Parlament

Rede des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, bei der Gedenkfeier in der KZ Gedenkstätte Flossenbürg am 16. April 2005

Grausame Wahrheiten lassen sich nicht in schöne Worte fassen. Flossenbürg: Ort von Qual und Tod.

Wir gedenken heute - kurz vor der 60. Wiederkehr des Tages, an dem dieses Lager befreit wurde - der Menschen, die hier zu Tode gequält wurden, denen unermessliche Leiden zugefügt wurden. Und wir gedenken derjenigen, die, selbst wenn sie diese Hölle überlebt haben, an den Folgen zerbrochen sind.

Wir verbeugen uns in Scham und Trauer vor den Opfern,

vor ihrem Leid,
vor ihrer Verzweiflung,
vor ihrer Hoffnung,
vor ihrem Mut.

Indem wir der Opfer gedenken, versuchen wir wenigstens posthum ihnen etwas zurückzugeben, das ihnen vom deutschen Nationalsozialismus auf brutalste und fatale - also tödliche - Weise geraubt worden war: ihre Würde.

In Flossenbürg hielten deutsche Täter die Maschinerie des Todes mit unmenschlicher Perfektion in Gang. Aus allen Teilen Europas zwang der SS-Staat rund 100.000 Menschen in dieses Lager. 30.000 Menschen überlebten den Terror nicht; geschunden, entwürdigt, missbraucht für medizinische Experimente, ermordet.

Flossenbürg hatte in der Terminologie der Nationalsozialisten nicht den Status eines so genannten Vernichtungslagers. Gleichwohl sollten die Häftlinge durch unzureichende Versorgung und Ernährung, durch Schikanen und Quälerei zugrunde gerichtet werden - gemäß Himmlers Devise von „Vernichtung durch Arbeit“.

Aber es fanden auch hier gezielte und systematische Vernichtungsaktionen statt. Noch kurz vor Kriegsende wurde eine Gruppe so genannter Oppositioneller, Angehöriger der „Bekennenden Kirche“ und des militärischen Widerstandes aus Gestapo- und Wehrmachtsgefängnissen und anderen Lagern auf ausdrücklichen Befehl Hitlers nach Flossenbürg verlegt. Einziger Grund war ihre bereits langfristig geplante Ermordung. Nach der Einlieferung - um den 7. April 1945 - wurden die Männer in einem Standgerichtsverfahren zum Tode verurteilt und am Morgen des 9. April 1945 exekutiert: Dietrich Bonhoeffer, Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre, Hans Oster, Karl Sack, Theodor Strünck und Friedrich von Rabenau.

Wenn die SPD-Oberpfalz zu dieser Gedenkfeier eingeladen hat, so auch deshalb, um daran zu erinnern, dass Flossenbürg auch für die Sozialdemokratie ein Schreckensort war. Dass Kurt Schumacher hier zeitweise inhaftiert war, ist weithin bekannt. Aber mit und neben ihm wurden zahlreiche andere Sozialdemokraten - nicht nur aus Deutschland, sondern aus vielen europäischen Ländern, gequält: aus Österreich, aus Tschechien, aus Polen. Einige Namen möchte ich stellvertretend für die vielen Sozialdemokraten unter den Häftlingen von Flossenbürg nennen:

Leo Mistinger (Österreich), Max Schuierer, Johann Prölß, Johann Dietl, Alois Graßl, Josef Hölzl, Matthias Hölzl, Jakob Kraus, Felix Meindl, Georg Plötz, Johann Reitberger, Josef Tröger, Werner Jakobi (MdB von 1949 bis 1970).

Mit dem näher rückenden Kriegsende wurde Flossenbürg Auffanglager für Häftlingstransporte aus Außenlagern und anderen KZ: Auschwitz, Buchenwald. Die SS versuchte, die Spuren ihrer Mordtätigkeit zu verwischen. Kein Häftling sollte den Befreiern lebend in die Hände fallen.

