffenen Versicherten auf die vor der Wiedervereinigung per Bescheid von den Rentenversicherungsträgern vorgenommene Eingliederung in die westdeutsche Rentenversicherung vertraut haben. Zudem habe auch keine Verpflichtung aus Anlass der Rentenüberleitung für eine rückwirkende Ablösung des FRG bestanden.

Der in 2012, insbesondere durch die Empfehlung des Petitionsausschusses, deutlich zu erkennende politische Wille einer Lösungsfindung im Sinne der Betroffenen wurde im weiteren Verlauf vom BMAS nicht aufgegriffen.

Die SED-Opferbeauftragte sieht daher weiterhin Handlungsbedarf von Seiten der Politik, um eine angemessene Lösung für die Betroffenen zu finden. Dieser Handlungsbedarf besteht unabhängig davon, ob man der rechtlichen Bewertung der Petenten, die in Richtung einer fehlerhaften Anwendung des Rechts argumentieren, folgt.

Um eine angemessene Lösung im Sinne der betroffenen DDR-Flüchtlinge und Übersiedler zu finden, empfiehlt die SED-Opferbeauftragte im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss die unterschiedlichen gesetzlichen wie untergesetzlichen Lösungsmöglichkeiten zu beleuchten.


Evelyn Zupke Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag

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