Nach der Finanzkrise auf dem Weg zu neuer Normalität mit Griechenland
Zukunftsthemen – die Energiewende und der Jugendaustausch – standen im Mittelpunkt der Gespräche der Deutsch-Griechischen Parlamentariergruppe im Sommer 2024 in Athen, Westmakedonien und Thessaloniki. Atmosphärisch wirken die Belastungen der Finanzkrise noch nach, doch es entspreche dem Willen beider Seiten, jetzt nach vorne zu schauen, erklärt Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzende der Deutsch-Griechischen Parlamentariergruppe.
Streit über den Weg aus der Finanzkrise
Geschichtsträchtig, mit seinen antiken Welterbe-Stätten, ein Klassiker unter den Urlaubsländern, ist Griechenland als südliches EU-Mitglied am und im Mittelmeer, zwischen dem Balkan, der Türkei, dem Nahen Osten und Afrika ein erstes Ziel vieler Flüchtlinge. In die Schlagzeilen gerät das Land auch immer wieder durch schwere Waldbrände.
Mit Deutschland verbinden es enge Wirtschaftsbeziehungen sowie die wohl größte griechische Auslandsgemeinschaft. Für eine schwere Belastung der deutsch-griechischen Beziehungen sorgte der Streit über den richtigen Weg aus der Finanzkrise ab 2008 und die von Deutschland und der EU erzwungene Sparpolitik.
Reparatur eines belasteten Verhältnisses
Das durch die Finanzkrise in Mitleidenschaft gezogene Verhältnis zu reparieren, die Beziehungen zu vertiefen und sich gemeinsam Zukunftsaufgaben zuzuwenden, dem hat sich die Deutsch-Griechische Parlamentariergruppe verschrieben und dem sollte auch die Delegationsreise Ende Juni 2024 dienen.
Es sei gut, dass man aus Griechenland eine Zeitlang keine schlechten Nachrichten gehört habe, sagt Badum, keine Krisenthemen, wie das im Zuge der Finanzkrise der Fall gewesen sei. Aber auch angesichts der Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine stünden Griechenland und die deutsch-griechischen Beziehungen derzeit nicht im Fokus der Medien und würden von den Regierungen nicht auf höchster Ebene angesiedelt.
Als Parlamentariergruppe fühle man sich verpflichtet, auch in einer Zeit, in der Griechenland eher im Windschatten der Weltpolitik segele, die bilateralen parlamentarischen Beziehungen zu dem EU-Partner im Süden zu pflegen, verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen und sich Zukunftsfragen wie einer klimafreundlichen Energieversorgung oder dem Jugendaustausch zuzuwenden.
„Gute Gespräche“
Nach der Parlamentswahl in Griechenland ein Jahr zuvor, im Juni 2023, hatte sich in Athen als Pendant zu der deutschen Gruppe eine Griechisch-Deutsche Freundschaftsgruppe neu gebildet. Neben der Freundschaftsgruppe kam die Delegation aus dem Deutschen Bundestag mit dem griechischen Parlamentspräsidenten Konstantinos Tassoulas, aber auch mit Regierungsvertretern wie dem Vize-Innenminister Stathis Konstantinidis, Vertretern der Energiewirtschaft und des Deutsch-Griechischen Jugendwerkes zusammen.
Von „guten Gesprächen“ der Parlamentarier berichtet die grüne Außen- und Energiepolitikerin und fügt hinzu: „Die Beziehungen sind wieder gut, könnten aber besser sein.“ Die Finanzkrise habe Spuren hinterlassen. Aber die Zeit der Beleidigungen, der Schuldzuweisungen, der Emotionen sei zumindest auf politischer Ebene vorbei. Man rede sachorientiert über Politikfelder, suche nach Bereichen der Zusammenarbeit, wolle voneinander lernen. In dieser von gegenseitigem Respekt getragenen Atmosphäre lasse man aber auch erkennen, wo man anderer Meinung sei.