Als die Front immer näher kam, wurde auch Flossenbürg geräumt. Diese - im euphemistischen Sprachgebrauch der SS als „Evakuierung“ bezeichnete - Phase gehört zu den grausamsten Kapiteln von Flossenbürg. Mit Evakuierung war keineswegs gemeint, Häftlinge aus einem von einer Katastrophe bedrohten Gebiet herauszuholen. Es war die „Evakuierung“ selbst, die für Häftlinge zur Katastrophe wurde - als letzter Teil der Vernichtungsaktion der SS. Einen zentralen Liquidationsbefehl gab es zwar nicht, aber die SS, die Lagerpolizei und die Kapos machten die letzte Phase zu einem der blutigsten Abschnitte der Lagergeschichte, an die sich die Überlebenden mit besonderem Grauen erinnern. Sie prägten dafür den Begriff der „Todesmärsche“.

Die Todesmärsche offenbaren die menschenverachtende Unterwerfungs- und Vernichtungsabsicht einer Schreckensherrschaft, selbst als diese an ihr Ende gekommen war. Noch in den allerletzten Tagen vor der Befreiung verloren tausende Häftlinge ihr Leben. Es gibt Schätzungen, nach denen ein Drittel aller KZ-Häftlinge, die im Januar 1945 registriert waren, auf den Todesmärschen ums Leben gekommen sind. Viele starben an Entkräftung, an den katastrophalen sanitären und hygienischen Zuständen. Die andere Art zu töten waren Willkürakte, Einzel- und Massenerschießungen.

Flossenbürg - Ort von Qual und Tod.

60 Jahre sind es her, dass die Soldaten der Alliierten zu Rettern, zu Befreiern der Überlebenden wurden.

Nur die Überlebenden selbst wissen, wie groß die Qualen waren. Nur sie verbinden mit den Orten des Grauens ganz konkrete Geschehnisse, bestimmte Personen. Sie erinnern sich an Mitgefangene und Tote, deren Namen und Schicksal sie kennen.

Wir anderen sind auf Übermittlung angewiesen. Noch legen die überlebenden Opfer Zeugnis ab. Noch können sie uns mit Schrecken, Qual, Leiden und Sterben konfrontieren. Zugleich merken wir aber auch, wie diese Erinnerungen der Kriegsgeneration unwiederbringlich in die Geschichte entfliehen.

Elie Wiesel hat über den zeitlichen Abstand zu den damaligen Ereignissen geschrieben:

„Die Gefahr des Vergessens wächst. Es bleibt nicht mehr viel Zeit; die Augenzeugen werden bald nicht mehr da sein - die Mörder und unglücklicherweise auch die Opfer.“

Wir spüren, dass wir uns in einem Übergang befinden, in einer Veränderung der Erinnerung. Niemand vermag zu sagen, wie die Menschen die Erinnerung in weiteren 60 Jahren pflegen werden. Sicher ist aber, dass es eine Erinnerung an die nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen nur dann geben wird, wenn wir sie weitergeben.

Im Augenblick ist meine Sorge darum nicht sehr groß. Die Gedenkstätten, die ehemaligen Konzentrationslager werden erhalten und - wie hier in Flossenbürg - neu konzipiert, das Holocaust-Denkmal in Berlin wird im kommenden Monat der Öffentlichkeit übergeben. Der Nationalsozialismus und seine Verbrechen sind Thema in Büchern und Filmen, seien sie literarischer oder wissenschaftlicher Art.

Aber das richtige Maß, die angemessene Form für die Erinnerung zu finden, verlangt stets nach einer Prüfung in zwei Richtungen: Was ist dem entsetzlichen Geschehen angemessen? Und was ist für Gegenwart und Zukunft richtig? Ein Zuviel kann ebenso problematisch sein wie erst recht ein Zuwenig. Thomas Mann fragte: „Darf man nicht wissen wollen?“ und hat nach 1945 mit einem entschiedenen „Nein“ geantwortet. Dieses Nein gilt bis heute für alle Demokraten. Daran müssen wir festhalten. Verpflichtende Erinnerung, Eingedenken der Leiden der Opfer, Übernahme der geschichtlichen Verantwortung - das war das moralische Fundament, das gehörte zur raison d'etre der neu begründeten deutschen Demokratie und das gilt auch für heute und morgen.

