Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beim Jahresempfang der Wehrbeauftragten 2022

[Es gilt das gesprochene Wort.]

Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte,
sehr geehrter Herr Generalinspekteur,
sehr geehrte Fraktions- und Ausschussvorsitzende,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
sehr geehrte Soldatinnen und Soldaten,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin sehr froh, dass wir heute endlich wieder persönlich zum traditionellen Jahresempfang der Wehrbeauftragten zusammenkommen können. 
In dieser Zeit ist unser Austausch wichtiger denn je. 
In dieser Woche hat Putin wieder gezeigt, dass er entschlossen ist, den Krieg gegen das ukrainische Volk mit aller Brutalität zu führen. 

Ich verurteile die perfiden russischen Raketenangriffe auf ukrainische Städte auch im Namen des Deutschen Bundestages auf das Schärfste. 

Die Bombardierungen von Zivilisten und ziviler Infrastruktur sind ein eklatanter Bruch des humanitären Völkerrechts. 
Sie sind durch nichts zu rechtfertigen. 

Wir werden die Ukraine gemeinsam mit unseren Partnern noch entschlossener unterstützen. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

wir führen gerade grundlegende Debatten über unsere Sicherheit. 
Manche dieser Debatten hätten wir schon früher führen sollen. 

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Welt am 24. Februar verändert. 
Putin hat auch unsere europäische Friedensordnung angegriffen. 

Russland hat jeden Gedanken an eine gemeinsame Sicherheitsordnung aufgekündigt.  Putin hat klargemacht, dass er kein Partner sein will. 

Wir müssen nun das tun, was wir mit dem Ende des Kalten Krieges für überwunden gehalten haben: Wir müssen uns selbst und unsere Partner wieder vor Russland schützen. 

Es ist nun wieder die wichtigste Aufgabe der Bundeswehr, unsere Grenzen, unsere Bevölkerung und unsere Alliierten zu schützen. 

Viele Jahre wurde die Bundeswehr vor allem als Einsatzarmee betrachtet. 
Die NATO war für manche ein Relikt. 

Jetzt müssen wir unsere  Landes- und Bündnisverteidigung wieder stärken. 
Auch das neue Strategische Konzept der NATO zeugt von dieser Wende. 

Deutschland hat lange vom Schutz der  NATO profitiert. 
Nun ist es an uns zu zeigen, dass sich unsere Partner in der Allianz auch auf uns verlassen können.

Deutschland nimmt seine Beistandspflichten gegenüber seinen Verbündeten sehr ernst. 
Unser Einsatz zur Absicherung der Bündnis-Ostflanke zeigt das deutlich. 

Ich war im Mai in Warschau. 
Dort habe ich in allen Gesprächen gespürt, wie unmittelbar die russische Bedrohung in unseren Nachbarländern und im Baltikum empfunden wird. Unser Engagement in den östlichen NATO-Staaten, insbesondere in Rukla, wird dort sehr geschätzt. 
Sehr geehrte Damen und Herren, 

die Welt hat sich seit dem Kalten Krieg gewandelt. 
Wir leben in einer multipolaren und dynamischen Welt. 
Chinas Macht und die stärkere Ausrichtung der USA auf den indo-pazifischen Raum machen uns bewusst, dass wir Europäer mehr Verantwortung übernehmen müssen. 

Wir müssen unsere Sicherheit stärker in unsere eigenen Hände nehmen. 
Wir müssen unsere verteidigungspolitischen Strukturen und unsere Verteidigungsfähigkeiten auch innerhalb Europas stärken. 
Die Diskussion über Vergemeinschaftungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollten wir ohne Scheuklappen führen. 
Auf Deutschland als größtem Mitgliedstaat der EU ruhen besondere Erwartungen. 

Verteidigungsministerin Lambrecht, die heute leider nicht hier sein kann, führte vor einem Monat in ihrer Grundsatzrede aus, dass wir bereit sein müssen, eine Führungsrolle zu übernehmen. 

Aus meinen Gesprächen mit meinen mittel- und osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen weiß ich, dass man sich dort eine starke Rolle von uns erhofft. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

die neue Lage erfordert eine moderne Armee. 
Es war wichtig, dass der Deutsche Bundestag ein Sondervermögen zur Ausstattung der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro beschlossen hat. 

Dieser parteiübergreifende Konsens zur Grundgesetzänderung hat gezeigt, welche zentrale Rolle eine einsatzbereite Armee für unseren Staat spielt. 

Sicherheit und Verteidigung sind zentrale Aufgaben unseres Staates. 
Wir sind entschlossen, für unsere Sicherheit und die unserer Partner einzustehen. 

Wir müssen die Soldatinnen und Soldaten in die Lage versetzen, ihren Auftrag zu erfüllen. 
Schon lange haben sie unter veralteter und unzureichender Ausrüstung gelitten. 

Die Truppe hat aber auch unter diesen schwierigen Bedingungen hervorragende Arbeit geleistet. Auch das möchte ich hier betonen. 
Dennoch: Zu lange wurde an der Bundeswehr gespart. Das war ein Fehler. 