Differenzen gebe es etwa beim Thema Migration. Griechenland reklamiere für sich als EU-Land mit Außengrenze, mehr als die Mitglieder, die im Inneren der EU liegen, mit der Grenzsicherung und der Migrationssteuerung eine gemeinsame Aufgabe zu erledigen und fordere dabei eine gerechte Lastenteilung.
Erfahrungsaustausch zur Energiewende
Voneinander lernen können Deutschland und Griechenland beim Thema Energiewende, ist Badum überzeugt. Und sich in diesem Bereich unterstützen. So plane Griechenland den Ausstieg aus der Kohleförderung als Energieträger sogar schon einige Jahre früher als Deutschland. In Zukunft sei zudem vorstellbar, dass Solarstrom aus dem sonnenreichen Mittelmeerland nach Nordeuropa fließt, während sich Griechenland beim Thema Windkraft noch etwas von Deutschland abgucken könne. „Bei der Windenergie ebenso wie bei der Gesellschaftsform der ‚Bürgerenergie‘ können wir mit unseren Erfahrungen helfen.“
Um sich vom Umbau der griechischen Energiewirtschaft ein Bild zu machen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei der Energiewende auszuloten, besuchte die deutsche Delegation in der Region Westmakedonien, die bis vor Kurzem noch ein Zentrum des Kohlebergbaus gewesen ist, die staatliche Elektrizitätsgesellschaft und besichtigte eine Windkraft- und einer Fotovoltaikanlage.
Vize-Innenminister Stathis Konstantinidis informierte die deutschen Abgeordneten über die aktuelle Energiepolitik der griechischen Regierung. Während das Land 2004 noch über 70 Prozent der Elektrizität aus der Kohleverstromung gewonnen habe, liege dieser Anteil heute bei nur noch fünf Prozent, erzählt Badum. Auf der Hälfte der ehemaligen Tagebauflächen soll nun Solarstrom erzeugt werden.
Vernetzung auf europäischer Ebene
Genau wie im Rheinland oder in der Lausitz habe dabei auch die westmakedonische Region mit den Folgen des Strukturwandels zu kämpfen. „Wie überall tut sich eine soziale Dimension auf, wenn der bislang dominierende Wirtschaftszweig transformiert wird.“ Während man zwar auch in Deutschland bereits erhebliche Schritte gemacht habe, treibe auch Griechenland, zurzeit geführt von einer konservativen Regierung, den Ausbau erneuerbarer Energieträger und den Kohleausstieg „sehr ehrgeizig voran“, so Badum. Auch deutsche Unternehmen wie RWE seien beteiligt. Die Parlamentariergruppe ermutige weitere Anknüpfungspunkte. Beide Seiten würden profitieren.
Man habe mit der jüngsten Reise vor allem die europäische Zusammenarbeit bei der Energiewende unterstreichen wollen, betont Badum, die auch Vorsitzende des Unterausschusses Internationale Klima- und Energiepolitik des Auswärtigen Ausschusses ist. Es handele sich ja nicht um eine deutsche, sondern um „eine europäische Energiewende. Die gestalten wir gemeinsam. Sie hört nicht an den Grenzen auf, es gibt Stromaustausch zwischen den Ländern“. Durch den Austausch von Erfahrungen entwickele man die europäische Vernetzung weiter: „Es gibt einen gemeinsamen Plan mit dem Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden. Und daher suchen wir gemeinsam nach den besten Wegen und nach Zusammenarbeit.“
„Wir brauchen mehr persönliche Begegnungen“
Getreu dem Motto der Reise, Zukunftsthemen zu behandeln, unterstrich die Delegation mit ihrem Besuch beim Deutsch-Griechischen Jugendwerk in Thessaloniki die Bedeutung des Jugendaustauschs zwischen beiden Ländern. „Die jungen Leute sollen mehr voneinander erfahren. Dazu brauchen wir mehr persönliche Begegnungen zwischen Griechen und Deutschen“, mahnt Badum nach dem Treffen mit dem geschäftsführenden Leiter des Jugendwerks, Gerasimos Bekas. Im Gegensatz zum großen Vorbild, dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, habe das Deutsch-Griechische Jugendwerk bei der Zahl der Kooperationen noch nicht die Breite.