Eine kollektive Schuld gibt es nicht, gewiss. Aber das heißt nicht, dass die Katastrophe von 1933 bis 1945 im kollektiven Gedächtnis der Deutschen je getilgt werden dürfte. In ihm muss vielmehr unser fester Wille aufbewahrt sein, nie wieder eine solche schreckliche Diktatur, in welcher Form auch immer, zuzulassen. Es ist deswegen Aufgabe der jetzigen, wie auch der künftigen Generationen, durch die Akzeptanz politischer Haftung Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen und das Bewusstsein für die von einem deutschen Staat begangene Unmenschlichkeit wachzuhalten. Die Vergegenwärtigung der Vergangenheit darf deswegen keine lästige Trauer sein und schon gar nicht in formeller Ritualisierung erstarren, auch wenn Erinnerung nicht gänzlich ohne Riten auskommt.

Man kann es - auch mit Blick auf die massiven Stimmengewinne rechtsextremer Parteien in einigen Ländern - nicht genug betonen: Unsere Gesellschaft ist angewiesen auf die „nachwachsenden“ Demokraten. Auf neue Generationen, die sich mit Geschichte befassen und eigene Wege finden, aus dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen zu lernen - die also demokratische, freiheitliche, humanitäre, humanistische Konsequenzen ziehen.

Nach 60 Jahren Freiheit in Westdeutschland und 15 Jahren durchaus nicht unbeschwerlicher Freiheit in Ostdeutschland machen mir zwei Beobachtungen Sorgen, die gleichermaßen eine Unterschätzung des Wertes der Freiheit nach sich ziehen können: im Westen geht die Erfahrung verloren, dass Freiheit prekär, immer gefährdet ist. Sie wird irrtümlich für gegeben und selbstverständlich gehalten. Im Osten verführen unmittelbare, oft existentielle Sorgen der noch immer nicht abgeschlossenen Transformation dazu, diese Sorgen für schwerwiegender zu halten als es der Gewinn der Freiheit ist.

Historische Aufklärung also ist notwendig, sie soll und kann politisches Bewusstsein schaffen. Dass sie auch in Zukunft zur Trauer um die Toten, zur Empathie mit den Opfern führt, dessen können wir uns nicht mehr so sicher sein. Zur Dialektik der Aufklärung gehört eben auch, dass sie als einseitige, gar bloß rationale ihr Gegenteil bewirken kann, nämlich die Kälte der Verdrängung. Insofern darf gerade in der Annäherung an die nationalsozialistischen Verbrechen nicht versäumt werden, das Entsetzliche so zu vermitteln, dass es auch mit dem Herzen erfahren und begriffen wird. Insofern ist Gedenken immer mehr als aufgeklärtes Wissen.

Zugleich gilt es, jungen Menschen historisches Wissen und emotionale Betroffenheit so zu vermitteln, dass sie eine Beziehung zur Gegenwart, also gegenwärtige moralische Sensibilität und politische Verantwortung ermöglichen. Betroffenheit, die bloß ratlos macht, Wissen, das folgenlos bleibt - solcherart Ergebnisse von Erinnerungsarbeit sind nicht menschengemäß und gesellschaftlich wirkungslos womöglich aber sogar kontraproduktiv. Die Gefährdungen der Demokratie, die Mechanismen von Stigmatisierung und Ausgrenzung, die Ursachen, Erscheinungsformen und Wirkungen von Intoleranz und Rassenwahn zu begreifen und mit diesem Wissen und Empfinden die Gegenwart zu beobachten und in ihr zu handeln, darum geht es.

Was damals Juden, Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle, politische Gegner waren, das können heute andere Personen und Gruppen sein, die durch Stigmatisierungsprozesse ausgegrenzt werden und das nicht abstrakt, sondern durchaus real. Es beginnt im Kleinen, im Alltäglichen, zum Beispiel wenn sich Menschen von Ausländern als Nachbarn „gestört“ fühlen. Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer beschreibt in seiner Langfristuntersuchung „Deutsche Zustände“, dass sich in Deutschland eine Mentalität ausbreite, Menschen zu verachten, die schwächer sind, die am Rande stehen, die einer vermeintlichen Normalität nicht entsprechen. Wilhelm Heitmeyer hat dafür einen erschreckend entlarvenden Begriff geprägt: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.“