Der Zustand der Kasernen, die unzureichende Ausstattung selbst bei einfacher Ausrüstung wie Schutzwesten oder die nicht zeitgemäße Kommunikationsinfrastruktur zeigen:
Es sind bei weitem nicht nur die Waffensysteme, die wir auf den neuesten Stand bringen müssen. 
Eine angemessene Ausstattung ist essentiell für unseren Schutz und den unserer Bündnispartner. 

Das Sondervermögen markiert die Zeitenwende. Doch wir müssen langfristig und nachhaltig denken. Es reicht nicht, die Bundeswehr einmal hochmodern auszustatten. Sie muss dauerhaft ausreichend finanziert werden.  

Wichtig ist jetzt, dass die Ausstattung der Bundeswehr zügig in der Praxis umgesetzt wird. 
Deswegen haben wir im Deutschen Bundestag im Juli das Beschaffungsbeschleunigungsgesetz verabschiedet. 

Es lohnt sicher, auch weiter zu prüfen, wie die Beschaffung vereinfacht und beschleunigt werden kann. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

die sicherheits- und verteidigungspolitische Zeitenwende ist nicht nur eine Frage des Geldes oder der technischer Ausstattung. 
Die Zeitenwende muss auch in den Köpfen stattfinden. 

Das ist mir in aller Deutlichkeit bei meinem Aufenthalt in Kiew, Butscha und Irpin im Mai klargeworden. 

Vielen in der Bevölkerung – aber auch in der Politik, ich nehme mich persönlich nicht aus! – ist erst mit dem 24. Februar wieder bewusst geworden, wie  sich unsere Soldatinnen und Soldaten in den Dienst unseres Landes stellen.
Diese Frauen und Männer sind bereit, unser Land und unsere Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen. 

Im Ernstfall unter Einsatz ihres Lebens. 

Ich danke allen, die diesen fordernden und lebensgefährlichen Beruf wählen und uns schützen.

Unsere Soldatinnen und Soldaten verdienen besondere Wertschätzung.
Sehr geehrte Damen und Herren, 

als ich vor einigen Monaten im Einsatzführungskommando in Potsdam war, habe ich dort auch mit Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen gesprochen.
Für mich war dabei sehr deutlich zu spüren, wie wichtig diese Wertschätzung ist. 

Als Bundestagspräsidentin möchte ich mein Amt auch nutzen, um diese Anerkennung auszudrücken und zu stärken.
Daher habe ich mich sehr über die Postkartenaktion der Wehrbeauftragten am Tag der Ein- und Ausblicke im Bundestag gefreut – und selbst eine Karte geschrieben .
Die Tatsache, dass ich heute beim Empfang der Wehrbeauftragten zu Ihnen spreche, zeigt auch: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. 

Wir Abgeordneten tragen eine besondere Verantwortung. 
Wenn wir Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze schicken, müssen wir das gut begründen. 

Genau deshalb stimmen wir über diese Einsätze in der Regel namentlich ab, um ihnen ein großes Maß an Aufmerksamkeit zu geben. 

Wir müssen uns sehr gründlich fragen, mit welchem Ziel wir einen Auslandseinsatz beschließen.

Die Soldatinnen und Soldaten müssen wissen, was ihr Auftrag ist. 
Sie müssen wissen, wofür sie die Risiken eines Auslandseinsatzes auf sich nehmen. 

Welche Gefahren ein Auslandseinsatz mit sich bringen kann, sehen wir in Mali. 
Es ist mir wichtig, dass wir über diesen Einsatz eine ehrliche und konstruktive Diskussion führen. 
Wir müssen bald eine Entscheidung treffen, ob wir den Einsatz fortsetzen können. 

Dabei geht es insbesondere auch um die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten. Sie brauchen Klarheit, wie es weitergeht. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

wir haben im Deutschen Bundestag den Untersuchungsausschuss Afghanistan und die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ eingesetzt.
Nach 20 Jahren ist es wichtig, dass der Gesamteinsatz in Afghanistan von einer Kommission aus Abgeordneten und Expertinnen und Experten umfassend bewertet wird. 

Die Erkenntnisse aus Untersuchungsausschuss und Enquete-Kommission müssen praxisnah und zukunftsgerichtet aufbereitet werden. 

Ich bin mir sicher: Der Deutsche Bundestag wird die richtigen Lehren ziehen für die Gestaltung zukünftiger Auslandseinsätze. 

Auch wenn wir uns von nun an wieder auf die Landes- und Bündnisverteidigung als Kernaufgabe der Bundeswehr konzentrieren, wird unser internationales Engagement weiter erforderlich bleiben.

Sehr geehrte Damen und Herren, 

unsere Soldatinnen und Soldaten verteidigen nicht nur unsere Grenzen und unsere Sicherheit, sondern auch unsere Art zu leben. 
Sie stehen für die Werte des Grundgesetzes, 
für unsere Demokratie ein. 
Die Innere Führung ist für das Selbstverständnis unserer Bundeswehr und für ihre Verankerung in der Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. 

