29.01.2025 | Parlament

Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung im Gedenken an die Opfer der Gewalttaten von Magdeburg und Aschaffenburg

[Es gilt das gesprochene Wort]

Liebe Kolleginnen und Kolleginnen,

seit unserer letzten Sitzung im Dezember wühlen zwei entsetzliche Attentate unser Land auf.

Wir sind fassungslos und fragen uns:  
Wie konnten zwei Männer, die in Deutschland Schutz suchten und fanden, eine solche Gewalt gegen Unschuldige verüben? 
Sogar gezielt gegen Kinder.  
Was sind die Motive? 
Was sind die Konsequenzen?
Welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft?

Diese Fragen werden wir heute auch hier im Deutschen Bundestag diskutieren.

Doch zuvor bitte ich um einen Moment des Innehaltens.

Wir trauern um die Opfer der Angriffe von Magdeburg und Aschaffenburg.

In Magdeburg raste ein Mann über den Weihnachtsmarkt und tötete sechs Menschen. 
Darunter ein neunjähriger Junge. 
Hunderte Frauen, Männer und Kinder wurden verletzt. 
Manche von ihnen schwer. 
Menschen, die zu Weihnachten das Fest der Liebe feiern wollten.

In einem Park in Aschaffenburg griff vor einer Woche ein Mann eine Kindergarten-Gruppe mit einem Messer an.  
Zwei Menschen starben,  
drei Menschen wurden verletzt.

Wir trauern um einen zweijährigen Jungen.  

Und wir trauern um einen Familienvater, der mit seinem mutigen Eingreifen die Kinder vor noch mehr Leid beschützt hat.  

Seine Selbstlosigkeit und sein Mut verdienen unseren tiefen Respekt.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, 
wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer und mit den Betroffenen.
Wir sind in Gedanken bei ihnen.

Unser Dank gilt den vielen Helferinnen und Helfern, den Rettungskräften sowie den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten.

Wir gedenken der Opfer und der Versehrten in Magdeburg und Aschaffenburg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
ich bitte Sie, sich für eine Schweigeminute zu erheben.

Vielen Dank.

Wir werden jetzt nach einer kurzen Unterbrechung eine wichtige Debatte über die Gewalttaten führen.

Diese Debatte muss ehrlich, schonungslos UND respektvoll sein.  Auch das ist unsere Verantwortung in diesen Tagen.

29.01.2025 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus

[Stenografischer Dienst]

Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, 
liebe Frau Büdenbender,
sehr verehrter Herr Schwarzman,
sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin,
sehr geehrter Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auschwitz, 27. Januar 1945, gegen 15 Uhr: Panzer der Roten Armee fahren zum Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“. Die Soldaten sind junge Männer, darunter Russen, Ukrainer, Tschetschenen, Georgier. Mit dem Panzer durchbrechen sie das Tor zum Stammlager Auschwitz. Lastwagen um Lastwagen folgt. Soldaten springen heraus. 

Wenig später, 3 Kilometer entfernt, durchbricht der 21-jährige David Dushman mit seinem Panzer auch den Stacheldraht von Auschwitz-Birkenau. 

Die jungen Männer sind kampferprobt. Der Anblick Toter ist für sie alltäglich. Doch keiner von ihnen ist vorbereitet auf das, was sie in Auschwitz erwartet: Hunderte Leichen, ein beißender Geruch - der Gestank nach verbranntem Fleisch. Von oben fällt dunkle Asche auf den Schnee. Nach und nach tauchen Gestalten aus den Baracken auf, bleiben ratlos stehen - abgemagert, kahlgeschoren, mit eingefallenen Gesichtern und leblosen Augen.

So geht es aus den Berichten verschiedener Augenzeugen hervor. Ich zitiere Grigori Elisavetskii, einen der ersten sowjetischen Offiziere, die Auschwitz erreichten: 

„Ich betrete die Baracke (…) Auf den dreistöckigen Pritschen liegen halbtote Menschen wie Skelette (…) Wie durch einen Nebel höre ich die Worte meiner Soldaten: ,Ihr seid frei, Kameraden!‘ Ich merke, dass sie (…) nicht verstehen. Ich spreche sie auf Jiddisch an. (…) Erst als ich sagte: ,Fürchtet euch nicht, ich bin Oberst der Sowjetarmee und ich bin Jude, wir sind gekommen, um euch zu befreien‘ (…) schien endlich ein Damm zu brechen (…) (sie) kamen schreiend auf uns zu gerannt, fielen auf die Knie, küssten die Säume unserer Mäntel und umarmten unsere Beine. Und wir standen regungslos da (…) und über unsere Wangen flossen die Tränen.“ Zitat Ende. 

Und ich zitiere Eva Mozes, damals 10 Jahre alt und seit 9 Monaten in Auschwitz: „Wir liefen auf sie zu und sie gaben uns Umarmungen, Kekse und Schokolade. Da wir so allein waren, bedeutete eine Umarmung mehr, als man sich vorstellen kann (…) Wir waren nicht nur hungrig nach Essen, sondern auch nach menschlicher Zuwendung. Und die Sowjetarmee hat uns etwas davon gegeben.“ Zitat Ende. 

Ungefähr 7 000 Menschen wurden der Forschung nach aus dem Lagerkomplex Auschwitz befreit. Mehrere Hundert von ihnen sterben in den Monaten nach der Befreiung. Die meisten Gefangenen hatte die SS zuvor ermordet, mehrere Zehntausend auf Todesmärsche gen Westen geschickt.

80 Jahre sind diese schrecklichen Ereignisse her. Doch solches Grauen vergeht nicht. Solche Verletzungen der Seele kann selbst die Dauer eines Menschenlebens nicht heilen. 

Meine Damen und Herren, ich war selbst im vergangenen Sommer in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Der Ort wirkt auf unheimliche Weise friedlich. Die Sonne scheint auch dort. Man hört nicht die Schreie der Menschen, die in den Gaskammern qualvoll erstickten. Man sieht nicht, dass auf jener Wiese hinter dem Krematorium die Asche der Ermordeten verstreut wurde. Die Arbeit der Gedenkstätte hat mich sehr beeindruckt, so wie übrigens auch die Arbeit der Internationalen Jugendbegegnungsstätte. 

Orte allein reichen aber nicht aus, um zu erinnern. Ich habe auf meiner Reise nach Auschwitz Überlebende getroffen. Wenn sie erzählen, beginnt man zu begreifen, was Auschwitz bedeutet. Wenn wir ihnen zuhören, werden wir selbst zu Zeugen ihrer Erzählungen. 

Für mich ist es ein Wunder, dass die Überlebenden bereit sind, über Auschwitz zu sprechen. Und ein Wunder, dass es überhaupt noch Überlebende gibt! Die allermeisten Schicksale in Auschwitz endeten an der Rampe, in der Gaskammer, im Krematorium. Diese Kinder, Frauen und Männer konnten ihre Leidensgeschichten nie erzählen. Ein lautes, unermessliches Schweigen seit über 80 Jahren. Und für immer.

Meine Damen und Herren, um diesem Schweigen etwas entgegenzusetzen, gedenken wir jedes Jahr am Tag der Befreiung von Auschwitz aller Opfer des Nationalsozialismus, auch hier im Deutschen Bundestag. 

Wir gedenken der 6 Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden Europas. 

Wir gedenken der Opfer der deutschen Besatzungsherrschaft und Vernichtungspolitik, insbesondere in Mittel- und Osteuropa. 

Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma. 

Wir gedenken aller Menschen, die wegen ihrer politischen Überzeugung, ihres christlichen Glaubens oder als Zeugen Jehovas verfolgt wurden. 

Wir gedenken der verfolgten queeren Menschen, der Menschen, die als „asozial“ diffamiert wurden, und der Opfer der sogenannten „Euthanasie“.

Wir gedenken der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die ausgebeutet und entrechtet wurden.

Wir gedenken der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, die hingerichtet wurden.

Wir gedenken aller Überlebenden, die für immer von diesen Erfahrungen gezeichnet sind. 

