„Die Forschung zu SED-Unrecht braucht eine sichere Perspektive“ - Impuls der SED-Opferbeauftragten
Sehr geehrter Herr Prof. Baberowski,
lieber Herr Dr. Heidemeyer,
lieber Herr Dr. Donth,
lieber Herr Prof. Ganzenmüller,
lieber Tom Sello,
liebe Alexandra Titze,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forschungsprojekte,
liebe Anwesende,
es ist für mich persönlich immer wieder bewegend, an diesen Ort zu kommen. Das bedrückende Gefühl, wenn man durch das Tor geht. Dieses Gefühl lässt mich nicht los. Wenn ich hier vor ihnen stehe, denke ich an all die Menschen, die ich in den letzten Monaten treffen durfte. Menschen, die mir von diesem Ort, von Hohenschönhausen erzählten.
Von ihrer Haftzeit und davon, wie sie das Erlebte bis zum heutigen Tag begleitet. Der Widerspruch gegen das System brachte drei junge Männer auf die Straße. Mit Plakaten demonstrierten sie gegen Bevormundung und Repression. Sie demonstrierten für Demokratie und ihre persönliche Freiheit. Noch auf der Demonstration wurden die drei verhaftet. Ohne Anwalt, ohne rechtsstaatliche Grundsätze wurden sie in Haft genommen. Für ihren Protest, dafür dass sie das Menschenrecht der Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nahmen, mussten sie ins Gefängnis. Mit der Aussicht auf jahrelange Haftstrafen.
Diese Geschichte, meine Damen und Herren, ist kein Rechercheergebnis aus den tausenden von Stasi-Akten oder Haft-Unterlagen, die die Forscherinnen und Forscher für ihre Arbeit für Landschaften der Verfolgung gelesen haben.
Diese Geschichte ist aktuell.
Zugetragen in der vorletzten Woche in Moskau. In solchen Momenten wird schmerzhaft deutlich, wie nah Gegenwart und Geschichte beieinander liegen. Wie organisieren sich totalitäre Staaten? Wie funktioniert Repression? Wie gelingt es mit den Mitteln politischer Gewalt eine ganze Gesellschaft einzuschüchtern? Und: Welche Folgen hat dies für die Betroffenen?
Diese Fragen bewegen uns. Mit Blick auf die Geschichte, aber ebenso auch mit Blick auf unsere Gegenwart.
Ich bin überzeugt davon, dass der Blick in die Vergangenheit uns helfen kann, die Strukturen von Diktaturen besser zu verstehen. Natürlich ist Moskau im Jahr 2022 etwas anderes als Ost-Berlin in den 1980er-Jahren. Die Strukturen und Mechanismen des Unterdrückungsapparates weisen jedoch beeindruckende Parallelen auf.
Lieber Herr Dr. Schäbitz, lieber Herr Dr. Donth, es ist geschafft!
Die heutige Vorstellung der WebApp „Daten politischer Verfolgung“ ist ein Meilenstein. Nicht wenige von Ihnen werden sich daran erinnern, wieviel Vorbehalte es zu Beginn des Projektes gegeben hat. Datenschutz, Betroffenenrechte, Scan-Technik. An Hindernissen hat es ihnen nicht gemangelt.
Aber sie haben bewiesen, und dies sage ich ganz bewusst als Ombudsfrau für die Opfer der SED-Diktatur, dass es möglich ist, die Rechte von Betroffenen zu achten und gleichzeitig der Forschung einen breiten Zugang zu Daten der Opfer zu ermöglichen. Für das, was sie in den zurückliegenden Jahren bei Landschaften der Verfolgung geleistet haben, bin ich ihnen ausgesprochen dankbar. In diesen Dank, liebe Alexandra Titze, möchte ich auch die Kolleginnen und Kollegen des Bundesarchivs einschließen.
Die Ergebnisse ihrer Forschung leisten wichtige Grundlagenarbeit.