Die Wehrbeauftragte hat auf die Innere Führung immer ein wachsames Auge. 

Liebe Eva Högl, 

als „Anwältin der Soldaten“ leisten Sie eine wertvolle Arbeit. 
Mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bearbeiten Sie rund 4000 Vorgänge im Jahr. 
Sie setzen sich für eine angemessene Ausstattung und die verdiente Wertschätzung der Soldatinnen und Soldaten ein. 
Für diese engagierte Arbeit danke ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr!

Sie lenken den Blick innerhalb der Bundeswehr und auch in Parlament und Öffentlichkeit immer wieder auf die Soldatinnen und Soldaten. 

Die beste Ausrüstung genügt nicht. 
Wir brauchen Menschen, die bereit für diesen schwierigen Dienst sind, 
die qualifiziert und motiviert sind. 
Die ihren Auftrag verstehen und mittragen. 

Erst sie machen die Bundeswehr stark und einsatzbereit. 

Die Truppe soll in den nächsten Jahren um 20.000 Frauen und Männer aufgestockt werden. Schon jetzt sind zu viele Stellen unbesetzt. 
Um ihren Auftrag zu erfüllen, muss die Bundeswehr als Arbeitgeberin attraktiv sein. 
Für Frauen genauso wie für Männer.

Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie trifft immer noch stärker die Frauen. 
Bei allen Verbesserungen: Auch die Bundeswehr muss sich fragen, wie sie noch mehr Frauen gewinnen kann. 

Auch diese wichtige Frage zeigt übrigens, dass unsere Armee ein Spiegel unserer Gesellschaft und fest in ihr verankert ist. 

Die Zeitenwende müssen wir gemeinsam mit der Gesellschaft gestalten. 

In der Bevölkerung, im Bundestag und in der Regierung brauchen wir dafür eine breite Debatte über unsere strategische Neuausrichtung. 

Wir Politikerinnen und Politiker müssen auch weiter das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Rolle der Bundeswehr, über unsere Sicherheit in Europa suchen.

Sehr geehrte Damen und Herren, 

unsere Gesellschaft unterstützt die Zeitenwende in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und sie ist weiter außerordentlich solidarisch mit den Ukrainerinnen und Ukrainern. 

Auch jetzt, wo viele Menschen in unserem Land Sorge vor der Inflation, der Rezession und der Energiekrise haben. 

Es ist mir wichtig, die Solidarität unserer Bevölkerung mit der Ukraine hochzuhalten. 
Wir dürfen nicht zulassen, dass berechtigte Ängste in der Bevölkerung instrumentalisiert und gegen die Solidarität mit der Ukraine ausgespielt werden.

Wir müssen die Ukraine weiter nach Kräften unterstützen. 

Unsere Unterstützung für die Ukraine liegt in unserem eigenen Interesse. 
Es geht um unsere künftige Sicherheitsordnung in Europa. 
Und um die Grundlagen unserer internationalen Ordnung. 

Auch die Annexionen vom 30. September zeigen, wie perfide Putin alle Grundsätze der Staatengemeinschaft mit Füßen tritt.
Wir werden diese völkerrechtswidrigen Annexionen niemals akzeptieren. Putins Drohungen müssen wir ernstnehmen. 

Aber wir dürfen uns auch nicht einschüchtern lassen. Wir dürfen und werden nicht nachlassen in unserer Unterstützung für die Ukraine. 

Dazu gehört auch, dass wir uns weiter fragen, wie wir die Ukraine gerade jetzt bestmöglich unterstützen können.
Die entsetzlichen Angriffe dieser Woche zeigen, wie wichtig es ist, dass Deutschland mit der Lieferung des IRIS-T-Flugabwehrsystems dazu beiträgt, die ukrainische Luftverteidigung zu stärken. 

Als Bundestagspräsidentin ist mir wichtig, dass wir auch weiter eine ehrliche Diskussion führen, welche Waffensysteme wir liefern können und auf welche Weise.  

Die Ukrainerinnen und Ukrainer zeigen, wie viel man erreichen kann, wenn man weiß, wofür man kämpft. 

Sie zeigen, wie existentiell es ist, dass wir in unsere Sicherheit investieren. 

Sie zeigen, dass man seine Existenz und seine Freiheit im Ernstfall verteidigen können muss. 

Meine Damen und Herren, 

wir haben heute Abend und in der kommenden Zeit viel zu besprechen. 

Ich danke Ihnen für Ihr Engagement für unsere Sicherheit und Verteidigung. 

Und ich danke Eva Högl für die Einladung und freue mich auf unsere Gespräche heute Abend. 

Vorher dürfen wir uns aber noch auf die Kombo des Stabsmusikkorps freuen. 

Auch von mir ein ganz besonderer Dank an Oberfeldwebel Sebastian Henzl und den Musikerinnen und Musikern!