Wir gedenken der Familien und Nachfahren der Opfer und Überlebenden, die gezwungen sind, einen Umgang mit der eigenen Familiengeschichte zu finden.

Meine Damen und Herren, begleitet wird unser Gedenken heute durch Musik von zwei Komponisten und einer Komponistin, deren Leben wegen ihrer jüdischen Abstammung von Flucht und Verfolgung geprägt war. Gideon Klein, dessen Stück wir gerade gehört haben, sei besonders erwähnt. Vorgestern war sein Todestag. Er wurde vor 80 Jahren - nur Stunden vor der Befreiung - durch die SS in Auschwitz ermordet. Ich danke den jungen Musikerinnen und Musikern der Universität der Künste Berlin, dass sie diese Werke für uns heute spielen. 

Es tut gut, zu erleben, wie die junge Generation am Gedenken teilnimmt. Ich begrüße an dieser Stelle auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendbegegnung! Sie sind in Auschwitz gewesen. Sie haben Überlebenden zugehört. Sie tragen damit die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen in die Zukunft. 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Sie waren vorgestern ebenfalls in Auschwitz bei der großen Gedenkfeier. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie heute zu uns sprechen werden.

Meine Damen und Herren, es gibt immer weniger Menschen, die aus eigenem Erleben von den Gräueltaten der Nationalsozialisten berichten können. Einige von ihnen sind heute hier. Ich freue mich, Sie alle im Namen des ganzen Hauses heute auf der Tribüne begrüßen zu dürfen und ganz besonders Frau Friedländer!

(Beifall)

Und wir sind besonders dankbar, lieber Roman Schwarzman, dass Sie den beschwerlichen Weg aus Odesa auf sich genommen und zu uns gekommen sind und dass Sie auch gleich zu uns sprechen werden. Vielen Dank!

(Beifall)

Sie sind Vorsitzender der Vereinigung ehemaliger jüdischer Ghetto- und KZ-Häftlinge in Odesa. Als Kind haben Sie selbst im Ghetto Berschad gelebt, und davon werden Sie uns heute auch erzählen. Sie setzen sich dafür ein, dass in Ihrer Heimatstadt ein Mahnmal entsteht. Ein würdiges Mahnmal für die Zehntausenden - meist jüdischen - Menschen, die Mitte Oktober 1941 von deutschen und rumänischen Einheiten während des Odesa-Massakers ermordet wurden. 

Lieber Roman Schwarzman, Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine hat Ihren Plan für ein Mahnmal vorerst gestoppt. Statt eine Erinnerungsstätte zu verwirklichen, sorgen Sie sich nun um Ihre Kinder und Enkel in der Ukraine. Ich hoffe sehr, dass es dieses Mahnmal in Odesa sehr bald geben wird. 

(Beifall)

Wir müssen weiterhin aufzeigen und auch weiter erforschen, wie unvorstellbar weit die Verbrechen der Nationalsozialisten reichten. Gerade heute, in diesen Zeiten, ist historisches Bewusstsein besonders wichtig. Es ist an uns, die Überlieferungen der Zeitzeugen auch für die nachfolgenden Generationen zu bewahren.

Im analogen und im digitalen Raum grassieren Verschwörungsmythen und Propaganda. Die Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee und ihr Kampf gegen die Nationalsozialisten etwa wird heute missbraucht als Rechtfertigung für Unterdrückung und Krieg.

Meine Damen und Herren, einige Menschen in Deutschland wollen nichts mehr hören vom Holocaust. Sie wollen sie endlich loswerden, die historische Verantwortung. Ich sage: Wir dürfen uns unserer historischen Verantwortung niemals entziehen. 

(Beifall)

Deshalb dürfen wir nicht aufhören, hinzusehen, zuzuhören, nachzufühlen.

Hierzulande greift der Antisemitismus um sich. Nicht erst, aber ganz besonders seit dem 7. Oktober 2023. Jüdinnen und Juden werden offen bedroht und angegriffen. „Nichts ist für immer gewonnen“, mahnt Piotr Cywiński, der Leiter der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.

Wir müssen ehrlich mit uns sein. Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich nicht sicher in Deutschland. Im Kampf gegen Antisemitismus erleben wir enttäuschende Rückschritte, und das schmerzt. Vor Kurzem fragte mich ein jüdischer Vater: „Können Sie mir versichern, dass meine Kinder in diesem Land auch in Zukunft sicher sind?“ Wie gern hätte ich aus voller Überzeugung mit Ja geantwortet. Doch die Frage bleibt offen. Die Antwort liegt in unser aller Hand.

Im vergangenen Jahr haben wir im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, um jüdisches Leben in Deutschland zu schützen und zu stärken. Das ist ein wichtiges Zeichen. Jetzt müssen wir diese Resolution als Auftrag nehmen und mit Leben füllen.

Mitmenschlichkeit zu leben, ist keine Aufgabe, die man einfach delegieren kann - zum Beispiel an die Politik. Jede und jeder von uns sollte sich immer wieder fragen: Was bin ich bereit für das „Nie wieder“ zu tun? 

Vielen Dank!

(Beifall)

30.01.2025 | Parlament

Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung im Gedenken an Stephanie Aeffner

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche einen guten Tag. Bitte nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit unserer letzten Sitzung im Dezember wühlen zwei entsetzliche Attentate unser Land auf. Wir sind fassungslos und fragen uns: Wie konnten zwei Männer, die in Deutschland Schutz suchten und fanden, eine solche Gewalt gegen Unschuldige verüben – sogar gezielt gegen Kinder? Was sind die Motive? Was sind die Konsequenzen? Welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft? Diese Fragen werden wir heute auch im Deutschen Bundestag diskutieren. Doch zuvor bitte ich, einen Moment innezuhalten.

Wir trauern um die Opfer der Angriffe von Magdeburg und Aschaffenburg. In Magdeburg raste ein Mann über den Weihnachtsmarkt und tötete sechs Menschen, darunter ein neunjähriger Junge. Hunderte Frauen, Männer und Kinder wurden verletzt, manche von ihnen schwer – Menschen, die zu Weihnachten das Fest der Liebe feiern wollten.

In einem Park in Aschaffenburg griff vor einer Woche ein Mann eine Kindergartengruppe mit einem Messer an. Zwei Menschen starben, drei Menschen wurden verletzt. Wir trauern um einen zweijährigen Jungen. Und wir trauern um einen Familienvater, der mit seinem mutigen Eingreifen die Kinder vor noch mehr Leid beschützt hat. Seine Selbstlosigkeit und sein Mut verdienen unseren tiefen Respekt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer und mit den Betroffenen. Wir sind in Gedanken bei ihnen. Unser Dank gilt auch den vielen Helferinnen und Helfern, den Rettungskräften sowie Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten.

Wir gedenken der Opfer und der Versehrten in Magdeburg und Aschaffenburg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich für eine Schweigeminute zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

– Vielen Dank.

Wir werden jetzt nach einer kurzen Unterbrechung eine wichtige Debatte über diese Gewalttaten führen. Diese Debatte muss ehrlich, schonungslos und respektvoll sein. Auch das ist unsere Verantwortung in diesen Tagen.

Die Sitzung ist kurz unterbrochen.

(Unterbrechung von 14.04 bis 14.08 Uhr)

11.02.2025 | Parlament

Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung im Gedenken an Erwin Rüddel, MdB, und Bundespräsident a.D. Horst Köhler

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen allen einen guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir trauern um unseren Kollegen Erwin Rüddel, der vor acht Tagen verstorben ist. In Gedanken sind wir bei seinen Angehörigen.

Noch Ende Januar wollte Erwin Rüddel seine letzte Rede hier im Plenarsaal halten. Aufgrund des langen Sitzungstages gab er sie zu Protokoll. Nur drei Tage später starb er.

Viermal schenkten ihm die Wählerinnen und Wähler aus dem Wahlkreis Neuwied das Vertrauen und wählten ihn direkt in den Deutschen Bundestag. Hier in Berlin arbeitete er engagiert in zahlreichen Ausschüssen. Mir persönlich bleibt vor allem unsere gemeinsame Arbeit im Gesundheitsausschuss in Erinnerung. Dort hat er seine langjährige Erfahrung als Geschäftsführer einer Seniorenresidenz eingebracht - ein Gewinn für uns alle. 