Jede Generation hat das Recht und die Pflicht, ihre eigene Form der Erinnerung und des Gedenkens zu entwickeln. Sie muss sich dem Geschehenen auf ihre Art und Weise stellen, ihren eigenen Zugang suchen und finden. Nur so halten wir unser kollektives Gedächtnis in einer Weise lebendig, die für Jüngere und Ältere, für Angehörige der Erlebnisgeneration wie ihre Kinder und Kindeskinder einen gemeinsamen Horizont des Verstehens und zugleich eine Basis des Gesprächs über das Geschehene bietet. Ich halte es im Übrigen für ein Zeichen der Stärke unserer parlamentarischen Demokratie, dass wir über diese Fragen immer wieder intensiv debattieren. Es ist ein Stück Selbstaufklärung der Gesellschaft, wenn sie öffentlich darüber diskutiert, wie sie mit der Vergangenheit, mit der Erinnerung an die Zeiten der Inhumanität und Menschenverachtung, der Diskriminierung und des Genozids umgehen kann und will. Gerade deswegen war auch die Kontroverse um das Holocaust-Denkmal in Berlin von solchem Gewicht und deshalb gehörte diese Debatte auch unbedingt ins Parlament.

Die Entscheidung für das Denkmal in Berlin war eine der letzten, die der Bundestag noch in Bonn fasste. Das geeinte Deutschland bekennt sich zu seiner Geschichte - mitten im Parlaments- und Regierungsviertel. Die entsetzlichste Untat, die Deutsche begangen haben, ist von Berlin aus geplant worden. Deshalb gehört das Gedenken daran ins Zentrum der alten und neuen Hauptstadt.

Ich teile nicht die Sorge, mit der Errichtung des Holocaust-Denkmals manifestierten sich Tendenzen, das Gedenken mehr und mehr zu symbolisieren und zu ritualisieren. Es ist weder beabsichtigt, noch zu befürchten, dass ein symbolischer Ort wie das Holocaust-Denkmal die authentischen Orte ersetzen oder überflüssig machen könnte.

Im Gegenteil: In unserer Erinnerungskultur haben die Gedenkstätten wegen ihrer unüberbietbaren Authentizität eine ganz wichtige Aufgabe zu erfüllen. Das dichte Netz der Gedenkstätten macht zudem auf irritierende Weise deutlich, wie benachbart der Schrecken exekutiert wurde. Deutschland hatte den europäischen Kontinent mit einem System von Lagern überzogen. Wo immer wir zuhause sind - wir leben stets in räumlicher Nähe zu einem ehemaligen Lager oder Nebenlager. Schon diese Nachbarschaft des Verbrechens ist eine wichtige Erfahrung, insbesondere für Jugendliche. Für die Breite der Jugendbildungsarbeit, aber auch in ihren humanitären und wissenschaftlichen Funktionen, spielen die Gedenkstätten eine ganz unverzichtbare Rolle. Gerade auch hier in Flossenbürg, das zwar als Memoriallandschaft eine der ältesten Einrichtungen in Deutschland ist (seit 1946), aber wo die eigentliche Gedenkstättenarbeit erst 1996 richtig begonnen hat.

So sehr ich mich für die Errichtung des Holocaust-Denkmals eingesetzt habe, und so froh ich bin, dass wir dieses Denkmal in wenigen Wochen einweihen, so nachdrücklich war und bin ich für den Erhalt und die Pflege der Gedenkstätten an authentischen Orten und für jede nur mögliche Unterstützung ihrer wichtigen Arbeit - übrigens gerade auch durch den Bund. Auch deshalb bin ich nach Flossenbürg gekommen.

Beide Plätze - authentische wie symbolische Orte - haben ihre Berechtigung und müssen auf ihre besondere Weise zu einem politischen Selbstverständnis beitragen, „... in das die Tat ... und damit die Erschütterung über das Unsagbare, das den Opfern angetan worden ist, als persistierende Beunruhigung und Mahnung eingebrannt ist“, wie es Jürgen Habermas ausgedrückt hat. Diese Orte müssen zu einem politischen Selbstverständnis beitragen, das das Bewusstsein von der Kostbarkeit und Zerstörbarkeit der Demokratie wach hält.