Mit ihren Forschungsergebnissen ermöglichen sie sozusagen den Blick in den „Maschinenraum“ eines repressiven Regimes. Gerade mit der Datenbank zur politischen Haft haben sie ein Fundament geschaffen, auf das weitere Forschung aufbauen kann. Viel zu häufig ist unser Blick auf die politische Haft und die Häftlinge zu holzschnittartig.
Wer saß aus welchen Gründen wie lange in Haft? Berufsgruppen, Alter, Geschlecht, Haftdauer.
All diese Merkmale sind wichtig, um das Bild zu komplettieren und um einen differenzierten Eindruck von politischer Haft in der DDR zu gewinnen.
Aus meinen Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, wie vielschichtig die Biografien der Häftlinge sind. Die politische Haft und die Biografien der Häftlinge fundierter beschreiben zu können ist wichtig, insbesondere auch, um die Auswirkungen auf die Betroffenen besser verstehen zu können. Aber die differenziertere Beschreibung der politischen Haft leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag für die Wissenschaft.
Gerade wenn ich an die vielen Verfahren denke, die Betroffene führen müssen. In Fragen der Rehabilitierung, aber auch zur Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden braucht es ein solides wissenschaftliches Fundament, auf das die Betroffenen sich stützen können.
Dankbar bin ich ebenso aber auch für die Arbeit, die im Verbund im Menschenrechtszentrum in Cottbus geleistet wird. Die Fragen der Anwerbung von Häftlingen durch die Staatssicherheit ist häufig ein Tabuthema. Diese Menschen, die sich unter Druck im Gefängnis mit der Stasi eingelassen haben, haben es heute besonders schwer.
Sie kämpfen mit den psychischen Folgen. Aber ebenso kämpfen sie auch um den Erhalt von Leistungen. Gleichzeitig ringen sie um Akzeptanz im Kreise der Opfer und in der Gesellschaft. Wer waren diese Menschen, was haben sie erlebt? Hierauf gibt uns das Teilprojekt wichtige Antworten.
Bei Landschaften der Verfolgung haben sie nicht nur auf den einzelnen Betroffenen geschaut, sondern auch die größeren Entwicklungen in den Blick genommen. So eröffnet uns Forschung an der Humboldt-Universität zur Entwicklung der Repressionspolitik über die Jahrzehnte oder auch die Forschung an der Universität Passau zu Motivlagen bei Verantwortungsträgern und widerständigen Opfern politischer Repression neue Perspektiven. Perspektiven, die bisher viel zu wenig Wahrnehmung fanden.
Dankbar bin ebenso dem Team der Viadrina um Prof. Weberling und Dr. Christian Booß.
Wie kann es gelingen mit den Mitteln des Rechtsstaats die Menschenrechtsverletzungen einer Diktatur aufzuarbeiten? Diesen Prozess, insbesondere in den 1990er-Jahren, zeichnen sie nach und zeigen auf, wo Defizite bestehen. Ja, wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Leider muss ich sagen, in vielen Fällen bis heute.
Ein Projekt was mir besonders am Herzen liegt ist das Teilprojekt der Charite zu körperlichen und psychischen Folgen politischer Haft. In den letzten Monaten habe ich viele SED-Opfer getroffen, die seit Jahren um die Anerkennung ihrer Gesundheitsschäden kämpfen. Es beschämt mich zutiefst, wenn ich sehe, was viele der Betroffenen erleben müssen. Verfahren von zehn oder zwölf Jahren sind keine Seltenheit.
Stellen sie sich vor: In den letzten 6 Jahren ist beispielsweise in Sachsen-Anhalt nur einem einzigen Betroffenen die Anerkennung der Gesundheitsschäden gelungen. Die Opfer, im Osten wie im Westen, scheitern daran, dass die Behörden keinen Zusammenhang zwischen einer jetzigen Erkrankung, wie einer Angststörung oder PTBS, und einer früheren Haft, dem Aufenthalt in einem Jugendwerkhof oder Zersetzung sehen.