In den Coronajahren war Erwin Rüddel Vorsitzender des Gesundheitsausschusses. Die Pandemie bedeutete für den Ausschuss und seine Mitglieder eine enorme Herausforderung. Erwin Rüddel ist dabei sehr verantwortungsbewusst und auch ehrlich mit seinen eigenen Zweifeln umgegangen. 

Für die nächste Legislatur wollte er sich nicht mehr bewerben. In seiner Abschiedsrede hat er uns zu einer Aufarbeitung der Pandemie ermahnt - nicht als Abrechnung untereinander, sondern als Vorbereitung auf mögliche neue Pandemien, wie er betonte. Diese Aufarbeitung müssen wir nun ohne seine Erfahrungen und sein Fachwissen leisten.

Privat war Erwin Rüddel ein engagierter Karnevalist und leidenschaftlicher Sportler. Noch am Vortag seines Todes hat er einen 10-Kilometer-Lauf bestritten. Umso unerwarteter kam sein Tod.

Erwin Rüddel wird uns fehlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ebenfalls Anfang Februar erreichte uns die Nachricht vom Tod unseres früheren Bundespräsidenten. Horst Köhler war mit seiner Weitsicht, seinem Optimismus und seinem Frohsinn ein beliebter Bürgerpräsident.

Am kommenden Dienstag werden wir Horst Köhler in einem Trauerstaatsakt würdigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben und der Verstorbenen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

- Ich danke Ihnen.

Die Sitzung ist für wenige Minuten unterbrochen.

11.02.2025 | Parlament

Rede der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zum Ende der Legislaturperiode

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Bärbel Bas: Präsidentin Bärbel Bas: 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir sind am Schluss der heutigen Sitzung und damit auch am Ende einer außergewöhnlichen Wahlperiode. 

Ich möchte alle Bürgerinnen und Bürger dazu aufrufen, bei der kommenden Bundestagswahl ihre Stimme abzugeben. 

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (Die Linke))

Machen Sie von Ihrem demokratischen Grundrecht Gebrauch! Ich bin der festen Überzeugung: Unsere freiheitliche Demokratie kann für die meisten Probleme der Menschen Lösungen finden. Dieses Land hat schon viele Herausforderungen erfolgreich gemeistert. Das sollte uns alle zuversichtlich stimmen. Es liegt nicht zuletzt an uns, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, das Vertrauen in die freiheitliche Demokratie zu stärken, das Vertrauen in eine lösungsorientierte Politik. 

Es macht mir Sorgen, dass die Verrohung immer weiter zunimmt. Im bisherigen Wahlkampf waren Verunglimpfungen, Bedrohungen und Angriffe auf Wahlhelferinnen und Wahlhelfer nahezu alltäglich, genauso wie Attacken auf Politikerinnen und Politiker. Das ist eine große Gefahr für unser gesellschaftliches Miteinander und unsere Demokratie. Alle Straftaten müssen zügig aufgeklärt und konsequent bestraft werden. Politische Auseinandersetzungen müssen wir mit Respekt und Achtung vor der Meinung der anderen führen, auch in den Diskussionen am Arbeitsplatz und in der Familie. Wir müssen miteinander im Gespräch bleiben, sonst wird es schwierig mit dem Kompromiss, auf den es am Ende ankommt. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen allen danken für Ihre Arbeit und auch Ihren Einsatz in diesen schwierigen Zeiten. Den ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen wünsche ich persönlich alles Gute für ihren weiteren Lebensweg. Bleiben Sie diesem Hause, aber auch der Politik verbunden. 

Ich danke insbesondere den Schriftführerinnen und Schriftführern - nicht nur denen, die hier neben mir sitzen, sondern allen. 

(Beifall)

Genauso danke ich den Plenarassistentinnen und Plenarassistenten, den Stenografinnen und Stenografen und übrigens auch der Technik hier im Plenarsaal. 

(Beifall - Die Abgeordneten erheben sich)

Sie alle haben so manche Nacht mit uns durchgestanden. Erstaunlicherweise haben Sie das alles mit uns gemeinsam wirklich fantastisch hinbekommen. Herzlichen Dank dafür! Ich danke aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den MdB-Büros, in den Fraktionen und auch in der Bundestagsverwaltung, die hinter den Kulissen dafür gesorgt haben, dass wir hier reibungslos arbeiten können. Ohne sie alle hätten wir das nicht geschafft.

Ich will den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die dem nächsten Bundestag angehören werden, sagen: Auch Ihnen allen wünsche ich viel Erfolg. Trotz aller Vorarbeiten sind am Ende dieser verkürzten Wahlperiode auch im Bundestag noch ein paar Baustellen offen, und die sollte das Parlament zügig und entschlossen angehen. Ich hoffe, das gelingt uns. Ich nenne nur als Beispiel - ich habe das heute Morgen schon angesprochen - die Aufarbeitung der Coronapandemie. Aber auch unsere Geschäftsordnung und das Bundestagspolizeigesetz liegen mir sehr am Herzen. Wenn wir das in der nächsten Legislatur noch hinbekommen, wäre ich sehr dankbar. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird bei allen Herausforderungen an Ihnen liegen, wieder aufeinander zuzugehen und Brücken zu bauen, auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Kollegialität hat die Arbeit hier im Hause immer ausgezeichnet und getragen. Sie ist einer der entscheidenden Gründe für erfolgreiche parlamentarische Arbeit. 

In diesem Sinne verabschiede ich Sie mit einem fröhlichen Glückauf!

Die Sitzung ist geschlossen. 

(Beifall)

18.03.2025 | Parlament

Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung am 18. März 2025 zum 35. Jahrestag
der freien Volkskammerwahl

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau heute vor 35 Jahren, am 18. März 1990, feierten die Menschen in der damaligen DDR die Demokratie. Bei der ersten freien Wahl der Volkskammer gaben fast 12 Millionen Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme ab - eine Wahlbeteiligung von beeindruckenden 93,4 Prozent. 

Sabine Bergmann-Pohl, ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind.

(Beifall)

Sie wurden damals in die Volkskammer und zur Parlamentspräsidentin gewählt, als Parlamentsneuling, wie fast alle der 400 Abgeordneten. Einer dieser Abgeordneten war Wolfgang Thierse. Der spätere Bundestagspräsident sagte einmal: 

„Dieser 18. März war kein Geschenk, keine himmlische Fügung, sondern ein hart errungenes Ereignis der friedlichen Revolution vom Herbst 1989.“

Zitat Ende.

40 Jahre lang wurde in der Volkskammer Demokratie nur simuliert,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

und dann, am 18. März 1990, gab es freie Wahlen, echte Debatten und eine enorme Verantwortung. Die Abgeordneten standen vor der gewaltigen Aufgabe, die deutsche Einheit zu verhandeln und zu gestalten, und das unter großem Zeitdruck. So beeindruckend die Wahlbeteiligung war, so beeindruckend war auch das Arbeitspensum: 164 Gesetze und 93 Beschlüsse in 180 Tagen. Und viele Abgeordnete blieben danach politisch aktiv. Liebe Frau Bergmann-Pohl, bei der letzten Sitzung am 2. Oktober 1990 sagten Sie Folgendes - ich zitiere -: 

„Wir haben unseren Auftrag erfüllt, die Einheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung zu vollenden.“

Zitat Ende. 

Mit dem Aufbruch in die Demokratie waren 1990 viele Hoffnungen verbunden. Nicht alle wurden erfüllt. Der wirtschaftliche Umbruch traf viele Menschen hart. Gewohnte Sicherheiten zerbrachen, Existenzängste bestimmten den Alltag. Hinzu kam bei manchen das Gefühl, nicht gehört zu werden. Das wirkt bis heute nach.

