Industrie: Ministerien hätten uns fragen sollen
Zeit:
Mittwoch, 4. Dezember 2024,
10.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Für einen Weiterbetrieb der verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke über das Jahresende 2022 hinaus hätten rechtzeitig Brennelemente zur Verfügung gestanden. Das bekundete Martin Pache, Geschäftsführer der Westinghouse Electric Germany GmbH, im 2. Untersuchungsausschuss am Mittwoch, 4. Dezember 2024, dessen Zeugenbefragung Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) leitete.
Pache machte klar, dass die beteiligten Ministerien entgegen einem Pressebericht keineswegs bei seinem Unternehmen nachgefragt hätten, ob die übliche Fertigungsdauer von Brennelementen zwischen Vertrag und Lieferung von zwölf bis 18 Monaten hätte verkürzt werden können. „Man hätte uns fragen sollen“, meinte er in Richtung der Ministerien für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sowie für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Es ging um die Tage unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Wenn im März ein AKW-Weiterbetrieb tatsächlich ins Auge gefasst worden wäre, hätte Westinghouse die Lieferung von Brennelementen bis etwa zum Sommer 2023 garantieren können, meinte Pache. Sein Unternehmen habe am 3. März von seinem Kunden PreußenElektra (AKW Isar 2) den Hinweis erhalten, es gebe Signale aus der Politik, dass eben dieses Kraftwerk, dazu Neckarwestheim II und Emsland, über das bisher vom Gesetz festgesetzte Datum 31.12. 2022 weiterlaufen könnten. Doch schon am 8. März sei der Hinweis eingegangen, dass es dazu nicht kommen werde.
Brennelemente-Lieferung binnen sieben Monaten
Einen Tag zuvor war denn auch von den beiden beteiligten Ministerien jener „Prüfvermerk“ verfasst worden, der Dreh- und Angelpunkt bei der Arbeit im Untersuchungsausschuss ist. In ihm wird ein Weiterbetrieb unter anderem aus Gründen der nationalen Sicherheit abgelehnt. Im August hat es dann laut Pache erneut Hinweise auf eine mögliche Laufzeitverlängerung gegeben. Damals habe Westinghouse deutlich gemacht, wenn es zur Einigung mit allen Zulieferern komme, könne eine Brennelemente-Lieferung binnen sechs oder sieben Monaten möglich sein. Er bestätigte auf Nachfrage, dass eine Beschleunigung der Produktion die Sicherheit in keiner Weise beeinträchtigt hätte.
Pache versicherte, dass nach dem Kriegsbeginn Lieferengpässe oder Uran-Abhängigkeiten von Russland nicht gedroht hätten. Unter anderem Westinghouse stelle auch Brennelemente für Reaktoren russischer Bauart, wie sie etwa in der Slowakei oder Tschechien gebraucht werden, her. Und ausreichende Kapazitäten für Uranlieferungen gebe es auch außerhalb Russlands.
Rolle der Reaktorsicherheitskommission
Vor der Pache-Vernehmung suchte der Ausschuss Hintergründe für die Haltung der Ministerien auszuloten. Als Zeuge wurde Christoph Pistner vernommen. Er arbeitet als Wissenschaftler am Öko-Institut und wurde von Umweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) zum stellvertretenden Vorsitzenden der Reaktorsicherheitskommission ernannt. Er hatte eingangs seiner Zeugenvernehmung unterstrichen, dass er gegen die Nutzung der Kernkraft ist. Er begründete dies mit bereits eingetretenen großen Katastrophen, der noch offenen Endlagerfrage und der Möglichkeit, dass zivile Anlagen auch militärisch genutzt werden könnten.
Pistner erklärte, die Reaktorsicherheitskommission sei vor dem Prüfvermerk vom 7. März nicht kontaktiert worden. Das sei auch nicht nötig gewesen, weil es im BMUV genügend Sachverstand gebe. Seiner Überzeugung nach hätten Risiken für den Weiterbetrieb nicht durch möglichen Nutzen für die Wirtschaft wettgemacht werden können.
Stresstests unterschiedlich bewertet
Stresstests waren ein beherrschendes Thema, als der 2. Untersuchungsausschuss Zeugen aus der Nuklearwirtschaft zum Umgang der Regierung mit den drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerken nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 27. Februar 2022 befragte. Mehrere solcher Tests mit immer schärferen Parametern hätten die Sicherheits-Bewertungen des BMUV und des BMWK bestimmt, erklärte Tim Meyerjürgens, Vorstandsmitglied und Chief Operating Officer von TenneT TSO, einem der vier deutschen Netzbetreiber. Sie waren beteiligt, als die Szenarien durchgespielt wurden.