Wo immer erinnerndes Gedenken ermöglicht wird: Es geht nicht um Inszenierungen für Gefühle. Es geht nicht um Trauer, die in ihrer schlichten Hilflosigkeit in Rührung mündet - und sich dann darin erschöpft, noch weniger um formale Rituale, die abstumpfen und das Gedenken an die Opfer zur Selbstbestätigung missbrauchen. Es geht darum, zu einer emotionalen und intellektuellen Erinnerungsarbeit herauszufordern und diese durch historische Aufklärung zu ermöglichen und zu unterstützen.

Bezogen auf das Holocaust-Denkmal gab es - auch von mir - Zweifel, ob die Formensprache eines reinen Denkmals dafür ausreicht. Nicht, weil es Zweifel an der Ausdruckskraft der Kunst und den Ausdrucksmöglichkeiten von Kunst generell gäbe. Wenn es ein Medium gibt, das uns aufrütteln, uns öffnen und das Unfassbare sinnlich erahnen lassen kann, dann ist es sicher die Kunst. In der Literatur, in der Musik, der Malerei, gibt es dafür viele erschütternde Beispiele. Nein, die Sorge war, dass man ohne Unterstützung durch ein historisch-bestimmtes Erinnern der sinnlichen Wucht ausweicht, verzagen und sich ihr verschließen könnte, damit das kleine Selbst nicht verletzt werde. Ein Denkmal, das weh tut, braucht die kommunikative Hinführung und Auseinandersetzungsmöglichkeit. Der „Ort der Information“, der das Holocaust-Denkmal ergänzt, wird dies - davon bin ich überzeugt - auffangen.

Bezogen auf die Gedenkstätten an den authentischen Orten stellen sich dieselben Fragen, um mit Salomon Korn zu sprechen: „Auch an authentischen Orten sprechen die Steine nicht von selbst, sondern müssen erst zum Sprechen gebracht werden“. Das vermag eine gut konzipierte Ausstellung über die Lagergeschichte zu unterstützen - so wie sie derzeit in Flossenbürg in Arbeit ist und 2007 eröffnet werden soll. Aber mehr noch sind es die Menschen, die Mitarbeiter der Gedenkstätten, die bei Führungen, bei den Ausstellungen, in der Jugendarbeit sich um genau dieses Problem kümmern - dass sie helfen zu hören, was die Steine erzählen. Es gehört zu ihrer alltäglichen professionellen Erfahrung, historisch-bestimmtes Erinnern und Gedenken zu ermöglichen und in eine sinnvolle Balance zu bringen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Arbeit für unsere Erinnerungs- und Gedenkkultur - auch und gerade mit Blick auf die nachgeborenen Generationen - eminente Bedeutung hat.

Ich bin übrigens optimistisch, was die nachwachsenden Generationen angeht. Die Besucherzahlen dieser Gedenkstätte belegen das: Allein im vergangenen Jahr kamen - trotz geographisch peripherer Lage - 130.000 Besucher nach Flossenbürg, davon waren zwei Drittel junge Leute. Auch wenn die nach uns Kommenden ihre eigenen Formen des Gedenkens entwickeln werden, die womöglich unseren Kategorien nicht immer entsprechen: Haben wir Grund zu der Annahme, dass sie weniger verletzbar wären, weniger Gefühle hätten als wir oder dass wir fähiger wären für Trauer und Empathie? Authentische Erfahrungen haben nur die, die der Hölle entronnen sind. Alle anderen sind auf Vermittlung angewiesen, auf Imagination und auf unsere Kraft und Bereitschaft, dass wir uns auf den Schmerz einlassen und lernen, ihn zu ertragen.

Hannah Arendt sagte „Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen, was sich daraus - für heute - ergibt.“

Das klingt bescheiden, aber dahinter steht ein hoher Anspruch: Nur Menschen, die sich erinnern, wie es gewesen ist, und daraus entschieden Konsequenzen ziehen, werden ein Bewusstsein von der Fragilität unserer Zivilisation entwickeln, werden - vielleicht - einen neuen Ausbruch der Barbarei verhindern. Wenn in einer Gesellschaft Frieden und Freiheit herrschen, dann ist das kein Zufall, sondern es ist von Menschen gemacht. Daran mitzuarbeiten, dass sich nie wiederholt, was geschehen ist, bleibt immerwährender Auftrag an uns - und an folgende Generationen.