Wenn wir heute auf diese demokratische Euphorie von 1990 zurückschauen, können wir aber auch festhalten: Wir können Menschen für unsere Demokratie begeistern und fürs Mitmachen gewinnen. Wie damals müssen wir sachliche Debatten führen, unrealistischen Erwartungen entgegentreten und kluge Beschlüsse fassen. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die demokratische Euphorie der ersten freien Volkskammerwahl nicht nur ehren, sondern auch weiterführen. 

(Dr. Alice Weidel (AfD): Das sieht man ja!)

Diese Euphorie sollte uns eine Inspiration sein für all die Herausforderungen, die heute vor uns liegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD, der Linken und des BSW - Dr. Alice Weidel (AfD): Das ist ja der blanke Hohn! Zynische Rede!)

Bevor wir beginnen, gratuliere ich nachträglich dem Kollegen Christian Petry zum 60. Geburtstag. Alles Gute im Namen des ganzen Hauses!

(Beifall)

Jetzt kommen wir zur Tagesordnung. Ich habe den Deutschen Bundestag aufgrund eines Verlangens der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU zur zweiten und dritten Beratung des von den Fraktionen der SPD und CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes einberufen. 

Hinzugestellt werden sollen die abschließenden Beratungen des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP auf Drucksache 20/15099 sowie des Antrags der Gruppe BSW auf Drucksache 20/15107. 

Die Fraktion der FDP hat beantragt, Tagesordnungspunkt 1 a abzusetzen. Die Fraktion der AfD hat den Antrag gestellt, den gesamten Tagesordnungspunkt 1, das heißt Buchstaben a, b und c, abzusetzen.

Dazu wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht. Zuerst hat das Wort für die FDP-Fraktion Johannes Vogel. 

(Beifall bei der FDP)

21.03.2025 | Parlament

Statement von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zum Panel „Gewalt gegenüber Politikerinnen und Politikern“ bei der Konferenz der Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten der Mitgliedsstaaten des Europarats in Straßburg

[Es gilt das gesprochen Wort]

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir alle haben es in den vergangenen Monaten und Jahren erlebt: 
Der politische Diskurs hat sich immer mehr polarisiert und radikalisiert.

In den schlimmsten Fällen haben Menschen im Dienst der Demokratie sogar ihr eigenes Leben verloren.

Ich denke 
an Jo Cox, 
an Pawel Adamowicz 
an David Amess.

Und an Walter Lübcke, 
den Präsidenten des deutschen Regierungsbezirks Kassel. Er wurde 2019 auf seiner Veranda von einem Rechtsextremisten erschossen.

Diese Morde sind grausame Resultate einer beunruhigenden Entwicklung.

Ein erschreckender Tiefpunkt war auch der Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021: 
Ein Angriff auf ein Parlamentsgebäude und auf Volksvertreterinnen und -vertreter. Motiviert durch die falsche Behauptung, das Wahlergebnis sei unrechtmäßig zustande gekommen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, 
in Deutschland hat das Bundeskriminalamt für das Jahr 2024 fast 5.000 Fälle von Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker gemeldet.

Damit sind die Übergriffe im Vergleich zu 2023 um 20 % gestiegen. Besonders betroffen sind Frauen und Angehörige von Minderheiten, ebenso wie meist ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen und -politiker.

Vor dieser Bundestagswahl hatten sich mehrere Abgeordnete wegen massiver Bedrohungen entschieden, nicht wieder zu kandidieren.

Darunter auch Bundestags-Vizepräsidentin Yvonne Magwas.

Diese Bedrohungen, die Übergriffe auf Abgeordnete oder die Attacken auf Wahlkampfhelfende sind keine isolierten Einzelfälle. Sie sind Teil eines weltweiten Ringens. Eines Ringens
-    zwischen Demokratie und Autokratie  
-    zwischen Dialog und Einschüchterung
-    zwischen der Stärke des Rechts und dem Recht des Stärkeren.

Diese Erkenntnis sollte uns Kraft geben:

Wir verteidigen die große Idee einer Gesellschaft, in der Konflikte friedlich gelöst werden – und nicht mit Gewalt.

Wir verteidigen den demokratischen Gedanken: 
Eine Gesellschaft, in der Kompromisse kein Zeichen von Schwäche sind – sondern von Stärke.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

folgende Maßnahmen können helfen, Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker einzudämmen:
-    die schnelle Verurteilung der Taten  
-    Schutzkonzepte und Hilfsangebote für Betroffene. 
-    Klare Regeln und Sanktionsmöglichkeiten für eine respektvolle Debatte im Parlament 
-    Ein verstärkter Schutz der Parlamente: Kein Zutritt für Personen, die ein Risiko für die Arbeit oder die Sicherheit des Parlaments darstellen.

Doch wir müssen auch die Ursachen nachhaltig bekämpfen.
-    Aufklären über Desinformation in sozialen Medien
-    Informieren über die Gefahren einer polarisierten Öffentlichkeit
-    Mehr Demokratie-Bildung und Medienkompetenz vermitteln, 
auch auf digitalen Plattformen.
-    Und politische Lösungen für eine wachsende soziale Ungleichheit finden.

Meine Damen und Herren,

die Lage ist ernst, aber es gibt auch viel Hoffnung:
Der Glaube an die Demokratie mobilisiert.

Die Wahlbeteiligung bei der jüngsten Bundestagswahl war mit über 80 Prozent so hoch wie nie seit der deutschen Wiedervereinigung.

Überall in Europa und auch heute hier im Saal erlebe ich Politikerinnen und Politiker, die sich jetzt erst recht für die Demokratie einsetzen. 
Die sich von den Herausforderungen nicht einschüchtern lassen. 
Sondern ganz im Gegenteil: 
Solidarisch zusammenstehen.

Diese solidarische Entschlossenheit ist ein starker Trumpf, den wir in der Hand haben!

Vielen Dank!

24.03.2025 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beim Empfang für die ausscheidenden Bundestagsabgeordneten

[Es gilt das gesprochen Wort]

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

normalerweise sage ich am Anfang meiner Reden gern:
Ich freue mich, hier zu sein.

Heute sage ich:
Ich stehe mit gemischten Gefühlen vor Ihnen.

Wie in dem Lied der Beatles: 
You say goodbye - and I say hello.“
An dieses Lied musste ich in den vergangenen Tagen oft denken:
Ein Kapitel endet, ein neues beginnt.

Demokratie bedeutet Macht auf Zeit.
Das Mandat der Wählerinnen und Wähler ist immer befristet. 
Das wissen Sie, das weiß ich.
Weh tut der Abschied trotzdem.

Nicht zuletzt wegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Sie an Ihrer Seite hatten.

Viele von Ihnen hätten sich gern weiter hier im Haus für Ihre Themen engagiert.

Sie haben mit Herzblut für Ihre Überzeugungen gestritten. 
Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern aus Ihrem Wahlkreis zugehört und vieles für die Menschen bewegt.

Sie haben in Ausschüssen, Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen um Kompromisse gerungen, sich die Nächte hier im Deutschen Bundestag um die Ohren geschlagen.
Sind manchmal erst am frühen Morgen aus dem Plenarsaal gekommen.

Parlamentarierin oder Parlamentarier zu sein – das ist eine große Ehre, 
bedeutet aber auch harte Arbeit.

Ein Punkt, der in der Öffentlichkeit oft nur unzureichend gesehen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
auch wenn das Mandat endet: 
Was Sie in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht haben, das bleibt!

In Form von Gesetzen.
Aber auch in Vorhaben, die oft erst mit der Zeit sichtbar und wirksam werden.

Diese Wahlperiode war kürzer als erwartet. Aber wir haben in dieser Zeit gemeinsam Außerordentliches geleistet.

Und dies unter denkbar schwierigen Bedingungen. Denn der 20. Deutsche Bundestag stand ganz im Zeichen der Krisenbewältigung.
Von der ersten Sondersitzung kurz nach der Konstituierung, als Russland die Ukraine angegriffen hatte.

Bis zur letzten Sondersitzung vor wenigen Tagen.

In den zurückliegenden 3,5 Jahren haben wir mehr als 1300 Anträge beraten, fast 550 Gesetzentwürfe behandelt und mehr als 300 Gesetze verabschiedet.