Zwar habe es seit seiner Gründung vor drei Jahren rund 10.000 Begegnungen gegeben. Aber nach den Startproblemen, Meinungsverschiedenheiten um die Finanzierung auf griechischer Seite, „war unsere Botschaft: Jetzt muss es losgehen“, berichtet die deutsche Politikerin, die selbst einst als Erasmus-Studentin in Griechenland erlebt hat, wie man erst durch einen persönlichen Bezug ein Land versteht.
Badum: „Ich habe mich mit Land und Leuten, dem modernen Griechenland, aber auch mit den historischen und politischen Fragen und Verantwortlichkeiten beschäftigt, die wir Deutschen aufgrund der Besatzung im Zweiten Weltkrieg in Griechenland haben. Die junge Generation braucht dieses Wissen voneinander, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten.“
Badum für deutsch-griechischen Freundschaftsvertrag
Nach den politischen Spannungen und dem tiefen Zerwürfnis beider Länder in der Finanzkrise, das bis in die griechische Gesellschaft hineingewirkt habe, stabilisieren sich die zwischenstaatlichen bilateralen Beziehungen erst langsam wieder. Die Verletzungen, die Wunden, heilen nur langsam, so die Griechenland-Kennerin. „Es war eine düstere Zeit. Man spottete übereinander. Deutsche Touristen waren keine gern gesehenen Gäste.“ Auf politischer Ebene taste man sich nun langsam vor, hin zu einer von beiden Seiten gewünschten, neuen Normalität. „Wir haben jetzt eine gute Basis. Aber es könnte besser sein.“
Die drängenden und die Alltagsthemen, die eine Zusammenarbeit erforderten, dazu die Rückkehr wirtschaftlicher Stabilität zeigten, „dass Nord- und Südeuropa zusammenarbeiten können und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen sollten“. Deutsche Unternehmen zählen weiterhin zu den wichtigsten ausländischen Investoren in Griechenland. Es gibt eine große deutsch-griechische Community, familiäre Verbindungen. Sich in Zukunftsfragen auszutauschen, um globale Herausforderungen zu meistern, darin liege „der Hauptmehrwert der Beziehungen“. Genauso gehe es aber auch darum, wie man miteinander umgehe.
Trotz des unterschiedlichen wirtschaftlichen Gewichts beider Länder: Deutschland sollte Griechenland mit Solidarität gegenübertreten und der griechischen Seite das Gefühl geben, dass man auf Augenhöhe miteinander rede. Nach dem Zerwürfnis infolge der Finanzkrise sei es schwierig, einfach wieder zum Alltag überzugehen. Man müsse jetzt wieder „nach vorne schauen, ohne die Verletzungen der Vergangenheit zu vergessen“ und weiter an deren Heilung arbeiten.
„In diesem Spannungsbogen bewegen sich die Beziehungen“, erklärt Badum. Um dennoch voranzukommen, müsse man darüber nachdenken, „offiziell ein neues Kapitel“ in den Beziehungen aufzuschlagen, findet die Politikerin aus Bamberg, „mit mehr positiven Symbolen“. Sie schlägt vor: „Wir brauchen vielleicht einen neuen Freundschaftsvertrag.“
Krisenfeste Zusammenarbeit in der Altertumsforschung
Paradebeispiel für eine krisenfeste bilaterale Zusammenarbeit sei die bereits im 19. Jahrhundert grundgelegte Kooperation Griechenlands mit dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI). Lediglich deutsche und US-amerikanische Forscher würden an den Grabungen an den historischen Welterbe-Stätten beteiligt, weiß Badum.