Um den schon vor dem russischen Angriff begonnenen Anstieg der Gaspreise sei es gegangen, um einen ungewöhnlich trockenen Frühsommer mit Transportbehinderungen für die Kohlekraftwerke und um die im europäischen Netzverbund spürbaren Auswirkungen der zeitweisen Abschaltung französischer Kernkraftwerke. In diesem Zusammenhang sei auch durchgespielt worden, die Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim II und Emsland weiterzubetreiben, obwohl sie eigentlich per Gesetz zum Jahresende hätten stillgelegt werden müssen.
Rolle von Bundesminister Robert Habeck
„Wir haben die Parameter in die Höhe gespielt“, erinnerte sich Meyerjürgens bei der Sitzung. Eine Möglichkeit: Abschalten, aber als Reserve vorhalten. Eine andere: Streckbetrieb, also Verlängerung der Laufzeit. Darauf habe er gesetzt, sagte Meyerjürgens. Ein „durchaus hilfreicher Aspekt“ sei das gewesen. Für ihn wäre der Weiterbetrieb „ein überschaubarer Beitrag, aber ein Beitrag“ gewesen. Allerdings veröffentlichten die beiden Ministerien am 7. März 2022 einen gemeinsamen „Prüfvermerk“, in dem unter anderem aus Gründen der nationalen Sicherheit an der Abschaltung festgehalten wird.
Im Ausschuss ging es auch darum, welche Rolle Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) dabei gespielt haben könnte. Bei der Sitzung wurde eine angebliche Vorgabe von ihm an die mit den Szenarien ebenfalls befasste Bundesnetzagentur erwähnt: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, der Grüne Habeck habe beim Grünen Klaus Müller, dem Präsidenten der Agentur, ein Wunschpapier bestellt.
Darauf ließ sich bei ihrer Zeugenvernehmung eine Mitarbeiterin Müllers im Referat „Versorgungssicherheit Strom“ nicht ein. Nach ihrer Wahrnehmung habe das Ergebnis der Lageanalysen zuvor nicht festgestanden. Die Auswirkungen der Abschaltungen seien für Deutschland überschaubar gewesen. Für den Schritt habe es „keine eindeutige Notwendigkeit“ gegeben.
Zeuge verweist auf deutschen Sonderweg
Dass er zu der Thematik erst gar nicht befragt wurde, darüber hatte sich Jörg Harren, Geschäftsführer der Urenco Deutschland GmbH, gewundert, bekundete er als Zeuge. Es seien offenbar von den Ministerien sehr wenig Fragen an die Nuklearindustrie gestellt worden. Er hätte sonst darstellen können, dass sein Unternehmen mit entsprechendem Verfahren kurzfristig mehr angereichertes Uran für Brennstäbe hätte liefern können. Dabei hätten die drei letzten deutschen Kernkraftwerke für sein Unternehmen ohnehin nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
Er verwies auf den „deutschen Sonderweg“ bei der Nutzung der Kernenergie und sprach von einem „ideologisch geprägten Prozess“. Konfrontiert mit der Behauptung, die weltweiten Uranvorräte reichten nur noch 20 Jahre, meinte er: „Quatsch mit Soße.“ Uran komme viel häufiger vor als etwa Gold. Es gebe auch keine Abhängigkeit von Russland, das 20 Prozent dieses Metalls liefere.
Auftrag des Untersuchungsausschusses
Der 2. Untersuchungsausschuss wurde am 4. Juli 2024 vom Bundestag eingesetzt und befasst sich mit den staatlichen Entscheidungsprozessen zur Anpassung der nationalen Energieversorgung an die durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine veränderte Versorgungslage.
Der Ausschuss hat den Auftrag, sich ein Gesamtbild von den Entscheidungsprozessen sowie deren Kommunikation an den Bundestag und an die Öffentlichkeit zu verschaffen. Dies gilt vor allem für die Entscheidungen über einen möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Es soll untersucht werden, welche Informationen den Entscheidungen zugrunde gelegt wurden, welche nationalen und internationalen Stellen in die Entscheidungsprozesse einbezogen wurden und ob die Einbeziehung weiterer Informationen oder Stellen sachgerecht gewesen wäre. (fla/04.12.2024)