Mit Fug und Recht können wir sagen: Wir haben Beachtliches geleistet.
Und Sie alle haben daran mitgewirkt!

Meine Damen und Herren, 
333 Abgeordnete scheiden nun aus dem Deutschen Bundestags aus.
Das ist fast jedes zweite Mitglied.

Einen so umfangreichen Wechsel hat es in der Geschichte dieses Parlaments noch nicht gegeben.

Eines fällt besonders auf: 
Deutlich mehr als ein Drittel aller ausscheidenden Abgeordneten ist zur Wahl nicht mehr angetreten.

Natürlich gibt es viele Gründe, „Goodbye“ zu sagen:

Rücksicht auf die Gesundheit, mehr Zeit für die Familie, neue berufliche Herausforderungen, oder einfach die Freude auf den Ruhestand.

Einige von Ihnen sagen aber auch offen:
Ihre Entscheidung hat mit dem Hass zu tun, der Ihnen entgegenschlägt.

Das wollen Sie sich und Ihren Familien nicht mehr zumuten.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, 
das ist ein Alarmzeichen für unsere Demokratie.

Wenn engagierte und erfahrene Abgeordnete der Politik aus Sorge oder gar Angst den Rücken kehren, verlieren wir alle. Über Parteigrenzen hinweg.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Hass und Hetze unsere demokratischen Institutionen aushöhlen.

Zeigen wir uns solidarisch mit allen, 
die für ihr Engagement angefeindet oder sogar angegriffen werden.

Ob ehrenamtlich-engagiert in der Kommunalpolitik oder als MdB:

Stehen wir füreinander ein – und für den Schutz der Demokratie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich danke Ihnen allen für Ihren Einsatz.

Sie haben unserer Demokratie gedient – und tun es weiterhin.

Auf neuen Wegen und in anderer Weise – in Verbänden, in der Wirtschaft oder im Ehrenamt.

Sie nehmen wertvolle Erfahrungen mit. Sie kennen die politischen Prozesse. Sie haben einen Blick für das Ganze entwickelt. Und ein Gespür für das Machbare.

Es tut der Politik gut, wenn Abgeordnete Berufserfahrung in die Politik mitbringen.

Und es tut der Gesellschaft gut, wenn Abgeordnete ihre politische Erfahrung wieder in andere Bereiche tragen.

Es stärkt die Demokratie. Weil es zeigt, dass Engagement sich lohnt und Perspektiven eröffnet.

Wo auch immer Sie sich in Zukunft engagieren: 
Sie nehmen ein wertvolles Netzwerk an Kontakten mit.

Das können Sie auch weiterhin pflegen – zum Beispiel in der Vereinigung ehemaliger Bundestagsabgeordneter.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
die vergangenen 3,5 Jahre waren auch für mich als Bundestagspräsidentin eine intensive und erfahrungsreiche Zeit.

Die Zusammenarbeit mit Ihnen allen hat mich persönlich bereichert und geprägt. 
Es war mir eine Ehre!
Ich wünsche Ihnen aus ganzem Herzen alles Gute für Ihren Neuanfang.

Manchmal führt der Neuanfang auch wieder zurück. 
Manche verabschieden sich heute zum zweiten Mal aus dem Bundestag. 
Ein „Goodbye“ kann vorläufig sein.

Ich bin sicher, Sie alle werden dankbar auf Ihre Zeit im Parlament zurückschauen.

Eine Kollegin gab im Interview zu: 
„Ich werde alles vermissen.“

Doch bevor es sentimental wird, lassen Sie uns gemeinsam anstoßen:

Auf alles, was wir zusammen erreicht haben!

Und auf alles, was Sie noch in Zukunft erreichen werden!

Auch heute Abend verabschiede ich mich von Ihnen mit einem herzlichen Glückauf. 

20.03.2025 | Parlament

Keynote von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zum Panel „Schutz der Demokratie“ bei der Konferenz der Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten der Mitgliedsstaaten des Europarats in Straßburg

[Es gilt das gesprochen Wort.]

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Deutschland hat am 23. Februar einen neuen Bundestag gewählt, der am 25. März zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt.

Wir blicken auf einen emotionalen Wahlkampf zurück.

Mit über 80 Prozent war die Wahlbeteiligung so hoch wie noch nie seit der deutschen Wiedervereinigung.

Die Bürgerinnen und Bürger wollen mitgestalten, sie wollen gehört werden.
Das ist ein wichtiges Signal.

Von dieser Politisierung haben auch autoritäre Kräfte profitiert. 
Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

Dennoch konnten sich die Parteien der Mitte insgesamt behaupten. Gemeinsam haben sie weiterhin eine klare Mehrheit im neuen Bundestag.

Sie müssen jetzt beweisen, dass sie die Probleme der Menschen im Blick haben und konkrete Lösungen anbieten. 
Nur so lässt sich Vertrauen zurückgewinnen. Und dieses Vertrauen ist der beste Schutz unserer Demokratie.

Aktuell arbeiten CDU/CSU und SPD intensiv daran, belastbare Mehrheiten für eine neue Regierung zu finden.

Ich kann Ihnen versichern: 
Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage ist allen die Dringlichkeit bewusst.

Der noch aktuelle Bundestag hat daher vor zwei Tagen wichtige Verfassungsänderungen mit 2/3-Mehrheit beschlossen, die morgen auch vom Bundesrat beschlossen werden müssen.

Mit einem kreditfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro wollen wir massive Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur und Klimaschutz tätigen.
Das zusätzliche Geld soll zum Beispiel in Kitas und Schulen, Krankenhäuser, digitale Netze, Schienenwege und Brücken investiert werden. 
100 Milliarden Euro fließen allein in den Klima- und Transformationsfonds. 
Auch die Bundesländer sollen einen neuen Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bekommen, um vor Ort in Kommunen, Bildungseinrichtungen oder Schwimmbäder investieren können.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, 
das ist das größte Infrastrukturprogramm, das es in Deutschland je gegeben hat.

Gleichzeitig übernehmen wir mehr Verantwortung für Sicherheit, Frieden und Wohlstand in Europa.

Verteidigungs- und sicherheitspolitische Ausgaben, die mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, sollen künftig nicht mehr unter die Schuldenregel fallen.

Das gilt nicht nur für Ausgaben für die Bundeswehr, sondern auch für den Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Cybersicherheit, die zusätzliche militärische Unterstützung für die Ukraine und die Nachrichtendienste.

Diese Beschlüsse haben auch gezeigt, dass die Parteien der Mitte in Deutschland zusammenstehen.

CDU/CSU, SPD und die Grünen haben unter hohem Zeitdruck eine gemeinsame Lösung gefunden. Über die Parteigrenzen hinweg.

Angesichts des polarisierenden Wahlkampfes war das ein wichtiges Zeichen der Kompromissbereitschaft. Diesen Geist nehmen wir jetzt auch mit in die neue Wahlperiode.

Klar ist: 
Deutschland wird seiner Verantwortung in Europa mehr denn je gerecht werden.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, 
nach den dramatischen Ereignissen der vergangenen Wochen ist klar: 
Nie standen die Werte des Europarats so sehr unter Druck.

Wir müssen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit verteidigen.

Auch unsere Parlamente sind gefordert. Wir Abgeordneten müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern die Größe dieser Aufgabe vermitteln.

Das bedeutet auch, ehrlich zu sein: 
Wir werden für die Verteidigung der Freiheit auf manches verzichten müssen.
Ein deutscher Journalist schrieb vor Kurzem:

„Wir müssen wieder kämpferischer werden. Ich habe den Eindruck, dass wir unsere Freiheit nicht so sehr lieben, wie sie von unseren Feinden verachtet wird.“

Zitatende.

Lieber Ruslan, 
ich kenne kein Land, das aktuell so für die Freiheit kämpft wie die Ukraine.

Die Menschen in der Ukraine wissen: 
Die Feinde der Freiheit und der Demokratie dürfen niemals siegen.

Diese bewundernswerte Entschlossenheit muss uns allen ein Vorbild sein.