So muss beispielsweise ein Mann, der eineinhalb Jahre im berüchtigten Gefängnis Bautzen inhaftiert war und über Jahre von der Stasi schikaniert wurde, in seinem Ablehnungsbescheid lesen:
„Die Auswertungen der medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit konnte den Nachweis haftbedingter Gesundheitsschäden nicht erbringen.“
Um es ganz deutlich zu sagen: Kein Amt in einer Demokratie sollte sich in seinen Entscheidungen maßgeblich auf das stützen, was die Ärzte in den Gefängnissen einer Diktatur in die Akten geschrieben haben.
Hier brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Ihre Forschung zu den gesundheitlichen Folgen der Haft und der Unterbringung in einem Jugendwerkhof kann ein wichtiger Baustein dafür sein, diese Fälle anders zu bewerten und so die Lage der Betroffenen zu verbessern.
Die Regierungskoalition hat sich – zum Glück möchte ich sagen – viel vorgenommen für die SED-Opfer.
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Im Einvernehmen mit den Ländern erleichtern wir die Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen für die Opfer der SED-Diktatur, insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden, passen die Definition der Opfergruppen an die Forschung an.“
Für das was die Politik sich vorgenommen hat, ist die Forschung von zentraler Bedeutung. Die Politik braucht ihre Arbeit. Aber um es ganz deutlich zu sagen: Forschung braucht eine Perspektive.
In meiner Arbeit als SED-Opferbeauftragte habe ich in den letzten Monaten immer deutlich gemerkt, wie sehr doch weiterhin umfassender Forschungsbedarf besteht. Forschung zu den Strukturen der SED-Diktatur, aber ebenso auch zu den Folgen der Repression für die Gesellschaft und die Betroffenen.
Dies gilt für mich nicht nur für die wichtige Arbeit, die sie in den BMBF-Forschungsverbünden in den zurückliegenden Jahren geleistet haben, sondern ebenso auch für den Verbund gesundheitliche Langzeitfolgen.
Als SED-Opferbeauftragten sehe ich weiterhin dringenden Forschungsbedarf. Sei es zu frühen politischen Repressionen, gerade auch im Kontext des Volksaufstandes 1953 und des Mauerbaus 1961. Repression durch Medizin, ist ebenso auch ein Thema, welches aus meiner Sicht zu wenig beleuchtet wurde. Gerade auch bezogen auf die Rolle des Haftkrankenhauses hier in Hohenschönhausen.
Die Diktatur fand nicht nur hinter den Gefängnismauern von Hohenschönhausen oder in der Stasi-Zentrale statt. Die DNA der SED-Diktatur war die Durchdringung der Institutionen und der gesamten Gesellschaft.
Daher wünsche ich mir, dass auch das System der Heimerziehung in der DDR und insbesondere die Hintergründe der Heimeinweisungen und ebenso auch die Rolle der Jugendhäuser tiefer erforscht werden.
Gerade mit Blick auf all diese offenen Fragen. Mit Blick darauf, welche wichtigen Ziele sich die Politik selbst für die Opfer gesetzt hat, werbe ich für die Fortsetzung der Forschungsverbünde. Die Forschungsverbünde haben aus meiner Sicht eindrucksvoll gezeigt, wie durch die Vernetzung von Universitäten, Archiven, Gedenkstätten, ja auch Opferverbänden ein Ansatz verfolgt werden kann, der direkt in Bildung und Beratungspraxis wirkt. Forschung nicht im Elfenbeinturm, sondern eingebettet in unsere Gesellschaft und nah an den Betroffenen.
Mein Anspruch ist es, dass wir als demokratische Gesellschaft das Unrecht, das die Diktatur Bürgerinnen und Bürgern zugefügt hat, aufklären. Aufklären und gleichzeitig diese Menschen, die in der Diktatur für Freiheit, Selbstbestimmung und Bürgerrechte gekämpft haben, in ihrem heutigen Leben unterstützen. Hierzu leistet die Forschung, leistet ihre Arbeit im Forschungsverbund Landschaften der Verfolgung, einen besonders wichtigen Beitrag.
Einen Beitrag der eine Fortsetzung verdient.
Vielen Dank!