Grußwort bei der Ausstellungseröffnung „NIÑOS ROBADOS - GESTOHLENE KINDER - STOLEN CHILDREN“ im Roten Rathaus Berlin
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
lieber Kai Wegner,
Ihre Exzellenz, sehr geehrter Herr Botschafter Brun,
liebe Anna Kaminsky,
liebe Frau Dr. Weitbrecht,
lieber Herr Dr. Huhle,
lieber Herr Ortega und lieber Herr Latotzky,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
vor rund vier Wochen fiel – nach Jahren der rechtlichen Auseinandersetzung - ein grundsätzliches Urteil zum Umgang mit dem politisch motivierten Kindsentzug hier in Deutschland. Einem Betroffenen, der als Zehnjähriger in der DDR zwangsadoptiert wurde, wurde die Rehabilitierung zuerkannt.
Mit gerade einmal neun Jahren musste er erleben, wie seine Mutter starb. Als sein Vater mit ihm die DDR verlassen wollte, wurde die Familie auseinandergerissen. Der Vater wurde für seinen Plan, das Land zu verlassen, inhaftiert. Der Weg des Jungen führte über Pflegefamilien, über die Zwangsadoption, hin zur Unterbringung in Spezialkinderheimen und im Jugendwerkhof.
Mehr als dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung, erfährt dieser Junge nun Gerechtigkeit. Es war nicht der Vater, der nicht für sein Kind habe da sein wollen, sondern ein repressiver Staat, der ihm ganz wesentlich seine Kindheit nahm.
Viel zu lange haben wir als Gesellschaft hier in Deutschland gebraucht, um zu verstehen, dass eben auch der Kindsentzug ein Mittel der Repression im SED-Staat war.
Ich bin Ihnen, lieber Kai Wegner, dankbar, dass Sie in Ihrer Zeit im Bundestag sich für die Betroffenen von politisch motiviertem Kindsentzug eingesetzt haben. Ganz wesentlich durch Ihr Engagement, konnte die Forschung forciert werden, so dass wir heute mehr wissen über die Strukturen dieser Form der Repression.
Es sind die Schilderungen der Schicksale der Opfer von politisch motiviertem Kindsentzugs, die der Eltern und die der Kinder, die mir immer wieder zeigen, wie das Leben der Betroffenen bis zum heutigen Tag von diesen einschneidenden Erlebnissen geprägt ist. Erlebnisse, die wie ein Schatten sind. Ein Schatten, der die Opfer auch nach Jahrzehnten noch immer verfolgt.
Die Geschichte des politisch motivierten Kindsentzugs. Sie ist eben nicht nur ein Blick in die Geschichtsbücher. Es sind die Schicksale der Menschen, Eltern wie Kinder, die heute hier in unserer Gesellschaft leben.
Der politisch motivierte Kindsentzug hatte und hat weltweit unterschiedlichste Formen und Dimensionen. Was ihn verbindet, ist der repressive Eingriff des Staates in die Familie.
Gleichwohl gilt es genau hinzuschauen und insbesondere auch die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie wahrzunehmen.
Die Ausstellung, die heute hier eröffnet wird, führt uns dabei aber auch schmerzhaft vor Augen, dass der Kindsentzug eben nicht nur ein Wesensmerkmal der Diktatur ist, sondern auch demokratische Gesellschaften sich mit diesem Teil ihrer Geschichte auseinandersetzen müssen.
Ich bin Dir, liebe Anna Kaminsky, und der Bundesstiftung Aufarbeitung und Ihnen, liebe Frau Dr. Weitbrecht und der Elisabeth-Käsemann-Stiftung dankbar, dass Sie mit der Ausstellung den Blick richten auf ein Thema, das viel zu häufig nur im Hintergrund bleibt. Oder aber – und dies erlebe ich auch häufig - besetzt wird mit Verschwörungserzählungen und einer undifferenzierten Stimmungsmache jenseits der Fakten.
Stolen Children. Die gewaltsame Trennung von Familien und Gemeinschaften. Dass heute Abend auch Betroffene des politischen Kindsentzugs zu uns sprechen werden, ist etwas Besonderes. Für mich ist es immer wieder bewegend, wenn Opfer selbst über das sprechen, was ihnen widerfahren ist. Wenn sie der häufig meist zu abstrakt wirkenden Geschichte ein Gesicht geben. Das Schweigen zu brechen. Für Opfer ist dies eine große Herausforderung. Für unsere Gesellschaft ist es ein großer Gewinn. Vielen Dank, lieber Alexander Latotzky und vielen Dank, lieber Leonardo Fossati Ortega.
Ich bin ihnen, lieber Kai Wegner, dankbar, dass Sie die Türen des Roten Rathauses für diese wichtige Ausstellung geöffnet haben und auch heute als Regierender Bürgermeister selbst hier sind. Im Herzen unserer vormals geteilten Hauptstadt. Dem Ort, an dem über Jahrzehnte Diktatur und Demokratie aufeinanderprallten. An diesem Ort über die dunklen Kapitel von Geschichte und Gegenwart zu sprechen und Lehren daraus zu ziehen. Das ist aus meiner Sicht auch Arbeit an unserer Demokratie.
Vielen Dank!