Die Ukraine kämpft nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern auch für unsere europäischen Werte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
darum appelliere ich an Sie alle, die Ukraine zu unterstützen.

Ich danke allen, die die Gemeinsame Erklärung zum 3. Jahrestag des russischen Angriffs unterzeichnet haben.

Dies ist ein starkes Zeichen des Zusammenhalts. Die Solidarität mit der Ukraine liegt in unserem europäischen Interesse. Das galt vom ersten Tag des russischen Angriffs an.
Wir sind heute mehr denn je gefordert, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu sichern.

Zugleich müssen wir insgesamt unsere Verteidigungsfähigkeit stärken. Und unsere Demokratien müssen enger zusammenrücken.

Für uns Europäer ist dies die Stunde der Bewährung. 
Wir müssen kämpferischer werden – für unsere Werte, für unsere Freiheit, für den Schutz der Demokratie.

Jetzt – oder nie!

Erlauben Sie mir zum Schluss eine aktuelle Bemerkung:

Wenn wir heute über die Demokratie, ihre Werte und ihren Schutz sprechen, dann gehören selbstverständlich die Rechte von Minderheiten dazu. Und dazu gehört auch, eine Wahl unter mehreren Alternativen zu haben, wenn der Wähler an die Urne gerufen wird.

Die jüngsten Entwicklungen in Budapest und in Ankara sind Anlass zu Sorge und Kritik.

Der Schutz von Kindern, wie von Ungarn vorgebracht, hat nichts zu tun mit den Rechten von LGBTIQ.

Und die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu, kurz bevor er zum Präsidentschaftskandidaten nominiert werden sollte und in freier Wahl gegen den Amtsinhaber antreten sollte, ist eine Verhöhnung der Demokratie. Wir sollten das deutlich aussprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit meinem Besuch hier in Straßburg verabschiede ich mich als Bundestagspräsidentin von Ihnen.

Ich danke Ihnen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Der offene Austausch zwischen unseren Parlamenten ist nicht nur politisch wertvoll, sondern war auch für mich persönlich immer bereichernd.

Ich werde unsere Begegnungen in bester Erinnerung behalten.

Unser europäischer Zusammenhalt ist wichtig.

Für starke Parlamente in Europa.
Für die Menschen, die wir vertreten. 
Für die Demokratie.

Vielen Dank!

25.03.2025 | Parlament

Antrittsrede von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner bei der konstituierenden Sitzung

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Julia Klöckner: 

Guten Tag! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Exzellenzen! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Wahl ist weniger eine Auszeichnung, sie ist vielmehr Verpflichtung. In diesem Bewusstsein danke ich Ihnen und euch sehr für dieses große Zeichen und auch den Vorschuss an Vertrauen für dieses Amt. Ich habe den festen Willen, die mir übertragene Aufgabe stets unparteiisch, unaufgeregt und auch unverzagt zu erfüllen - klar in der Sache, aber zugleich verbindend im Miteinander.

Die Konstituierung eines neuen Bundestages ist immer auch ein feierlicher Moment. Es ist ein Ereignis, das Kontinuität mit Neuem verbindet, mit Erneuerung. Es markiert die Stärke der parlamentarischen Demokratie, unserer Demokratie, dass es einen friedlichen Übergang zu neuen Machtverhältnissen durch freie Wahlen gibt. Aber so selbstverständlich, wie wir gerne glauben, ist das nicht. Mit Sorge schaue ich auf die Entwicklungen in der Türkei. Ich möchte die Menschen in der Türkei ermutigen: Demokratie lässt sich nicht aufhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten der AfD)

Unsere freiheitliche Demokratie ist eben keine Selbstverständlichkeit. Über 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten mit autokratischen oder teilautokratischen Staatsformen. Gerade deshalb müssen wir unsere Staatsform mit ganzer Kraft verteidigen, gegen alle, die sie in ihren Grundfesten erschüttern wollen, ganz gleich, aus welcher Richtung diese Angriffe kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Wir können uns freuen über die hohe Wahlbeteiligung bei der vergangenen Bundestagswahl: 82,5 Prozent, die höchste seit der Wiedervereinigung. Nicht freuen und ruhen lassen kann uns das schwindende Vertrauen in Politiker und staatliche Institutionen unseres Landes. Wir brauchen eine neue Vertrauensbeziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und ihren Volksvertreterinnen und Volksvertretern. 

Die Wählerinnen und Wähler haben am 23. Februar die Mehrheiten im Deutschen Bundestag neu bestimmt. Es wird eine neue Koalition geben, deren Mehrheitswille dieses Land gestalten soll. Ich will an dieser Stelle auch sagen: Mehrheiten, die demokratisch gefunden worden sind, das sind keine Kartelle. 

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Eine Regierung hat jeder Staat. Es ist aber das Vorhandensein einer Opposition im Parlament, das eine Demokratie auszeichnet. Als langjähriges Mitglied in diesem Hohen Haus habe ich beides erlebt: Teil der Regierung und der Mehrheitsfraktionen zu sein sowie in der Opposition zu sitzen. Ich weiß um die Lage in den unterschiedlichen Rollen, in denen sich die Abgeordneten des Bundestages befinden. 

Ihnen, sehr geehrter Herr Alterspräsident, herzlichen Dank für Ihre Rede. Die einen finden Redezeitbeschränkungen gut, andere weniger. 

(Heiterkeit des Abg. Dr. Bernd Baumann (AfD))

Ich bedanke mich sehr für Ihren Aufgalopp heute. Das Wachen über die Redezeit ist vom Stuhl der Präsidentin aus ein Leichtes; dafür gibt es eine Uhr. Aber ich werde nicht nur auf die Uhr schauen, ich werde auch hinhören - zum Rednerpult und in den Saal hinein. Hierbei gibt es einen ganz klaren Gradmesser für mich: den Anstand. Einen kontroversen Diskurs müssen wir führen, aushalten, ertragen - ja, das gehört dazu -, nach klaren Regeln, nach klaren Verfahren und Mehrheiten. Ich werde darauf achten, dass wir ein zivilisiertes Miteinander pflegen und, wenn wir dies nicht tun, es erlernen. Ja, es kommt beim Streiten auf den Stil an und auch auf den Respekt im Umgang miteinander. Die Art, wie wir hier miteinander umgehen und Argumente austauschen, hat - da bin ich mir sehr sicher - Einfluss auf gesellschaftliche Debatten. Wir ringen hier im Plenum um Lösungen der Probleme, die unser Land aufwühlen. Die vergangene Bundesregierung ist am intensiven Streit auseinandergegangen. Angesichts der Anforderungen, vor denen unser Land steht, sollten wir miteinander den Stil des Diskurses gemeinsam überdenken. Im Parlament führen wir Auseinandersetzungen stellvertretend für die Gesellschaft. Demokratie bedeutet - von „Demos“, Volk - also Herrschaft des Volkes. Nicht wir herrschen, sondern das Volk hat uns beauftragt. Und wie wir das tun, das ist prägend. Seien wir grundsätzlich bereit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dem anderen zuzuhören und seine Beweggründe verstehen zu wollen, auch wenn man sie vielleicht nicht teilt. Aber der Ansatz, verstehen zu wollen, stellt keine Überforderung dar, sondern bedeutet einen ordentlichen Umgang miteinander. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Dabei hat die Mehrheit nicht automatisch recht, die Minderheit aber auch nicht. Kritisieren wir einander; das gehört dazu. Aber reden wir uns nicht gegenseitig persönlich schlecht. Wir kommen nicht ins Stolpern, nur weil wir einen Schritt aufeinander zugehen. „Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln.“ Das stammt nicht von mir, sondern von Otto von Bismarck.

Die Verengung der zulässigen Diskursräume in Richtung der eigenen Ansichten ist im Übrigen keine gute Entwicklung in jüngster Zeit. Wer Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt ernst nimmt, der muss auch andere Sichtweisen ertragen, sie aushalten. 

(Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)

Nicht jede Meinung, die ich selbst nicht teile, kommt dem Extremismus gleich. Demokratie ist im besten Sinne Zumutung. Haben wir den Mut zum gegenseitigen Zuhören, zum Aushalten des Meinungsspektrums im Rahmen unserer Verfassung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Vielen Dank, liebe Bärbel Bas, für Ihren Einsatz in den vergangenen dreieinhalb Jahren; Sie haben unermüdlich für faire Debatten in diesem Haus gekämpft. Und wenn man schaut, was alles an Ereignissen in dreieinhalb Jahre passt: Es gab in dieser Zeit bewegende und zum Teil auch sehr kontroverse Sitzungen hier im Deutschen Bundestag. Wir haben etwa über die Folgen der russischen Aggression oder des Terrorangriffs der Hamas, wir haben über die Energieversorgung oder die Rolle der Bundeswehr hier diskutiert. Eine Bundestagsfraktion hat sich aufgelöst. Der Bundeskanzler hat die Vertrauensfrage gestellt. Ich danke Ihnen, liebe Kollegin Bas, im Namen des ganzen Hauses für Ihren Einsatz und für Ihre Verdienste in dieser Zeit. Alles Gute für Sie! 

(Beifall im ganzen Hause)

Ich freue mich auch sehr, auf der Ehrentribüne Sabine Bergmann-Pohl und Norbert Lammert begrüßen zu können, unsere Amtsvorgänger. Sehr geehrter Herr Bundespräsident Christian Wulff, ich freue mich sehr, dass auch Sie heute da sind. 

Ich danke den scheidenden Mitgliedern des Bundestagspräsidiums Yvonne Magwas, Aydan Özoğuz, Katrin Göring-Eckardt, Petra Pau und Wolfgang Kubicki sowie den Schriftführerinnen und Schriftführern. 

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Und ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die dieses Haus verlassen, für ihre Verdienste um unsere Demokratie. 333 Personen gehören dem neuen Deutschen Bundestag nicht mehr an. Manche haben einfach nicht mehr kandidiert, andere haben eine Wahl verloren, und wieder andere haben eine Wahl gewonnen und trotzdem ihr Mandat verloren. Letzteres ist das Ergebnis des neuen Wahlrechts - leider. Das Ziel der Wahlrechtsreform war eine Verkleinerung des Deutschen Bundestages, und dieses Ziel wurde erreicht. Ich habe aber Zweifel, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ob wir den Wählerinnen und Wählern wirklich überzeugend erklären können, warum 23 Kandidatinnen und Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis die Stimmenmehrheit gewonnen haben, nun kein Mandat zugeteilt wird. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der Linken)

Zugegeben, das Wahlrecht war in Deutschland schon immer etwas kompliziert. Doch eines konnte man bislang sehr einfach erklären: dass die Wähler mit ihrer Erststimme einen Abgeordneten in den Deutschen Bundestag wählen. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Keuter (AfD))

Aus diesem Grund: Sollten nicht künftig wieder diejenigen, die in ihrem jeweiligen Wahlkreis das größte Vertrauen genießen, ihre Heimat auch im Deutschen Bundestag vertreten dürfen? Es muss doch möglich sein, das Ziel der Wahlrechtsreform - eine deutliche Verkleinerung des Bundestages - mit einem verständlichen und gerechten Wahlrecht zu verbinden. Da sind wir alle gefordert; ich sage das auch an meine eigenen Reihen gerichtet. Als je verständlicher und gerechter ein Wahlsystem empfunden wird, desto größer ist dessen Akzeptanz in der Bevölkerung. Deshalb: Lassen Sie uns ruhig in dieser neuen Legislaturperiode noch einmal gründlich darüber nachdenken. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Schließlich ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - sei es in der Bundestagsverwaltung, in den Abgeordnetenbüros oder in den Fraktionen -: Danke für Ihre umsichtige Organisation nicht nur des heutigen Tages. „Demokratie möglich machen“ ist der selbstgewählte Leitspruch der Bundestagsverwaltung - ein treffender Satz, der vor allem die Motivation der rund 3 200 Menschen zeigt, die uns Abgeordnete aus der Verwaltung heraus unterstützen. Nach der Verkleinerung des Deutschen Bundestages auf 630 Sitze werden wir zu Recht mit der Frage konfrontiert, ob ein kleineres Parlament nicht auch mit weniger eigenen Ressourcen auskommen kann. Die Frage ist berechtigt. Ich verspreche, dieser Frage nicht auszuweichen. Lassen Sie uns parlamentarisch auch in den Kommissionen des Ältestenrates darüber beraten, wie wir konsolidieren und sparen und mit gutem Beispiel vorangehen können, einem Beispiel, dem sich die Bundesregierung dann gerne anschließen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rainer Kraft (AfD))

Wie wird, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere künftige Arbeit nun aussehen? Sie sollte von Kompromissen geleitet sein. Der politische Kompromiss ist systemimmanent. Demokratie ohne Kompromiss ist keine Demokratie; der Kompromiss ist ihr Wesenskern und der Normalfall. Und der Kompromiss ist eben nicht nur die zweitbeste Lösung. Wer Kompromisse schließt, zeigt Stärke und Handlungsfähigkeit. Dabei muss ein Kompromiss keineswegs nur das Verständigen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sein. Der Kompromiss dient nicht selten dem Ausgleich sich gegenseitig widerstrebender Interessen. Er kann auch befrieden. Wichtig ist, dass er sachlich gut begründet werden kann, sinnvoll und auch zielführend ist. Am Ende stehen mehrheitlich beschlossene Entscheidungen, die von allen respektiert werden müssen, auch von jenen, die anderer Meinung sind.

Es war Helmut Schmidt, der sagte: In der Demokratie gibt es keine dauerhaften Siege, aber auch keine endgültigen Niederlagen. - Je breiter das politische Spektrum, desto wichtiger werden diese gemeinsamen Grundregeln, die von allen akzeptiert werden.

Eine offene Fehlerkultur kann uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, helfen, verlorengegangenes Vertrauen in die Politik wiederzugewinnen. Wir als Volksvertreter dürfen uns nicht zu fein sein, Fehler einzugestehen. Ja, wir alle machen Fehler. Wo Menschen handeln, passieren Fehler. Diese zuzugeben, ist die einzigartige Stärke der Demokratie; in einer Diktatur hören Sie nichts von Fehlern.

Dieses Parlament wird der neuen Bundesregierung mindestens ebenso deutlich auf die Finger schauen, wie es der 20. Deutsche Bundestag bei der alten Bundesregierung getan hat. Sollte eine neue Regierung die Auffassung entwickeln, dieses Parlament sei nur zum Abnicken ihrer Vorstellungen gewählt, möchte ich schon heute möglichen späteren Enttäuschungen vorbeugen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Wir Abgeordneten kontrollieren die Regierung. Sie schuldet uns Rechenschaft, und nicht umgekehrt; denn das Parlament ist keine nachgeordnete Behörde der Bundesregierung. 

(Christian Görke (Die Linke): Ganz meine Meinung!)

Zentrales Instrument für diese Rechenschaft ist im Übrigen das parlamentarische Fragerecht. Dieses müssen wir weiter stärken, nicht zuletzt mit Blick auf die Regierungsbefragung. 