Diese Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet zeige, „wie weit zurück“ die deutsch-griechischen Beziehungen „auch im Positiven“ reichen, wie eng das Vertrauensverhältnis in Bereichen der Kooperation sein kann, unterstreicht die Politikerin. „Solche Verflechtungen sind stärker als die Zäsuren der dunklen Zeiten.“ Diese Erfolge müsse man noch stärker strahlen lassen. 2024 feierte das DAI in Athen sein 150-jähriges Bestehen.
Ein Bayer als erster griechischer König
Wie eng verwoben beide Länder seit Langem sind, lässt sich laut Badum noch an einer Reihe weiterer gemeinsamer historischer Wegmarken ablesen. So bestimmten nach der Unabhängigkeit Griechenlands 1821 die europäischen Großmächte Prinz Otto von Bayern (1815 bis 1867) zum ersten König von Griechenland, der dort über drei Jahrzehnte bis 1862 regierte und den Wiederaufbau des Landes maßgeblich prägte.
Es sei ein „schönes Symbol der gemeinsamen Geschichte und der Entwicklung hin zur Demokratie, dass sein ehemaliges Schloss in Athen das heutige Parlamentsgebäude ist“, unterstreicht die Vorsitzende der Deutsch-Griechischen Parlamentariergruppe und erinnert daran, dass deutsche Freiheitskämpfer wenig später Seite an Seite mit den Griechen für die griechische Revolution gekämpft hatten. An diese positiven gemeinsamen Seiten der Geschichte, die beide Länder zusammenhalten, müsse die Erinnerung ebenso wach gehalten werden wie an die Verantwortlichkeiten für die dunklen Kapitel.
Intensiver wirtschaftlicher Austausch
Griechenland und Deutschland verbinden heute sowohl ein intensiver wirtschaftlicher Austausch – so ist Deutschland Griechenlands wichtigster Handelspartner und deutsche Unternehmen gehören zu den wichtigsten Investoren in Griechenland – als auch ein dichtes Netz persönlicher Beziehungen, erklärt Badum – so lebe in Deutschland die größte Gruppe griechischer Staatsbürger im Ausland. Umgekehrt stellten Deutsche die zahlenmäßig größte Gruppe ausländischer Touristen in Griechenland.
Nicht nur wegen dieser breiten Verflechtung liege die Zusammenarbeit mit dem Mittelmeerland im deutschen Interesse. Auch für die Weiterentwicklung der Europäischen Union spiele das europafreundlich gesinnte Land eine Rolle. Und sicherheitspolitisch sei Griechenland, als „Tor zum Balkan“, im östlichen Mittelmeer gelegen, als Nato-Mitglied von Bedeutung, aber auch, wenn es darum gehe, bei der Migration einen gleichermaßen geregelten wie humanen Ansatz zu verfolgen.
„Atmosphärisch wichtige Zusammenarbeit“
Als Parlamentariergruppe stelle man sich weiter in den Dienst einer immer engeren deutsch-griechischen Zusammenarbeit. Zusätzlich zur Regierungszusammenarbeit, die auf konkrete Beschlüsse ziele, sei die parlamentarische Zusammenarbeit atmosphärisch sehr wichtig für die Entwicklung der Beziehungen. Als Parlamentarier, als Gesetzgeber, bringe man „eine andere Sichtweise ein, die die Regierungsvertreter nicht einbringen können“, so die grüne Abgeordnete: „Der parlamentarische Austausch macht die Beziehungen zwischen beiden Ländern enger.“
Eine Delegation der Deutsch-Griechischen Parlamentariergruppe reiste vom 17. bis 20. Juni 2024 nach Athen, Kozani und Thessaloniki. Der Delegation gehörten die Vorsitzende der Parlamentariergruppe und Delegationsleiterin Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Carsten Träger (SPD), Vorstandsmitglied der Parlamentariergruppe, Thomas Rachel (CDU/CSU), Vorstandsmitglied der Parlamentariergruppe und Rainer Semet (FDP), Mitglied der Parlamentariergruppe, an. (ll/27.11.2024)