Durch die vorgezogene Neuwahl konnte der 20. Bundestag ein großes Projekt, das ich mit Blick auf die Stärkung des Parlamentes für sehr essenziell betrachte, nicht zu Ende bringen: die Reform der Geschäftsordnung. Ich werde dafür arbeiten, dass wir eine Reform in dieser Legislaturperiode gemeinsam hinbekommen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vor etwas mehr als einem Jahr haben wir an dieser Stelle unseres ehemaligen Bundestagspräsidenten Dr. Wolfgang Schäuble gedacht. Bei einer Konferenz der EU-Parlamentspräsidenten hatte er vor der - ich zitiere - „algorithmengesteuerten Aufmerksamkeitsökonomie“ im Netz gewarnt, die Teilöffentlichkeiten zementiere, Hass und Desinformation befördere und die Gesellschaft polarisiere. Wir können die Algorithmen nicht ändern. Wir können diese Teilöffentlichkeiten aber auch nicht einfach sich selbst überlassen. Beschreiten wir den Weg in die sogenannten sozialen Medien noch stärker! Ich nenne diese Plattformen die „digitalen Theken“. Wir müssen dort ebenso streitbar Position beziehen wie an den Stammtischen im Land oder hier im Deutschen Bundestag. Wir müssen aber auch dem Irrtum entgegentreten, dass die in der eigenen Blase entwickelten Auffassungen mit denen der Mehrheit gleichzusetzen sind. Lautstärke ist nicht automatisch Mehrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Politische braucht die konkrete Begegnung, das Miteinander und auch den zivilisierten Streit. Das gilt auch für die virtuelle Öffentlichkeit. Demokratie nur digital, das wird niemals gelingen. Dennoch: Wir müssen an den „digitalen Theken“ präsent sein und mitreden, wir Abgeordneten persönlich, aber auch das Parlament als Ganzes. Dazu gehört eine noch besser funktionierende, benutzerorientierte Digitalisierung unserer parlamentarischen Arbeit. Der Deutsche Bundestag ist schon eines der meistbesuchten Parlamente dieser Welt. Das ist etwas Wunderbares. Wir sind aber noch lange nicht das modernste Parlament dieser Welt; das sollte unser Anspruch werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der 21. Bundestag ist natürlich anders als seine Vorgänger. Was bleibt, ist die Vielfalt, zum Beispiel an beruflichen Hintergründen, Lebenswegen und Lebenserfahrungen. Ein Blick auf die Berufsbilder zeigt: An Juristen und Lehrern mangelt es uns weniger. Gut ist, dass auch Krankenschwestern, Erzieherinnen und Handwerker unter unseren Volksvertretern sind.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD und der Linken)

Das Durchschnittsalter der Abgeordneten beträgt 47 Jahre. Sehr geehrte Herren, Sie erhöhen das Durchschnittsalter; 

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die Frauen hier im Parlament sind im Durchschnitt jünger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Jüngste in diesem Parlament ist 23 Jahre alt

(Beifall bei Abgeordneten der Linken)

und der Älteste 84. 

230 von uns sind neu in diesem Parlament. Ich verspreche Ihnen: Auf Sie wartet eine außergewöhnliche, eine erfüllende und gleichzeitig auch sehr fordernde Arbeit. Doch vergessen Sie bitte bei all Ihren fordernden und zehrenden Einsätzen nie Ihre Familien und Freunde, diejenigen, die eben vorher schon da waren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Auch wir Abgeordnete, die wir häufig in der Öffentlichkeit stehen und angegriffen werden, brauchen Rückzugsorte, Erdung und manchmal guten Zuspruch. 

Frauen machen im Übrigen weniger als ein Drittel der Abgeordneten aus. Dabei besteht unsere Gesellschaft zu mehr als der Hälfte aus Frauen. Ein Parlament, das für alle spricht, sollte die gesellschaftlichen Gruppen angemessen repräsentieren; das ist mit Blick auf die Geschlechter ganz offensichtlich noch nicht überall gelungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Denn das Wahlrecht hindert seit 1918 keine Frau mehr an der Kandidatur, die Rahmenbedingungen tun es offenbar sehr wohl. Für mich heißt das: Wir müssen uns mehr anstrengen, um mehr Frauen in die Politik und in die Parlamente zu holen. Dazu gehören - nicht nur, aber auch - Lebensnähe und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 

Konkret möchte ich Ihnen kurz von vergangener Woche berichten. Nachdem wir hier im Saal debattiert hatten, wurde abgestimmt. Zwei junge Mütter kamen auf mich zu. Beide trugen einen drei bzw. vier Wochen alten Säugling bei sich. Warum? Weil diese kleinen Menschen nicht einfach abgelegt werden können, wenn die Mutter abstimmen muss und ihre Präsenz erforderlich ist. Damit dies möglich war, musste eine Sondergenehmigung recht umständlich erteilt werden. Wenn wir mehr Menschen aus allen Lebensbereichen und vor allem mehr Frauen in diesem Parlament haben wollen, dann müssen wir mehr auf Lebenspraktikabilität achten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten der AfD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Abgeordnete sind viel unterwegs in unseren Wahlkreisen - bei den Menschen, die uns gewählt haben, aber auch bei denen, die uns nicht gewählt haben. Als Abgeordnete vertreten wir nicht nur diejenigen, die uns gewählt haben; das sollte uns sehr bewusst sein. Wir vertreten ein ganzes Volk; aber niemand vertritt ein ganzes Volk allein. Wir nehmen mit, was die Bürgerinnen und Bürger beschäftigt und was sie sich wünschen. Vielleicht wissen und fühlen wir Abgeordnete manchmal besser als Forschungsinstitute, was die Menschen wirklich bewegt. Dafür brauchen wir das „hörende Herz“, von dem Papst Benedikt in seiner Rede hier im Deutschen Bundestag gesprochen hat. Dieses „hörende Herz“ brauchen auch wir Abgeordnete untereinander als Grundlage und zugleich als Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinander. Erst zusammen sind wir Deutschland. Niemand allein ist Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen unsere Arbeit in einer sehr aufgewühlten Zeit auf - gesellschaftspolitisch, wirtschaftlich, geostrategisch. Europa muss jetzt mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit übernehmen. 

Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, auch unserer Polizei, allen Sicherheits- und Rettungskräften in unserem Land für ihren Dienst und ihren Einsatz zu unser aller Wohl und unser aller Schutz. Wer Sie angreift, greift uns alle an.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

Aber Deutschland kämpft gerade auch um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit um Wachstum, Wohlstand, Arbeitsplätze und Nachhaltigkeit. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, dass wir ihre Probleme und Sorgen angehen. Sie wollen konsequente Reformen, auch in der Politik selbst.

(Beifall der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU))

Es ist ein schöner Zufall, dass sich der 21. Bundestag an einem 25. März konstituiert, dem Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Ohne die großen Staatsmänner Konrad Adenauer und Charles de Gaulle wäre die europäische Einigung nicht möglich gewesen. In meiner Heimatstadt Bad Kreuznach haben sie sich zum ersten Mal auf deutschem Boden getroffen. Später knüpften Helmut Kohl und François Mitterrand daran an. Ich freue mich, wenn wir international die Kontakte halten, intensivieren und aufbauen.

Ich freue mich besonders, dass heute der Botschafter des Staates Israel, Ron Prosor, unser Gast ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

Wir erleben immer wieder Angriffe auf jüdisches Leben in unserem Land. Nicht nur an den Rändern der Gesellschaft erstarken Kräfte, die den Nationalsozialismus verharmlosen. Auf der Straße, auf den Schulhöfen, in Universitäten und im Internet sind rassistische und antisemitische Parolen zu hören. Keine Form des Antisemitismus darf salonfähig werden, keine ist tolerabel, und keine ist zu entschuldigen!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der Linken)

Sehr geehrter Herr Botschafter, am 12. Mai jährt sich zum sechzigsten Mal die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Der Einsatz für jüdisches Leben in Deutschland und die Beziehung zwischen Deutschland und Israel werden mir in meinem Amt ein wichtiges Anliegen sein.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns an die Arbeit gehen. Wir müssen in unserem Land die Stimmung wieder verbessern, nicht uns permanent selbst schlechtreden. Wir brauchen Optimismus und Zuversicht. Dieser Ruck, dieser Optimismusruck, muss wieder durch unser Land gehen.

Ich wünsche Ihnen allen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles Gute für diese neue Legislaturperiode. Ich wünsche uns eine gute und glückliche Hand, ein hörendes Herz und denen, denen es wichtig ist, wie mir auch, Gottes reichen Segen. Mögen wir behütet sein und wissen: Wir geben immer nur die vorletzten Antworten auf die großen Fragen unserer Gesellschaft.

Alles Gute und herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken - Die Abgeordneten der CDU/CSU erheben sich - Dr. Alice Weidel (AfD): Eine schöne Rede! - Dr. Bernd Baumann (AfD): Eine tolle Rede!)